Erst nach 30 Jahren heimisch

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Alfredo Bauer Interview

Erst jetzt liegt Alfredo Bauers Romanzyklus Die Vorgänger komplett in deutscher Sprache vor. Aus diesem Anlass unternahm der in der NS-Zeit aus Wien Geflüchtete eine Lesereise durch Österreich. Ein Interview mit Alexia Weiss.

wina: Ihrer Romanreihe liegt Ihre Familiengeschichte zu Grunde. Zunächst sind die fünf Bücher auf Spanisch erschienen. Erst jetzt liegen alle auch auf Deutsch vor. Österreich hat Sie als Schriftsteller sehr lange nicht wahrgenommen. Wie erklären Sie sich dieses Desinteresse?

Alfredo Bauer: Sie wissen sicher besser als ich, dass in der ersten Zeit nach der Befreiung überhaupt nichts unternommen worden ist. Da waren viele andere wichtigere Sachen, die auch nicht gemacht worden sind.

wina: Hat dieses Desinteresse geschmerzt?

AB: Natürlich hat es geschmerzt. Ich habe aber auch gedacht, das mit dem Schreiben ist nicht mehr als ein Hobby. Ich habe mich dann sehr gewundert, wie gut meine Texte später in Österreich angekommen sind.

wina: Wann sind Sie nach 1945 das erste Mal wieder nach Wien gekommen?

AB: Anfang der Fünfzigerjahre. Ich hatte ja Verwandte hier, und damit blieb die innere Beziehung zu Österreich immer aufrecht.

wina: Wo haben Sie bis zu Ihrer Emigration gewohnt?

AB: Neben der Kirche Maria am Gestade, und dort war auch meine Schule, unten, die Marienstiege hinunter.

wina: Haben Sie sich die Wohnung später nochmals angeschaut?

AB: Nein. Das Haus war durch eine der wenigen Bomben in der Gegend zerstört worden, wurde aber nach dem Krieg wieder aufgebaut. Ich war vor zwei Jahren an einem Sonntag mit meiner Enkelin da – sie wollte es sehen, nur war leider niemand da.

wina: Sie sprechen phantastisch Deutsch, so, als ob Sie nie weg gewesen wären. Hat das auch mit dem Schreiben und Übersetzen zu tun?

AB: Ja. Aber auch mit der Beschäftigung mit deutscher Literatur. Das habe ich immer gemacht. Dabei war die österreichische Literatur ein Schwerpunkt. Ich bin auch in engem Kontakt mit der Lehrkanzel für deutschsprachige Literatur an der Universität Buenos Aires.

wina: Wo fühlen Sie sich heute mehr zu Hause – im Spanischen oder im Deutschen?

AB: Meine zweite Frau ist schon in Argentinien geboren, allerdings sprachen die Eltern Deutsch mit ihr, weil sie gerade erst ins Land gekommen waren. Wir sprechen heute beide Sprachen miteinander. Aber nun im Alter bin ich plötzlich wieder mehr in der deutschen Sprache. Obwohl ich manche Romane ja in Spanisch verfasst habe.

wina: Sie fühlen sich heute also sicherer im Deutschen?

AB: Nein, affiner. Und das hat nichts mit dem Land zu tun, da gehöre ich dazu. Das erleichtert einem die argentinische Gesellschaft. Das war von Anfang an so, man ist kein Gast, das ist ganz anders als in den USA, man gehört gleich dazu. Die Argentinier sind dankbar, wenn man aus anderen Ländern kulturelle Beiträge bringt.

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wina: Haben Sie dennoch einmal daran gedacht, nach Österreich zurückzugehen?

AB: Ja – während des Krieges. Und ich habe mir immer die Frage gestellt, warum ich es nicht gemacht habe. In der österreichischen Gruppe in Buenos Aires hat man sich stark gemacht für die Befreiung des demokratischen Österreich.

wina: Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich gut in Argentinien eingelebt haben?

AB: Am politischen Kampf habe ich bereits teilgenommen, als ich noch nicht einmal Spanisch konnte. Das Heimisch-Werden ist mir aber sehr schwer gefallen. Das hat etwa 30 Jahre gebraucht.

wina: Sowohl Ihre erste, verstorbene Frau als auch Ihre zweite Fraue waren beziehungsweise sind österreichischer Herkunft. Sind die Wurzeln in der Partnerwahl unleugbar präsent?

AB: Ich will die Wurzeln gar nicht verleugnen.

wina: Wie würden Sie denn Ihre jüdische Identität beschreiben?

AB: Mich interessiert alles Jüdische sehr. Aber ich gehöre nicht dazu. Schauen Sie, die Religionszugehörigkeit ist in Europa vererbt, das heißt, man wird geboren und gehört dazu. In Argentinien gehört man einer Religionsgemeinschaft an, wenn man in sie eintritt.

wina: Wer Jude ist oder nicht, ist aber doch in der Halacha festgelegt.

AB: Wenn die Eltern wollen, erziehen sie das Kind jüdisch. Wenn die Eltern wollen, wird das Kind beschnitten. Meine Eltern hätten gar nicht anders können, als in der Synagoge zu heiraten. Aber mich beschneiden lassen haben sie nicht.

wina: Sind Sie dem Judentum nur über Ihre Verfolgungsgeschichte verbunden?

AB: Nein, weil mich die jüdische Geschichte und Kultur sehr interessieren.

wina: Ist es Ihnen wichtig, Jude zu sein?

AB: Ich bin nicht religiös. Ich finde, dass die Assimilation der Juden in den früheren Generationen schon längst stattgefunden hat – und das absichtliche Absondern behagt mir nicht. Aber natürlich, Kampf gegen Antisemitismus muss sein. Es gibt viele Juden, die sagen, gegen den Antisemitismus kann man nichts machen, da kann man sich nur in sich selbst zurückziehen. Diesen Standpunkt teile ich nicht.

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wina: Als Sie jung waren, noch in Wien, wie haben Sie sich Ihre Zukunft hier vorgestellt?

AB: Ich wäre wohl auch Arzt geworden. Mein Vater wollte Arzt werden, aber er war Kaufmann und hatte eine Kleidererzeugung. Er wollte dann unbedingt, dass ich es werde. Meine Mutter war Pharmazeutin. In Argentinien hat sie das dann aufgegeben und mit meinem Vater gearbeitet. Wir dachten ja, wir werden ganz arm sein in Argentinien und von trockenem Brot leben. Da musste man zusammenhalten.

wina: Tatsächlich ging es besser, als Sie sich das vorgestellt hatten?

AB: Nicht, dass es leicht gewesen wäre. Aber es ging.

wina: Und wie ist die Situation für Flüchtlinge in Argentinien heute?

AB: Die Flüchtlinge, die kommen, meist aus Asien, kommen arm oder noch ärmer, als wir waren. Die Argentinier sind uns gegenüber gastfreundlich und offen, aber leider mit denen, die aus den umliegenden Ländern kommen, sind sie es nicht. Da wird gesagt, die kommen her und nehmen uns die Arbeit weg. Oder sie sagen, das sind Diebe.

wina: Treten Sie immer noch gegen solche Ungerechtigkeiten auf?

AB: Aber sicher doch.

Die fünf Romane, aus denen sich Die Vorgänger zusammensetzt, ist die Chronik der Geschichte von 1848 bis 1938, die Abrechnung mit den Siegen und Niederlagen im Kampf um jüdische Emanzipation, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in Österreich. Alfredo Bauers Romanzyklus verknüpft dabei kritische Realität und Fiktion, Familien- und Weltgeschichte.

Alfredo Bauer Cover Die Vorgänger

Los compañeros antepasados erschien bereits Ende der 1970er-Jahre auf Spanisch und liegt nun erstmals vollständig in deutscher Übersetzung vor. Als Anstoß und Grundlage für die Pentalogie diente das Tagebuch seines Urgroßvaters, Adolf Baiersdorf. Dieses wurde von einer Tante vor ihrer Deportation nach Theresienstadt versteckt. Sie überlebte, fand dieses Zeitdokument wieder und übergab es schließlich ihrem Neffen Alfredo Bauer, der daraus eine Chronik bürgerlich-jüdischer Emanzipation schuf.

Der Autor beginnt im ersten Buch, Verlorene Hoffnung, mit dem Revolutionsjahr 1848 und erzählt vom Medizinstudenten Adolf Baiersdorf, der bei der Revolution in der „Akademischen Legion“ mitkämpft. Im zweiten Buch, Trügerischer Glanz, werden die Jahre 1849 bis 1890 geschildert. Adolf Baiersdorf wird zum erfolgreichen Industriellen. Sein Sohn Karl zum Sozialisten, ohne die revolutionäre Vergangenheit des Vaters zu kennen. Im dritten Buch, Dem Abgrund zu, rücken Adolf Baiersdorfs Kinder in den Mittelpunkt. Die Entstehung der Arbeiterpartei und der Zustand der österreichisch-ungarischen Monarchie vor dem Ersten Weltkrieg werden geschildert. Feuerprobe, das vierte Buch, erzählt von der Zeit während des Krieges, von der Russischen Revolution und vom Zerfall der Donau-Monarchie. Schließlich führt das fünfte Buch, Neue Welt, zu Alfredo Bauers Generation, zum Einmarsch Hitlers in Österreich, zur Flucht nach Argentinien und zum Leben im Exil.

[box_dark]Zur Person

Alfredo Bauer, geb. 1924 in Wien, flüchtete 1939 mit seinen Eltern nach Argentinien, studierte Medizin, wurde Arzt und Geburtshelfer, begann zu schreiben und engagierte sich politisch in diversen linken Organisationen. Sein erstes literarisches Werk, Die Antwort, schrieb er 1944. Es folgten Romane und Essays, Dramen, ein Opernlibretto und Übersetzungen von Heinrich Heine, Jura Soyfer und Felix Mitterer ins Spanische. Bauer lebt in Buenos Aires.

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