„EU-Antidiskriminierungs- gesetze müssen angewendet werden“

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Die Kommunikationsexpertin und Sprachsoziologin Ruth Wodak war im Herbst zu Gast im Literaturcafé von IKG.Kultur. WINA befragte die Wissenschafterin zu islamischem Antisemitismus und einem allfälligen Antiislamismusgesetz. Von Alexia Weiss

WINA: Wir waren diesen Sommer angesichts der Auseinandersetzung zwischen Gaza und Israel europaweit massiv mit islamischem Antisemitismus konfrontiert. In Paris war auf der Straße „Tod den Juden“ zu hören. Wie beurteilt die Sprachwissenschafterin hier – ist das NS-Wiederbetätigung oder doch etwas anderes?

Ruth Wodak: Ich habe mich damit nicht im Detail beschäftigt, aber was ich dazu gelesen und gehört habe, ist dies nicht als Wiederbetätigung im Sinn unseres Verbotsgesetzes zu werten. Die Aggression und Verhetzung hat andere Gründe, sie sind im Endeffekt aber ähnlich wirksam. Hier müssen die EU-Antidiskriminierungsgesetze und die Verhetzungsgesetzgebung angewendet werden. Es ist daher sicher sinnvoll, den Verhetzungsparagraphen zu reformieren.

„Man ist sozusagen daraufgekommen, dass man die Religions- und Meinungsfreiheit in manchen Fällen zu locker implementiert hat.“

Es war eine Situation, wo die eine Minderheit gegen eine andere hetzt. Was ist das für ein Phänomen?

❙ Ein wohl bekanntes. Es ist wie im Wartezimmer eines Arztes – wem geht es schlechter? Die bevorzugte Minderheit ist jene, die sich subjektiv am ärmsten wähnt und daher die meisten Ressourcen bekommen wollte. Abgrenzung findet aber auch zwischen schon eingebürgerten MigrantInnen und neuen Zuwanderern statt. Da geht es dann darum, dass immer mehr Menschen an den knappen Ressourcen teilhaben wollen und sollen. Ein weiteres bekanntes Phänomen ist jenes, das wir als „überkompensieren“ bezeichnen. Dabei leugnet die zweite Generation oft ihre Herkunft und will nichts mehr mit ihrem Elternhaus und dort herrschenden Traditionen zu tun haben.

Was halten Sie von Überlegungen, das Verbotsgesetz auf Islamismus auszuweiten oder ein eigenes Antiislamismusgesetz zu schaffen?

❙ Ich halte nichts davon, weil Rassismus ganz klar in der EU-Antidiskriminierungsgesetzgebung definiert wird. England hat darüber hinaus auch ein Gesetz zu hate incitement und andere Gesetze, die sogar die sehr wichtige Gesetzgebung zu freedom of speech im Einzelfall außer Kraft setzen können. Es gibt also eine entsprechende Gesetzgebung. Sie muss nur implementiert werden.

In Österreich, in Deutschland, in anderen europäischen Staaten hat man ein bisschen das Gefühl, dass es insofern ein Sprachproblem gibt, als man nicht weiß, was Imame wirklich predigen. Wurde hier etwas übersehen?

❙ Ja, dies ist vor allem in England passiert. Dort hat man sicher auf Grund der liberalen Integrationspolitik unter New Labour und im Rahmen der dort herrschenden multikulturellen Gesellschaft, die ganz anders ist als etwa in Frankreich, etwas Wesentliches übersehen. Die Auswirkungen dieser Nachlässigkeit waren zuletzt so gefährlich, was Verhetzung betrifft, dass einige islamistische Imame ausgewiesen wurden. Man ist also sozusagen daraufgekommen, dass man die Religions- und Meinungsfreiheit in manchen Fällen zu locker implementiert hat. Ich denke also schon, dass man darauf achten muss, wie man überhaupt bei allen fundamentalistischen Religionen aufpasst.

Gibt es hier einen Bedarf an mehr Übersetzern oder mehrsprachigen Beamten?

❙ Nein, das glaube ich nicht. Man braucht mehr Religionssoziologen und Kulturwissenschafter, also Experten und nicht Beamte. Es geht ja nicht nur ums Übersetzen, sondern vielmehr darum, dass man auch den kulturellen Hintergrund mitverstehen muss und auch wissen sollte, was bestimmte Begriffe, Rituale und Religionsinterpretationen meinen.

Ich glaube, dass da Expertentum wichtig ist – und natürlich die Förderung von Multilingualismus, also Mehrsprachigkeit.

Mehrsprachigkeit – da sind wir beim Thema Schule. Sind wir in Österreich auf einem guten Weg?

❙ So kurz kann ich dies nicht beantworten, da Mehrsprachigkeit viele Dimensionen in der Ausbildung besitzt. Wenn es beispielsweise um zugelassene Sprachen bei der Matura geht, muss ich Folgendes anmerken: Wenn Türkisch nicht zur Matura zugelassen wird, andere Migrantensprachen aber schon, dann verstehe ich, dass es daran viel Kritik gibt und sich manche MigrantInnengruppen ausgegrenzt und diskriminiert fühlen.

Ruth Wodak
geboren 1950 in London, ist eine österreichische Sprachwissenschafterin und Professorin für Sprachwissenschaften an der Universität Wien (seit 1991) und an der Lancaster University. Sie studierte an der Universität Wien Slawistik, osteuropäische Geschichte und Sprachwissenschaft und habilitierte zum Thema „Das Wort in der Gruppe. Linguistische Studien zur therapeutischen Kommunikation“.

© apa picturedesk/Roland Schlager

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