Eine Frau allein in China

Eva Kulcsar vermittelt mit ihrer Agentur Stoffe aus Asien an ungarische und deutsche Konfektionäre und Großhändler

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Text und Foto: Reinhard Engel

Die Chinesen sind wirklich innovativ.“ Eva Kulcsar führt ein Stoffmuster vor, das sie gerade aus Asien mitgebracht hat. Es ist aus Polyester, einfarbig hellblau und könnte für einen modischen Regenmantel oder eine Sportjacke Verwendung finden. Aber der Stoff kann noch mehr. Gießt man etwas Wasser darüber, öffnet sich eine neue Welt: Da tauchen plötzlich zahlreiche Fische, winzige Seepferdchen, Kraken und maritime Steuerräder auf. „Wenn er trocknet, verschwinden die Muster wieder“, erklärt Kulcsar. „Das ist für Kinder gedacht.“

Gerade ist sie von einer ihrer halbjährlichen Reisen nach China zurückgekommen. Sie war nach Shanghai geflogen und von dort gleich mit der Bahn weitere drei Stunden ins Landesinnere gefahren, nach Shaoxing, um Lieferanten zu besuchen. „Man kann nicht wirklich sagen, ich war auf dem Land, Shaoxing hat immerhin etwa fünf Millionen Einwohner.“ Den Abschluss  machte dann ein Messebesuch in Guangzhou, dem ehemaligen Kanton, auf der Canton Fair, bei der 120. chinesischen China Import and Export Fair. „Das ist eine Messe mit unterschiedlichsten Angeboten, und der Teil, den ich angeschaut habe, bietet Heimtextilien und Schuhe, Bürobedarf und Kurzwaren bis hin zu Lebensmitteln.“
Eva Kulcsar fährt nun schon seit 13 Jahren nach Asien, um für ihre europäi­schen Kunden Ware zu besorgen. Das sind vor allem Stoffe für Konfektionäre in Ungarn, Rumänien und Deutschland, diese beliefern wiederum Markenartikler, Waren- und Versandhäuser. Genäht wird teilweise in Osteuropa, aber auch in Asien. Selbst wenn die Rechnung über deutsche Unternehmen läuft, kann etwa in Bangladesch produziert werden. In den letzten Jahren sind dann verstärkt andere Kunden dazugekommen: Anbieter von Wohnungsausstattungen, etwa mit Vorhang- und Möbelstoffen, oder Taschen- und Schuhproduzenten. Und auch aus Indien und Pakistan beschafft sie inzwischen Ware. „Insgesamt habe ich etwa 1.000 Stoffe in meinem Angebot.“

Kulcsar betreibt dafür kein eigenes Lager, mit ihrer Agentur vermittelt sie nur. „Ganz am Anfang habe ich mir gedacht: Wozu wird man mich brauchen? Aber jetzt bin ich mir sicher, so ein breites Spektrum, so eine Vielfalt, wie ich anbiete, können sie selbst nicht beschaffen.“

„Vor allem darf man nicht zu früh aus einem Taxi aussteigen, wenn man nicht sicher ist, dass man auch dort ist, wo man hin will.“

Begonnen hatte sie eher vorsichtig, als Nebenbeschäftigung für sich als Mutter von zwei kleinen Buben. „Ich habe zwei israelische Freundinnen gehabt, die schon mit Stoffen zu tun hatten. Eine von ihnen ist mit ihrem Mann, einem Diplomaten, nach Südkorea übersiedelt und hat mit mir zusammengearbeitet. Sie hat dort die Ware beschafft, ich habe sie hier vermarktet.“ Längst ist aus dem Hausfrauenhobby eine professionelle Agentur geworden. Im Jahr 2010, das freut Kulcsar bis heute, war sie Teil der großen Delegation von Bundespräsident Heinz Fischer, neben anderen Unternehmensvertretern, Künstlern und Wissenschaftlern.

Warum hat sie eigentlich begonnen, nach China zu reisen? „Ich möchte immer sehen, woher die Stoffe kommen, wer sie herstellt, wie die Unternehmen, die Fabriken und die Show Rooms dort aussehen.“ Daher macht sie sich zweimal im Jahr für zehn bis 14 Tage auf nach China, und zwar nicht nur in die bekannten Metropolen, die auch andere westliche Geschäftsleute regelmäßig ansteuern, sondern mit Bahn oder Taxi weit hinein ins Land, dorthin wo die Textiler produzieren. „Ich fahre gerne, und meine Lieferanten freuen sich auch, wenn ich sie besuche“, erzählt sie. „Mit einigen arbeite ich jetzt schon viele Jahre zusammen.“ Ob sie sie schon Freunde nennen kann? „Ich weiß das wirklich nicht, so genau lesen kann ich die Chinesen nicht.“

Privat eingeladen werde man kaum, aber die eine oder andere lustige Familienfeier habe sie schon mitgemacht. „Da wird auch viel getrunken, mehr als man eigentlich möchte“, erzählt Kulcsar. Insgesamt seien ihre Geschäftspartner sehr zuvorkommend, helfen ihr bei den Fahrten und bei der Orientierung, nur bei Reklamationen zeigten sie manchmal eine ganz eigene Auffassung: „Sie sagen dann, das ist kein Fehler, das ist gut so für mich.“
Die Reisen müsse man ordentlich planen, etwa die Bahnfahrten vorausbuchen. Wenn ein Zug voll ist, muss man auf den nächsten warten, und das kann einen halben Tag dauern. „Vor allem darf man nicht zu früh aus einem Taxi aussteigen, wenn man nicht ganz sicher ist, dass man auch dort ist, wo man hin will.“ Denn dann steht man eventuell irgendwo in der „Einschicht“, ohne Chance, weiterzukommen, ein anderes Taxi zu finden. Sie hat aber auch schon äußerst positive Erfahrungen gemacht: „Einmal in Shanghai bin ich zu schnell aus einem Taxi ausgestiegen und habe meine ganzen Unterlagen liegen gelassen. Zwei Tage später hat mich ein Lieferant angerufen, dass sie bei ihm abgegeben worden sind. Der Taxifahrer hat die Adresse gelesen und meine Ordner dort hingebracht. Das ist immerhin eine Elf-Millionen-Stadt.“

Für ihre unbekümmerte Reisefreude macht Kulcsar ihren Vater verantwortlich. „Er hat mich schon als Mädchen allein nach England und nach Italien geschickt, damit ich die Sprachen lerne.“ Sie war 1970 als 13-Jährige ohne ein Wort Deutsch nach Wien gekommen und hatte gleich nach der Schule bei ihrem Vater in dessen Textilimportfirma mitgearbeitet, beim Einkauf. „Er hat zwischen zehn und 15 Mitarbeiter gehabt, wir haben vor allem aus Italien importiert.“

Kulcsar hatte also eine Basis für ihren geschäftlichen Neubeginn. „Ich habe damals auch noch Stoffe in Italien besorgt, das spielt heute kaum mehr eine Rolle.“ Ihr Mann betreibt in der Wiener City ein Antiquitätengeschäft, die beiden Söhne haben längst ihre eigenen Karrieren in Brüssel und London in der PR- und Finanzbranche. „Ich fahre immer noch gerne nach China. Ich mag die Menschen, und Platzangst kenne ich nicht. In der Eisenbahn oder in der U-Bahn muss man halt manchmal seine Ellenbogen einsetzen.“

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