Ein jüdischer Neubeginn in Wien

Der US-Amerikaner Shem Garber hat schon in mehreren Städten gelebt. In Wien begründete er das Moishe House mit.

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© Anna Goldenberg

Vielleicht sind ja aller guten Dinge drei. Für Shemuel Garber, genannt Shem, ist Wien jedenfalls der dritte Einstieg in das jüdische Leben. Und das kam so: Aufgewachsen ist der heute 27-Jährige im 3.000-Einwohner-Städtchen Millersburg im US-Bundesstaat Ohio. Sein Vater ist Jude; gemeinsam mit seiner Mutter konvertierte Shem zum Judentum, als er elf Jahre alt war. In dieser Zeit nahm er den Glauben ernst, ging regelmäßig in die Synagoge und war in der Jugendorganisation der Orthodox Union, der Dachorganisation orthodox-jüdischer Gemeinden, aktiv. Als Teenager ließ sein Engagement nach.
Sein zweiter Einstieg in das jüdische Leben begann an der Universität. Shem entschied sich für eine breite Fächerkombination, bestehend aus Philosophie, Deutsch, Literatur und Geschichte, an der Wesleyan University. Die Universität im US-Bundesstaat Connecticut besuchen viele jüdische Studenten, sodass Shem wieder aktiv wurde. Er fuhr zum ersten Mal nach Israel und schrieb seine Bachelorarbeit über männliche Beschneidung. Anders als in Europa ist der Eingriff in den USA auch außerhalb der jüdischen Gemeinde Routine. In seiner Arbeit erforschte Shem, wie sich die medizinischen Erklärungen über die Jahrhunderte wandelten. Kritik an der Praxis habe es innerhalb des Judentums immer gegeben, sei aber stets unterdrückt worden. „Ich möchte, dass das in der jüdischen Gemeinschaft mehr diskutiert wird“, sagt er.

 »Es ist interessant, einen Ort zu haben, an dem sich das Private und Öffentliche überschneiden.«

Nach dem Studium zog Shem nach Deutschland. Die Sprache konnte Shem mittlerweile fließend. Warum eigentlich? Als Shem noch zur Schule ging, nahm ihn sein Onkel auf eine Geschäftsreise nach Berlin mit. Shem verbrachte einen Sommer in der deutschen Hauptstadt – und noch einen und noch einen – und begann bald, Deutsch zu lernen. „Es ist so zufällig geschehen, hatte aber einen riesigen Einfluss auf mein Leben.“
Im deutschen Mainz unterrichtete Shem Englisch. Dann zog er weiter nach Vorarlberg. In diesen zwei Jahren hatte er wenig mit dem Judentum zu tun – bis er schließlich in Wien landete. Ein anderer Amerikaner kontaktierte ihn. „Dein Name klingt jüdisch.“ Er hatte einen Plan: einen Ableger von Moishe House in Wien zu gründen. Moishe House sind jüdische Wohngemeinschaften, in denen junge Erwachsene leben, die gleichzeitig gemeinschaftsbildende Programme organisieren, Schabbatessen, Diskussionsveranstaltungen, Partys. Drei Amerikaner, eine Ungarin und eine Bulgarin leben seit Sommer 2016 in einer Wohngemeinschaft im ersten Bezirk. Beinahe jede Woche öffnen sie ihre Türen für Interessierte, ihre Events haben eine Verbindung zum Judentum, sind aber selten religiös.
„Es ist interessant, einen Ort zu haben, an dem sich das Private und Öffentliche überschneiden“, sagt Shem. Meist funktioniere das ohnehin gut, manchmal wolle er seine Ruhe haben. Shem studiert nebenbei Philosophie und Internationale Entwicklung und arbeitet als Rezeptionist an einer internationalen Schule. Sein Leben in Wien genießt er. Vielleicht sind ja aller guten Dinge drei.

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