Es geht nicht um den Pudding, Idioten!

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Warum wollen junge Israelis weg aus Israel? Eine graue Wolke aus wachsendem politischen Extremismus, steigenden Preisen und fehlender Sicherheit veranlasst die junge Mittelschicht umzudenken. Von Iris Lanchiano

Naor Narkis, 25 Jahre alt, ehemaliger Offizier in der israelischen Armee, App-Entwickler und seit fünf Monaten in Berlin, musste sich im letzten Monat viele böse Kommentare gefallen lassen. „Volksverräter“ und „Antizionist“ wurde er von israelischen Politikern genannt.

Zur Vorgeschichte. Vor einem Monat hat Naor Narkis, zu diesem Zeitpunkt noch anonym, ein Foto einer Rechnung aus einem deutschen Diskontsupermarkt ins Internet gestellt mit der Aufforderung „Auf nach Berlin“. Damit wollte er weitere Israelis dazu ermutigen, nach Berlin zu kommen, um ein Zeichen gegen die massiven Lebenserhaltungskosten in Tel Aviv zu setzten. Auf der Rechnung zu sehen ist ein Schokopudding für 19 Cent. In Israel kostet ein vergleichbares Produkt das Dreifache. Diese Geschichte sorgte in den sozialen Medien für große Aufregung. In einer seiner Stellungnahmen heißt es, „Es geht nicht um den Pudding, Idioten!“, um sich gegen den Vorwurf zu wehren, er verkaufe seine jüdischen Werte für einen Pudding. „Die Politiker haben Israel zu einer Nation von Generalskindern und Hightech-Neureichen gemacht, also sollen die mir nichts von Zionismus erzählen“, so Narkis.

Die Lebenserhaltungskosten in Tel Aviv sind absurd und es herrscht ein ständiges Leben auf Ratenzahlung.

Bei einem Gespräch mit meinen israelischen Freunden Tal, Amit und Rina, alle aus der Mittelschicht, Studenten, Zionisten, die auch den Wunsch haben, Israel zu verlassen, war man sich bei einer Sache einig: Die Lebenserhaltungskosten in Tel Aviv sind absurd und es herrscht ein ständiges Leben auf Ratenzahlung.

pudding„Meine Oma ist aus Berlin vor den Nazis geflüchtet. Ihre Generation und die Generation meiner Eltern haben dieses Land aufgebaut, wir sind Zionisten durch und durch, aber angesichts der Zukunftsaussichten in diesem Land würde ich auch nach Berlin gehen, obwohl sie sich vielleicht im Grabe umdrehen würde. Heutzutage bist du als Linker ‚uncool‘ – das sehe ich in der Schule meiner jüngeren Schwester“, erzählt der Psychologiestudent Tal.

„Ich gehöre zu jenen, die 2011 auf dem Rothschild-Boulevard protestiert haben. Ich kenne die Vorteile in unserem Land und ich weiß, dass vor allem Neueinwanderer viele Vorteile haben. Aber was ist mit uns? Mit dem Durchschnittsisraeli, der seinen Militärdienst geleistet hat, studieren und sich eventuell einmal eine Wohnung kaufen möchte und eine Familie ernähren will? Uns werden die Studienplätze nicht geschenkt. Wir müssen Aufnahmetests machen und viel Geld zahlen. Ich kann nicht vorausplanen, wann ich mein Studium beende, denn alle paar Jahre kommen ein Krieg und mein Reservedienst dazwischen. Bei den Mietpreisen in Tel Aviv und dem Durchschnittsgehalt ist es unmöglich, Geld auf die Seite zu legen. Ach ja, und wenn ich mich jemals in ein nicht-jüdisches Mädchen verlieben sollte, dann kann ich sie hier nicht einmal offiziell heiraten“, meint der verärgerte BWL-Student Amit.

„Meine größte Sorge ist der Rassismus in diesem Land. Ich bin aus Jerusalem, und dort ist es schlimm, wie die Menschen einander behandeln. Ich rede nicht nur vom Rassismus gegenüber Arabern, auch von der Intoleranz gegenüber Nicht-Juden in diesem Land. Alles dreht sich um Religion und Politik. Ich bin in Dagestan, Machatschkala, geboren und weiß, wie es ist, Immigrant zu sein, und ich würde es noch einmal in Kauf nehmen“, erzählt die Filmstudentin Rina.

Ich kann die Generation der Endzwanziger und Mittdreißiger gut verstehen, dennoch schmeckt mir der Pudding hier besser.

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