Doppelbödige Kampagne

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Seit einem Jahr ist die Israel-kritische BDS-Bewegung auch in Österreich aktiv. Warum sie als antisemitisch einzustufen ist, darüber sprach WINA mit dem Wissenschaftsautor Gerhard Scheit und Stefan Schaden vom Beirat der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft. Von Alexia Weiss   

BDS steht für Boycott, Divestment and Sanctions (Boykott, Investitionsentzug und Sanktionen). Was die drei Schlagwörter auf den ersten Blick nicht verraten: Es geht um Israel. Oder besser gesagt: gegen Israel. Was sich als Menschenrechtskampagne tarnt und durch eine Galionsfigur wie der jüdischen US-Philosophin Judith Butler noch weiter Gewicht bekommt, zielt in letzter Konsequenz auf die Abschaffung des Konzepts Israels als jüdischer Staat ab. Ausgesprochen wird das so aber nicht.

Vor der Oper wurde eine Szene nachgestellt, in der ein israelischer Soldat (mit einem Davidstern auf seiner Armbinde) einem Kind eine Waffe an den Kopf hielt und so andeutete, es zu erschießen. „Solche Exekutionen gibt es natürlich überhaupt nicht.“ Stefan Schaden

„Bei politischen Bewegungen ist ja immer interessant, was explizit nicht gesagt, was ausgeklammert wird. Oft ist man dann beim Kern dessen, was angestrebt wird“, meint Scheit. Was aber gibt die BDS-Bewegung vordergründig als Ziele an?

2005 riefen mehr als 170 palästinensische Organisationen zu einer internationalen Kampagne auf, die mit einem Boykott Israels auf wirtschaftlicher, aber auch kultureller und wissenschaftlicher Ebene Folgendes erreichen soll: den Abzug der israelischen Truppen aus dem Westjor-danland, den Abbau des Sicherheitszaunes, eine völlige rechtliche Gleichstellung von israelischen Palästinensern und Palästinenserinnen mit anderen israelischen Staatsbürgern (was aber ja bereits der Rechtslage entspricht) und ein Rückkehrrecht für alle Palästinenser nach Israel, also die Nachfahren der während des Unabhängigkeitskrieges 1948 Vertriebenen beziehungsweise Geflohenen, die bis heute in den benachbarten arabischen Staaten in Flüchtlingslagern leben.

Seit 2007 wird diese Kampagne vom Palestinian BDS National Committee koordiniert. Diesem gehören auch durchaus radikale Organisationen an wie die Islamic Resistance Movement (also die Hamas).

In der Folge kam es zu Gründungen von BDS-Bewegungen in den USA, aber auch vielen Ländern Europas, wie etwa in Großbritannien. Dort sind die BDS-Verfechter vor allem auf universitärer Ebene aktiv. Noch in Erinnerung sind die Berichte über so angesehene Hochschulen wie das King’s College in London, an dem sich die Studierenden mehrheitlich für einen Boykott Israels aussprachen.
BDS ist insgesamt eine Bewegung, die zunächst im akademischen Milieu in den USA viele Unterstützer gefunden hat, sagt Scheit. Teil des Erfolgs sei, „dass man sich auch durch und durch als demokratische Bewegung geriert“.

Aktionismus und viele Lügen

Israel werden Menschenrechtsverletzungen gegenüber Palästinensern vorgeworfen – und durch Boykott, Investitionsentzug und Sanktionen soll es gezwungen werden, das Land für alle Palästinenser zu öffnen. Häufig werfen die BDS-Anhänger dabei den Begriff „Apartheid“ in den Diskurs ein. Hier werde eine Parallele zur Rassendiskriminierung im Südafrika von früher gezogen, die allerdings nicht stimmt, wie Scheit betont. „Das trifft die Lebensrealität in Israel kein bisschen.“

Es führe aber vor Augen, wie die BDS-Bewegung agiere: mit viel Inszenierung und nicht selten unlauteren Argumenten, schlicht Lügen, betont Stefan Schaden. Im vergangenen Sommer, als der Gaza-Krieg in ganz Europa Israel-Kritiker auf den Plan rief, machten auch in Wien Aktivisten, die sich ebenfalls bei BDS Austria engagieren, öffentlich gegen Israel mobil. Vor der Oper wurde eine Szene nachgestellt, in der ein israelischer Soldat (mit einem Davidstern auf seiner Armbinde) einem Kind eine Waffe an den Kopf hielt und so andeutete, es zu erschießen. „Solche Exekutionen gibt es natürlich überhaupt nicht“, sagt Schaden. „Da ist so viel Aktionismus im Spiel.“

„Die Frage des Boykotts ist eigentlich sekundär“, meint auch Scheit, „primär geht es um Propaganda.“ Um Propaganda für Interessen radikaler Palästinenser. Denn was passiert, wenn man weiterdenkt, was hier unter dem Mäntelchen der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit daherkommt? Der Sicherheitszaun wird niedergerissen und bietet jüdischen und arabischen Israelis daher keinen Schutz mehr vor Attentaten. In der Westbank wiederholt sich, was in Gaza passiert ist: Es leben keine Juden mehr dort. Und Palästinenser aus den umliegenden arabischen Staaten ziehen nach Israel und bilden damit dann die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung.

„Es geht also darum, die Souveränität des Staates Israel als Staat der Juden anzugreifen“, bringt es Scheit auf den Punkt, „beziehungsweise darum, die Grundlagen des Staates Israel rechtsstaatlich außer Kraft zu setzen“. Was dann mit den Juden passiert und wer sie vor dem antisemitischen Terror beschützt, bleibt ausgespart.

Getragen sei diese Propaganda durch „die drei großen D“, wie es Schaden formuliert. Israel werde dämonisiert, dadurch delegitimiert und stets mit doppelten Standards gemessen. Ein Beispiel dafür ist der so genannte pinkwashing-Vorwurf. Israel gilt als sehr fortschrittlich in seiner Gesetzgebung gegenüber Homosexuellen und Transgender-Personen. Die gesellschaftliche Akzeptanz hat besonders durch den Sieg von Dana International 1998 beim Song Contest in Birmingham enormen Auftrieb erhalten. Kritiker unterstellen, Israel tue dies nur aus PR-Gründen. Das sei ein durchaus bekanntes antisemitisches Motiv, so Schaden: „Wenn Juden etwas tun, dann gibt es sicher einen verborgenen Hintergedanken.“ Weise man im Gegenzug darauf hin, dass Homosexuelle in Gaza und der Westbank tätlich bedroht und sogar hingerichtet würden, werde seitens des BDS mit dem Vorwurf des Homonationalismus gekontert. Soll heißen: „Wenn europäische Schwule und Lesben auf die tödliche Homophobie in den Palästinensergebieten, dem Iran oder sonst wo hinweisen, dann sei das rassistisch.“ Und: Eine Gesellschaft, die in Besatzung lebe, könne sich nicht um solche Themen kümmern. „Am Ende wird immer mit der Besatzung argumentiert“, meint Scheit.

Dass es sich bei der BDS-Bewegung nicht nur um eine anti-israelische, sondern eben doch eine antisemitische handelt, machen Vorfälle wie dieser klar: Im März rief eine südafrikanisch-israelische Ausstellung in Sandton, einem Vorort von Johannesburg, BDS-Aktivisten auf den Plan. „Ihr Juden gehört nicht zu Südafrika!“, war da zu hören. Und: „Ihr denkt, dies ist Israel, aber wir werden euch töten!“
Und Boykottaufrufe in den USA, aber auch Europa, die mit der Forderung einhergingen, israelische Produkte aus Geschäften zu verbannen, erinnerten doch sehr stark an die „Kauft nicht bei Juden“-Parolen im Nationalsozialismus. International hohe Wellen schlug beispielsweise die Anti-SodaStream-Kampagne. Aber auch Musikstars werden immer wieder unter Druck gesetzt, nicht in Israel aufzutreten. Madonna reiste trotzdem. Und die Rolling Stones beschlossen kurzerhand, auch noch ein zweites Konzert zu geben. Erst Anfang Mai trat auch Robbie Williams vor 40.000 begeisterten Fans in Tel Aviv auf und boykottierte lieber die an ihn gerichteten BDS-Boykottaufrufe als Israel.

In Österreich formierte sich erst recht spät eine BDS-Bewegung, und sie nahm auch nicht im studentischen Milieu ihren Anfang. Einige der Aktivisten gehörten bereits Sedunia an, „einer Gruppe vermutlich ehemaliger Trotzkisten, die dann zum Islam übergetreten sind“, so Scheit. Sedunia störte 2003 eine Gedenkkundgebung zur Erinnerung an die Novemberpogrome von 1938 in der Zirkusgasse vor einem Haus, an dessen Platz früher einmal ein jüdisches Bethaus gestanden war. In einem Offenen Brief, dokumentiert von dem Wiener Journalisten Karl Pfeifer auf dem Portal hagalil, schrieb die Gruppierung damals: „Wieder wollte sich der Zionismus hinter dem Judentum verstecken, glaubte sich vor einer Synagoge an einem 9. November verkleiden zu können, sich mit dem Judentum gleichsetzen zu können. Die arabische und islamische Antwort war klar und eindeutig: ihr Mörder.“ Pfeifer selbst hielt während des Vorfalls im Rahmen der Gedenkveranstaltung eine Rede. Unter dem Titel Judenveranstaltung in Wien von Marxisten gestört berichtete im Übrigen die Neonazi-Website stoertebeker begeistert zustimmend über den antisemitischen Vorfall – das wiederum hat das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) in seinen Mitteilungen festgehalten.

Aus Sedunia ging später Dar al-Janub (arabisch, „Haus des Südens“), ein „Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative“ hervor. Dieser Verein wird substanziell von der OPEC finanziell unterstützt, wie auf der Website des OPEC-Fonds für Internationale Entwicklung nachzulesen ist. Für das Symposium Remapping Palestine, bei dem laut Kritikern wie der Österreichischen HochschülerInnenschaft und der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft unter dem Deckmantel seriöser wissenschaftlicher Arbeit antiisraelische Hetze verbreitet worden sei, hat es auch Fördermittel der Stadt Wien gegeben.

Sprecher von Dar al-Janub ist Oliver Hashemizadeh. Er sei auch bei BDS Austria an vorderster Front zu finden, sagt Scheit. Zuletzt sei mit Verena Hennebichler allerdings eine BDS-Sprecherin an die Öffentlichkeit getreten, die vor allem dadurch auffällt, dass sie Studentin der Judaistik an der Universität Wien ist. Was mit Judith Butler international funktioniert, soll offenbar auch in Österreich angewendet werden: den Verdacht des Antisemitismus vom Tisch zu wischen.

Nicht Kritik, sondern Rassismus
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Gegenkundgebung der Plattform Boycott Anti-Semitism und der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft gegen die Demonstration von BDS Austria in Wien im März 2015.

Die BDS-Aktivisten argumentieren, dass es immer nur um Rassismus gehe, so Scheit, siehe auch die Analogie zum Apartheid-System in Südafrika. Antisemitismus werde also mit Rassismus gleichgesetzt. „Das heißt, sie können sich selbst vom eigenen Antisemitismus distanzieren, in dem sie sagen, wir sind gegen Rassismus. Indem sie Israel dämonisieren, wärmen sie aber die alten Verschwörungstheorien auf, die letztlich alle auf die Protokolle der Weisen von Zion zurückgehen“, meint Scheit. Und damit richtet sich die BDS-Bewegung eben nicht nur gegen Israel, „sondern natürlich gegen Juden weltweit“. Womit wir wieder beim Vorfall in Südafrika wären. Oder der Inszenierung vor der Oper im vergangenen Sommer. Das Motiv des Kindermordes zieht sich durch die Geschichte des Antisemitismus.

„Indem sie Israel dämonisieren, wärmen sie die alten Verschwörungstheorien auf, die letztlich alle auf die Protokolle der Weisen von Zion zurückgehen.“ Gerhard Scheit

In Wien gingen BDS-Vertreter im Rahmen der internationalen Israeli Apartheid Week in der ersten März-Woche auf die Straße. Am Stock-im-Eisen-Platz versammelten sich nach Polizeiangaben an die 80 Sympathisanten und warfen Israel vor, eine Apartheidpolitik zu betreiben. Es war am Tag von Purim. Die Kultusgemeinde beteiligte sich dennoch an einer Gegenkundgebung der Plattform Boycott Anti-Semitism, ebenso die Österreichisch-Israelische Gesellschaft. Einer der Mitorganisatoren war Stefan Schaden. Hier versammelten sich schließlich rund 200 Personen rund um die Pestsäule. Dabei wurde vor allem darauf aufmerksam gemacht, dass sich BDS Austria zwar als unabhängige NGO inszeniere, die sich um die Rechte der palästinensischen Bevölkerung in Israel sorge, es aber tatsächlich nicht um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Situation der Palästinenser gehe, sondern um die Delegitimierung des jüdischen Staats.

Womit es sich am Ende eben wieder um Antisemitismus handle, so Schaden. Denn die BDS-Bewegung greife einzig und allein Israel an, sage aber nichts zur miserablen Lebenssituation von Palästinensern in arabischen Staaten. Es handle sich also um Doppelmoral, und diese werde mit klassischen antisemitischen Stereotypen verbunden – etwa durch die Unterstellung des Kindermordes durch die israelische Armee.

Wie weit sich die BDS-Bewegung in Österreich vorwagt, bleibe nun abzuwarten, so Scheit. Auf Grund der belasteten Geschichte sei Aktionismus, der auf den Boykott von Geschäften abziele, derzeit noch nicht vorstellbar. Hier liegt nach Ansicht Scheits auch der Grund, warum sich die Linke hier zu Lande recht zögerlich verhält, was eine Unterstützung der BDS-Kampagne anbelangt. International sei das aber ganz anders. Da gewinnen BDS-Anhänger immer mehr an Terrain. „Schauen wir, was da noch auf uns zukommt.“ ◗

Bild1:© Daniel Shaked  Bild2: © Daniel Weber

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