Effizienz und Ruhe

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Peter Michael Winter ist Partner in Österreichs größtem medizinischem Labor, der Gruppenpraxis Labors.at. Privat hat er The Shabbos Project Vienna initiiert. Text und Foto: Reinhard Engel .

Es könnte eine Hightechfirma irgendwo in Kalifornien sein, in Südfrankreich oder in Nord-Tel-Aviv. Vom Empfang mit den großformatigen bunten Laborfotos über die Sicherheitstüren zwischen den einzelnen Gebäudeteilen bis zur Designer-Cafeteria strahlt alles kühle Modernität, ökonomische Effizienz, internationale Nüchternheit aus.

„Schabbat halten hat sowohl eine spirituelle Bedeutung als auch eine profane: die Entschleunigung.“
Peter M. Winter

Das neue Unternehmensareal findet sich in Floridsdorf, am nördlichen Rand von Wien, seit Anfang Juni läuft der Vollbetrieb. Es gehört der Gruppenpraxis Labors.at, zu der sich im Lauf der letzten Jahre neun Wiener Ärzte zusammengeschlossen und damit das größte medizinische Labor Österreichs geformt haben. Peter Michael Winter ist einer der Partner, und er erzählt, wie es zu diesen Zusammenschlüssen und zu der aktuellen Großinvestition gekommen ist.

„Die Krankenkassen haben vor etwa zehn Jahren begonnen, auf Rationalisierungen zu drängen, damit auf größere Einheiten bei den Labors.“ Die Überlegung dahinter war neben dem Kostendruck im Gesundheitssystem, dass man mit größeren Labors und modernen Geräten effizienter arbeiten könne. Eine ähnliche Entwicklung gab es übrigens parallel bei den Röntgeninstituten. Auch dort können die teuren Geräte in größeren Praxen besser genutzt werden.

In Wien sind vor allem zwei Gruppen durch Zusammenschlüsse mehrerer Laborbetreiber schnell gewachsen, eine davon Labors.at, wo Winter zwei eigene Praxen eingebracht hat, eine in Favoriten und eine im ersten Bezirk. Heute beschäftigen die neun Partner insgesamt 360 Frauen und Männer, von Ärzten bis zu Fahrern, von Laborspezialisten bis zu administrativen Kräften. „Es ist schon ein größerer Mittelbetrieb“, kommentiert Winter, „und den führen wir gemeinsam, wobei sich jeder der Partner noch zusätzlich auf einen bestimmten Aspekt konzentriert, bei mir ist das etwa die Fort- und Weiterbildung.“

Der Neubau eines Zentrallabors – die Größenordnung liegt in einer möglichen Tageskapazität von bis zu 20.000 Proben – erklärt sich durch die Struktur der Patientenversorgung mit derartigen medizinischen Dienstleistungen. „Wien ist im internationalen Vergleich eher eine Ausnahme“, so Winter, „indem viele Patienten zur Blutabnahme in ein Labor gehen. In den meisten anderen Bundesländern und im übrigen Europa nimmt der Hausarzt oder Facharzt die Blutprobe und sendet sie dann ein.“ Auch in Wien gewinne diese Vorgangsweise langsam, aber stetig an Bedeutung, dennoch betreibt auch Labors.at weiterhin neun Abnahmestellen in mehreren Bezirken. Der eigene Fuhrpark mit gekühlten Kleintransportern bringt dann die Proben ins Zentrallabor, wo sie ausgewertet werden.
Die Zentralisierung wurde von den Krankenkasse auch mit sanftem Druck vorangetrieben. Winter: „Die Tarife sinken stetig, daher muss man rationeller arbeiten.“ Und das gehe vor allem mit modernen Geräten und Methoden. Den sinkenden Preisen stehen dafür stark angestiegene Zahlen an Bluttests gegenüber, sowohl Ärzte als auch Patienten einer „Anspruchsgesellschaft“ – so Winter – sorgten dafür, dass immer mehr Diagnosen mit harten Fakten chemischer Analyse unterlegt werden. „Ein weiterer Aspekt ist, dass auch die Qualität mit größeren Einheiten steigt. Wir haben ein eigenes Qualitätsmanagement und eine Fülle laufender Weiterbildungen auf allen Ebenen.“ Der neue Standort solle daher mehr sein als bloß ein modernes Zentrallabor – er nennt sich „Vienna Medical Innovation Center“. Neben der Fortbildung auch für Außenstehende – etwa Assistentinnen niedergelassener Ärzte – wird sich eine eigene Einheit medizinischer Software widmen.

Uniklinik
Die Winters  engagieren sich auch für jüdische Anliegen. Frau und Mutter  Karin Winter (Mitte) ist   u. a.  Vorstand der  zionistischen Frauenorganisation WIZO.
Die Winters
engagieren sich auch für jüdische Anliegen. Frau und Mutter
Karin Winter (Mitte) ist
u. a. Vorstand der
zionistischen Frauenorganisation WIZO.

Winter selbst, Jahrgang 1959, wollte als Bub eigentlich Wissenschaftler werden. „Ich habe meist Bücher über Chemie oder Physik gelesen.“ Als die Studienwahl anstand, wurde es dann doch Medizin statt technischer Chemie, aber bald fand er seinen Weg in die Labors. „Eher zufällig bin ich als junger Arzt im AKH am Institut für Blutgruppenserologie gelandet, ich wollte unbedingt an die Uniklinik. Und ich habe diese Arbeit – die nicht unmittelbar am Bett des Patienten stattfindet – immer für sinnvoll und interessant gehalten.“ Auch wenn Winter als mögliches Fernziel die Position eines Primararztes in Betracht zog, sollte doch die Selbstständigkeit die verlockendere Option werden. Sein Vater war Unternehmer gewesen, er belieferte als Großhändler österreichische Spielwarengeschäfte mit internationalen Produkten. „Von daher habe ich schon gewusst: Als selbstständiger Arzt muss man neben der medizinischen Qualität zugleich den Cashflow im Auge haben, sonst kann man in Schönheit sterben.“ Es hat schon Diagnostiklabors gegeben, die in den Konkurs rutschten.

Bei der erstmöglichen Gelegenheit übernahm Winter dennoch eine eigene Laborpraxis in Wien Favoriten. „Das war mit erheblichem unternehmerischen Risiko verbunden, weil ich kein Geld gehabt habe und über Bankkredite finanzieren musste. Aber ich habe trotzdem nicht schlecht geschlafen, ob damals aus Unkenntnis oder aus Selbstsicherheit, das weiß ich heute nicht mehr.“ Er hatte dabei auch strategische und praktische Unterstützung: Über die Jahre des Aufbaus und der Expansion stand ihm seine Frau, Karin Maier-Winter, zur Seite, eine gelernte Steuerberaterin. Einige Jahre später erwarb er einen zweiten Standort, dann erfolgte der Zusammenschluss zur großen Gruppenpraxis.

Die Winters engagieren sich auch für jüdische Anliegen. „Wir führen einen koscheren Haushalt und besuchen den Stadttempel, freilich nicht jede Woche.“ Karin Winter ist bei der zionistischen Frauenorganisation WIZO im Vorstand und verantwortet deren Finanzen. Michael Winter hat im Vorjahr erstmals in Österreich The Shabbos Project Vienna organisiert, zusammen mit Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg und einem ganzen Team. „Die Idee kommt aus Südafrika“, erzählt er, „und es geht darum, dass zumindest an einem Tag im Jahr alle Juden den Schabbat halten. Denn das kennen auch viele Juden nicht, und es hat sowohl eine spirituelle Bedeutung als auch eine profane: die Entschleunigung. Ein Tag ohne E-Mail und Handy schadet wirklich nicht. Man sollte wenigstens einen Tag in der Woche Ruhe geben.“

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