England, Frankreich und deren Kampf um die Gestaltung des Nahen Ostens

Der englische Historiker James Barr behandelt die Rivalität zwischen England und Frankreich bei der Beherrschung des Nahen Ostens. Er nützt dabei die erstmals zugänglichen Archive der Geheimdienste der beiden Mächte. Sein besonderes Augenmerk gilt der Auswirkung auf Palästina und in der Folge auf Israel.

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James Barr: A Line in the Sand. Britain, France and the Struggle That Shaped the Middle East. Simon & Schuster, 454 S., € 8,99

Bereits 1915 waren die Alliierten Großbritannien und Frankreich entschlossen, das noch zu erobernde Gebiet des Osmanischen Reiches untereinander aufzuteilen. Um aber eine Konfrontation wie 1895 bei Faschoda am Nil zu vermeiden, sollte eine genau Aufteilung vorab vereinbart werden. Der Nahostexperte Großbritanniens, Sir Mark Sykes, machte seiner Regierung den entscheidenden Vorschlag: Auf einer Landkarte des Nahen Ostens zeichnete er eine Linie vom letzten Buchstaben von Akko am Mittelmeer bis zum letzten Buchstaben von Kirkuk an der Grenze zu Persien. Nördlich dieser Linie sollte das französische, südlich das englische Einflussgebiet sein. Auf dieser Basis verhandelte er dann mit dem französischen Experten Georges Picot. 1916 einigte man sich auf das bekannte Sykes-Picot-Abkommen. Die „Linie im Sand“ wurde zur Grenze der Interessengebiete. Das Heilige Land sollte aber nicht an England fallen, sondern internationalisiert werden.

Die Engländer waren mit der Lösung nicht zufrieden. Erst knöpften sie den Franzosen das Gebiet um Mossul ab – wegen der vermuteten Erdölvorkommen, dann erreichten sie zwecks Umsetzung der Balfour-Deklaration die Verwaltung Palästinas. Daneben hatten die Engländer den Arabern ein arabisches Großsyrien unter dem haschemitischen Herrscher Faisal versprochen. Mit Ende des Krieges fiel aber Syrien unter französische Herrschaft. Die Animositäten zwischen Frankreich und England hatten neue Nahrung. Faisal wurde schließlich mit der Herrschaft über den Irak und sein Bruder Abdullah mit Transjordanien abgespeist.

Als 1936 der große arabische Aufstand in Palästina ausbrach, weigerte sich die französische Verwaltung in Syrien, gegen die Rückzugsbasis der Aufständischen vorzugehen oder die Engländer irgendwie zu unterstützen. Schließlich kam England den Aufständischen insofern entgegen, als es die Einwanderung von Juden nach Palästina vollkommen unterband. Für England war eine Befriedung der Araber besonders wichtig. Damit sollten Angriffe auf die Pipeline von den irakischen Ölfeldern zur Raffinerie in Haifa vermieden werden. Weiters sah man in England den Krieg mit Deutschland heraufziehen. Eine neutrale Haltung der Araber war ihnen da besonders wichtig. Mit dem Stopp der Einwanderung nach Palästina und dem Versprechen, allen arabischen Ländern bald die Selbstständigkeit zu gewähren, gelang es ihnen, die Araber auf ihre Seite zu ziehen. Die Juden Palästinas wurden nun zu Gegnern der Engländer. Neben der Haganah entstanden zwei radikale Untergrundorganisationen, die IZL und die LECHI (auch als Sternbande bekannt). Einerseits organisierten diese Organisationen die illegale Einwanderung von Flüchtlingen vor den Nazis aus Europa, andererseits verübten sie Anschläge auf die britische Armee.

Die Spannungen
zwischen England und Frankreich haben Israel entscheidend geholfen. De Gaulle hat die Demütigungen, die er von England immer wieder erfahren hat, nicht vergessen.

Der Zweite Weltkrieg änderte die Lage im Nahen Osten grundlegend. Mit Frankreichs Niederlage 1940 kamen alle französischen Kolonien am Mittelmeer, also Nordafrika, Libanon und Syrien unter die Herrschaft der Vichy-Regierung. Lediglich Senegal und einige Kolonien südlich der Sahara schlossen sich den freien Franzosen unter General De Gaulle an. Nachdem sich die Vichy-Verwaltung in Syrien bereiterklärte, der deutschen Luftwaffe Flugbasen zur Verfügung zu stellen, reagierte England mit dem Einmarsch in Syrien. Gemeinsam mit den freien Franzosen eroberten sie in einem unerwartet blutigen Feldzug Syrien und den Libanon. Die Verwaltung ging an die freien Franzosen. Diese beließen aber die meisten Verwaltungsbeamten der Vichy-Regierung, da sie zu wenige eigene brauchbare Beamte hatten.

David Hacohen war nicht nur der Direktor der Baufirma Solel Bone, er war auch ein hochrangiges Mitglied der Haganah. Im September 1940 gewährte er drei Agenten der freien Franzosen in seinem Haus in Haifa Unterschlupf. Sie durften da eine Radiostation errichten, um gegen das Vichy-Regime in Syrien Propaganda zu senden. Die Engländer hatten das den Agenten vorher verwehrt. Das war der Anfang der Zusammenarbeit der jüdischen Untergrundorganisationen mit den Franzosen. In den folgenden Jahren unterstützten die Franzosen nicht nur die Haganah, sondern auch die IZL und die LECHI. Sie halfen finanziell, mit Informationen und mit Waffen. Man muss sich das vor Augen halten: Einerseits kämpfte Frankreich mit den Engländern gegen Hitler-Deutschland, nicht zuletzt, um Frankreich zu befreien. Andererseits unterstützten sie Organisationen, die gegen England Krieg führten.

Mit Ende des Krieges gewährte England dem Libanon und Syrien die volle Unabhängigkeit – über die Köpfe der Franzosen hinweg. Frankreich wurde von den Engländern gezwungen, seine Truppen aus dem Nahen Osten abzuziehen. Nun waren alle Länder des Nahen Ostens frei – außer Palästina. Hier hatten die Engländer alle Hände voll zu tun, um sich gegen die Anschläge der IZL und der LECHI zu wehren und vor allem die illegale Einwanderung von Flüchtlingen zu verhindern.

Schon während des Krieges hatten IZL und LECHI unter wohlwollender Duldung der Franzosen ihre Rückzugsbasen im Libanon und in Syrien. Nach Ende des Krieges eröffneten sie ihre europäischen Stützpunkte in Paris. Von hier aus organisierten sie die illegale Einwanderung von Holocaust-Überlebenden. Aber von diesen Basen aus wurden auch Attentate gegen englische Militäreinrichtungen in ganz Europa geplant und in die Wege geleitet. Unterstützung und Rückendeckung fanden die jüdischen Organisationen in den USA. Dort hatte Hillel Kook unter dem Pseudonym Peter Bergson 1944 die American League for a Free Palestine gegründet und viele Prominente als Unterstützer gewonnen; da waren Frank Sinatra, Bob Hope, die Marx Brothers sowie Eleanor Roosevelt. Die wenigsten wussten aber, dass Hillel Kook ein Mitglied der IZL war. Bald nach Ende des Krieges wurde ein Ableger der American League in Paris gegründet, die Ligue française pour la Palestine libre. Auch hier gelang es, prominente Unterstützer zu gewinnen: Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Mit Geld aus Amerika wurden Schiffe gekauft, renoviert und für den Transport von Flüchtlingen hergerichtet. Die Flüchtlinge wurden in südfranzösischen Häfen gesammelt und auf die Schiffe gebracht, die dann Richtung Palästina abfuhren. Die Engländer versuchten, auf Frankreich Druck zu machen, das Auslaufen der Schiffe zu verhindern. Die Franzosen stellten sich aber dumm. Bei einer „Kontrolle“ durch die französische Polizei wiesen die Auswanderer ein (gefälschtes) Sammelvisum nach Bolivien vor. Worauf ein Polizist sagte: „Ein schönes Land. Ich kenne es gut. Ich habe da drei Jahre in Syrien gedient.“

Ab 1948 half Frankreich Israel bei der Bewaffnung seiner Streitkräfte. Mit amerikanischem Geld wurden tschechische Waffen gekauft und über Frankreich nach Israel geschmuggelt. Bis 1956 blieb Frankreich Israels wichtigster Waffenlieferant. Die Spannungen zwischen England und Frankreich haben Israel entscheidend geholfen. De Gaulle hat die Demütigungen, die er von England immer wieder erfahren hat, nicht vergessen. 1958 fand er Gelegenheit, sich zu rächen. England wollte da in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen werden. De Gaulle legte sein Veto ein.

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