Exil als Laboratorium

„Doing Gender in Exile“: Die diesjährige Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung befasst sich von 18. bis 20. Oktober in Wien mit Geschlechterverhältnissen im Exil. Warum man dabei durchaus auch die Flüchtlingssituation der Gegenwart erörtern will, verrät die Politikwissenschafterin Irene Messinger im Gespräch mit WINA. Sie organisiert gemeinsam mit der Historikerin Katharina Prager* die Tagung.

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Vergebliches Warten auf Asyl: Frauen auf der „St. Louis“ auf der Flucht vor dem NS-Terror in Deutschland. Hier: im Hafen von Havanna. Foto: Die Veranstalter

Exilforschung ist eine marginalisierte Wissenschaftsrichtung – in Österreich gibt es hier keine einzige Professur, kritisiert Messinger. Dabei gäbe es – zum Beispiel mit dem Schwerpunkt Gender – noch viele Leerstellen und bisherige Tabuthemen, die aufzuarbeiten sich schon deshalb lohnen würde, weil man daraus für die aktuellen Fluchtbewegungen, aber auch für den Integrationsbereich lernen könnte. Die heurige Tagung, die auch an die 2012 verstorbene Exilforscherin Siglinde Bolbecher erinnern soll, die stets den Aktualitätsbezug mitgedacht hatte, verknüpft daher Gender- mit Exilforschung und startet sowie endet mit Panels mit Verweisen auf die Gegenwart.
Zum Auftakt diskutiert Messinger mit Janna Wessels, die an der Universität Gießen zur Rolle von Gender und sexueller Orientierung als Fluchtgrund forscht, und mit Paul Scheibelhofer, der an der Uni Innsbruck zu Männlichkeitskonstruktionen im Fluchtkontext arbeitet. Diese beiden Tagungsteilnehmer – insgesamt werden 150 Wissenschafter und Wissenschafterinnen erwartet – will Messinger fragen, „was wir in Bezug auf Geschlechterrollen lernen können, und zwar umgekehrt. Was sind die Themen, die heute die Forschung beschäftigen, und welche Aspekte können in die Exilforschung zurückgetragen werden? Was kann also die Exilforschung von der aktuellen Geschlechter– und Flüchtlingsforschung lernen?“
Wie es mit Geschlechterzuschreibungen im heutigen Exil aussieht, beleuchtet das Schlusspanel der Tagung. Doktorandinnen haben sich die Situation von afghanischen Frauen in Deutschland, jessidische Emigration und das neue Leben von Frauen, die gegen die Mafia kämpften und heute im Exil leben, angeschaut.

»In der Exilforschung fällt uns immer wieder ein class bias auf.« Irene Messinger

Vergleiche der NS-Zeit mit dem Heute: Da fühlen sich immer wieder Betroffene oder Nachfahren von NS-Opfern herabgewürdigt. Damit verharmlose man den Nationalsozialismus. Messinger kennt diesen Diskurs. „Wir vergleichen nicht, wir ziehen Parallelen. Es ist uns schon klar, dass die Schoah etwas anderes ist als die Vernichtung in Syrien, im Irak oder anderswo. Es geht hier nicht um die fluchtauslösenden Momente, sondern das Leben im Exil. Und die Exilsituation ist einfach extrem vergleichbar. Das fängt an beim Arbeitsverbot und zieht sich hin bis zu den Rollenbildern, die ihnen zugeschrieben wurden und werden.“

Rollenbilder: Dieses Thema zieht sich durch alle Panels, die sich bei der Tagung mit der Exilsituation in und nach der NS-Zeit befassen. Ob arbeiten im Exil,
schreiben im Exil oder auch Queerness: Es machte einen Unterschied, ob man als Frau oder Mann in der Emigration landete. Lange wurde in der Exilforschung das Bild der Frau reproduziert, die vorher noch nie gearbeitet hatte und nun mit unqualifizierter Arbeit die Familie über die Runden brachte, und des Mannes, der sich nicht rasch zurechtfand. Doch all das muss wesentlich differenzierter betrachtet werden. Männer standen zum Beispiel Stipendienprogramme an Unis leichter offen – Frauen eher nicht. Männer investierten Zeit in den Spracherwerb und gelangten schließlich in qualifiziertere Jobs. Auf der anderen Seite gab es Frauen, die auch schon in Deutschland oder Österreich gearbeitet hatten – denn im Arbeitermilieu mussten auch hier zu Lande Frauen arbeiten, um die Familie zu ernähren. „In der Exilforschung fällt uns immer wieder ein class bias auf“, so Messinger. Inzwischen sei man zwar weg von den Superprominenten und bei der Mittelschicht angekommen. „Aber das Exil der kleinen Leute bildet sich unter dem Geschlechteraspekt wieder nicht ab.“ Auf Beiträge etwa zum Leben einer Erika Mann habe man daher bewusst verzichtet.
Enttäuscht waren die Tagungsorganisatorinnen allerdings, dass seitens der Einreichenden so gar nichts zu Exilgeschichten eben etwa aus Arbeiterfamilien kam. Wobei Messinger darauf hinweist, dass das auch immer ein Problem des Nachlasses sei. Einerseits brauche es ein biografisches Bewusstsein, also die Erkenntnis, dass jemand das eigene Leben interessant finden könnte. Doch wer dokumentiere es dann auch, führe etwa Tagebuch? Und dann gebe es aus Sicht der nachfolgenden Generation(en) die banale Frage: Gibt es genug Platz, um biografisches Material aufzubewahren? „Wer hat die trockenen Dachböden und wer die schimmligen Keller?“

Irene Messinger ist Politikwissenschafterin und war lange Jahre Mitarbeiterin der IKG-Redaktion.

Bei dem, was dokumentiert wurde, stellen die Forschenden wiederum nach und nach fest, dass die Rollen selbst durch die Betroffenen – etwa in Zeitzeugeninterviews – falsch dargestellt wurden. „Es ist und war schwierig, darüber zu reden, dass Exil auch etwas Positives sein konnte. Bei Kindern ist es manchmal aufgekommen, die später über die Kindertransporte geschrieben haben, das war ein Abenteuer. Das war das Beste, was ihnen passieren konnte.“
Vor allem erwachsene Frauen taten sich da schwerer. Sie hatten schon mit der Schuld des Überlebens zu kämpfen, mit dem Vorwurf, warum sie gegangen seien und sich zum Beispiel nicht um ihre Eltern gekümmert hätten, wie es auch ihrer Frauenrolle entsprochen hätte. „Und dann haben sie im Exil auch noch etwas Positives erlebt. Doppelt arg.“ Für Frauen bot die Emigration nämlich durchaus die Chance, sich zu emanzipieren, selbstständig zu werden, aber auch eine andere Sexualität – etwa als Lesbe – auszuleben.

»In den Wertekursen für Geflüchtete werde vermittelt, dass es in Österreich gleiche Rechte für Männer und Frauen gebe. Dann müsse man das aber auch als Gesamtgesellschaft so sehen und den geflüchteten Frauen Chancen einräumen.«

Emigration als Laboratorium, um zu sich selbst zu finden. In der Genderforschung ist der Begriff des Labors, eines Raums, in dem man etwas Neues ausprobieren kann, schon länger bekannt. Die Exilforschung will diesen Begriff nun auch in ihrer Wissenschaft anwenden: die Emigration als Laboratorium, um zu sich selbst zu finden. Bezogen auf die Gegenwart kann das bedeuten: Menschen, die aus Staaten kommen, in denen Homosexualität verboten ist lernen in Österreich überhaupt erst kennen, was queere Kultur bedeutet. Sie können sich endlich zu jener Identität bekennen, der sie sich mehr verbunden fühlen – selbst dann, wenn sie mit einem Ehepartner und Kindern hierher geflüchtet sind. Ein anderes Beispiel: Afghanische Frauen hätten oft einen großen Wissensdurst. Da sie häufig viele Kinder hätten, meine man hier, sie würden wohl am besten zu Hause bleiben. „Man kann aber nicht einfach sagen, die wollen nur viele Kinder. Man muss Lösungen finden. Man sollte also verstärkt Kinderbetreuung für diese Familien anbieten.“
In den Wertekursen für Geflüchtete werde vermittelt, dass es in Österreich gleiche Rechte für Männer und Frauen gebe. Dann müsse man das aber auch als Gesamtgesellschaft so sehen und den geflüchteten Frauen Chancen einräumen. Damit nicht auch sie einst wie viele Frauen nach der NS-Zeit sagen, nur Männern seien Stipendien an Unis gewährt worden. Und die Jobs, welche Hilfsorganisationen an Frauen vermittelten, waren im Gegenzug immer nur Hilfsjobs.

INFO:
Doing Gender in Exile
18.-20. Oktober 2017
Programm unter: doinggenderexile.pdf

Weitere infos finden Sie unter: doinggenderexile.web

*im Auftrag der Frauen-Arbeitsgemeinschaft der Gesellschaft
© wikimedia

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