Ein ewiges Dilemma

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Das ewige Spannungsfeld Israel-Berichterstattung: Der Medien-Bias zwängt Juden oft in eine Rolle, in der sie in einer Tour zur Rechenschaft gezogen werden. Gedanken zu einem enervierenden Phänomen.

Von Alexia Weiss   

Nein, als in Österreich lebende Jüdin bin ich nicht verantwortlich dafür, was in Israel politisch passiert. Ich bin nicht verantwortlich dafür, dass Palästinenser bei Checkpoints überlange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen oder jüdische Siedler ihrem Unmut mehr als lautstark Stimme verleihen. Ich will weder vorgehalten bekommen, dass mutmaßliche Terroristen vorzugsweise gleich erschossen werden, noch, dass die israelische Armee ohnehin eine der stärksten der Welt sei. Warum? Ich bin Österreicherin, österreichische Jüdin, nicht wahlberechtigt in Israel.

Wenn nicht wenigstens wir uns weltweit solidarisch zeigen, steht der Staat Israel ziemlich alleine da.

Und dennoch: Natürlich poste ich auf Facebook, wenn wieder einmal etwas in Israel passiert, das an der österreichischen Öffentlichkeit eher vorbeizugehen scheint. Da marschiert ein Attentäter in ein Lokal auf der Dizengoff-Straße und schießt in die Menge, und auf orf.at liest man geschlagene sieben Stunden nach den ersten Berichten in israelischen Medien davon. Da gibt es Raketenangriffe, und hierorts wird vorzugsweise erst über den israelischen Gegenschlag berichtet. Mit dem Angriff Israels in der Headline und den vorausgegangenen Attacken unter ferner liefen.

Ähnlich verhält es sich mit den seit September anhaltenden Messerangriffen. In zusammenfassenden Absätzen liest man dann mit Erstaunen, wie viele Palästinenser bei diesen Zusammenstößen bereits ums Leben kamen und wie viele Israelis, wobei die Zahl der getöteten Palästinenser ein Vielfaches beträgt. Wie passend sind da Memes, die durch die sozialen Medien geistern, die sinngemäß die Botschaft weitertragen: Wie können Palästinenser ihr Leben schützen? Indem sie sich nicht mit Messern auf Juden stürzen. Punkt.

Aber ja, natürlich ergibt sich aus dieser Gemengelage ein Dilemma: Wenn man das Bedürfnis verspürt, auf seiner Facebook-Wall Nachrichten aus Israel zu verbreiten, auch aus einem Gefühl heraus, hier ein bisschen Bewusstseinsarbeit zu leisten, Öffentlichkeit zu schaffen, Informationen, die es nicht in heimische Medien schaffen, zu verbreiten, kann es auf der anderen Seite nicht überraschen, wenn man von Nichtjuden den Spiegel vorgehalten bekommt. Wenn diese einem jene News aus Jerusalem, Hebron, der Westbank unter die Nase halten, mit denen man sich eben nicht identifiziert. Einerseits. Andererseits: Warum haftet solchen Aktionen dann immer dieser Geruch nach Schadenfreude an? Dieser Nachgeschmack, der sagt: „Der oder dem hab ich’s jetzt aber wieder gezeigt.“

Wenn es um Israel geht, scheint es, sind die Positionen abgesteckt und eingenommen, selbst ohne dass sich so mancher tatsächlich mit der Entstehung des heutigen Staates, dessen Geschichte während der vergangenen Jahrzehnte, mit dem aktuellen Alltag der Bevölkerung dort tiefer gehend auseinandergesetzt hat. ISIS hat die gesamte Region in Instabilität gestürzt, und auch Israel ist nicht davor gefeit, Ziel von Anschlägen zu werden (bzw. ist nicht gesagt, dass ein Teil der Attentate der vergangenen Wochen ohnehin nicht bereits auf das Konto dieser Terrorgruppe bzw. Nachahmern, die sich im Sinn von ISIS handelnd sehen, geht). Wenn Eltern, wie nach dem Anschlag auf der Dizengoff, ihre Kinder im Norden Tel Avivs einmal ein, zwei Tage nicht in die Schule schicken, ist für israelische Verhältnisse ein relativ hoher Stresspegel erreicht. Das wird nur hier in Europa so gut wie nicht wahrgenommen. Und daher fühlt man sich als europäischer Jude eben dazu bemüßigt, darauf hinzuweisen, einfach aus dem Gefühl: Wenn wir es nicht tun, tut es niemand. Wenn nicht wenigstens wir uns weltweit solidarisch zeigen, steht der Staat Israel ziemlich alleine da (man denke nur an die seit Jahren einseitig gestalteten UNO-Berichte, wenn es um Menschenrechtsverletzungen weltweit geht). Was aber das beschriebene Spannungsfeld nicht auflöst. Damit müssen wir wohl leben.

Zeichnung: © Karin Fasching

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