„Früher zählte ich Publikationen, heute zähle ich Überlebende“

Weshalb ein wissenschaftliches Projekt gleichzeitig ein lebensrettendes Friedensprojekt sein kann, erklärte die arabisch-israelische Spitzenforscherin Amal Bishara vom Hadassah Medical Center in Jerusalem bei einer Präsentation ihrer Arbeit an der Med Uni Wien.

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Friedensprojekt, das tatsächlich Menschenleben rettet. Amal Bishara (re.) im Gespräch über ihre Arbeit mit Anita Pollak. © Konrad Holzer

WINA: Wie gelangt man aus einem kleinen arabischen Dorf in Galiläa zur wissenschaftlichen Spitze am Hadassah Medical Center in Jerusalem?
Amal Bishara:
Ich komme aus einer sehr gebildeten Familie, und für uns war es klar, dass wir studieren würden. Auch meine drei Schwestern und mein Bruder sind Akademiker. Ich studierte an der Hebrew University in Jerusalem Immunologie und Mikrobiologie und arbeite seit 1987 im Team von Professor Brautbar am Hadassah sowohl im klinischen Bereich wie auch in der Grundlagenforschung, seit einigen Jahren als Co-Direktorin des Labors.

Wie ist die Arbeitsatmosphäre am Hadassah, wo die Wissenschaftler so verschiedene Wurzeln haben?
Die Atmosphäre ist immer gut, d. h. wir haben sehr gute Beziehungen am Arbeitsplatz, aber wir lassen unsere persönlichen Ansichten draußen.

Sie starteten vor zehn Jahren mit dem Aufbau einer Datenbank für nicht verwandte arabische Knochenmarkspender. Weshalb ist die Knochenmarkspende eine lebenserhaltende Maßnahme?
Die Knochenmarktransplantation ist eine Behandlung für viele hämatologische Erkrankungen wie Leukämie und einige Lymphome, aber auch für etliche genetische Erkrankungen, insgesamt für fast 100 Krankheitsbilder und daher sehr wichtig. Für einige davon ist es die einzig mögliche Therapie. Den besten Spender findet man innerhalb der Familie, aber bei kleinen Familien gibt es oft keinen solchen. Für diese Patienten wurde eine weltweite Spenderdatenbank mit heute 33 Millionen potenziellen Spendern geschaffen.

»Wir mussten viele Vorurteile bekämpfen,
aber auch nichts beschönigen.«
Amal Bishara

Weshalb muss es eine spezielle Erfassung arabischer Spender geben?
Spezifische ethnische Aspekte sind für die Spendersuche wichtig, denn wir müssen Übereinstimmungen im genetischen System finden. Bei arabischen Patienten hatten wir oft das Problem, dass man auf Grund der Ethnizität weder in internationalen noch in lokalen Meldesystemen passende Spender finden konnte. Und wir hatten in Israel keine arabischen Spender registriert. Es gibt eine genetische Krankheit, die auf Grund von Inzucht vermehrt in arabischen Communitys vorkommt. Fast 70 Prozent der Kinder, die eine Knochenmarktransplantation brauchen, haben keinen Krebs, sondern diese genetischen Krankheiten. Ihre Überlebenschance nach einer Knochenmarkspende ist über 90 Prozent.

Wie sind Sie an dieses Problem herangegangen?
Es war mir klar, dass man die Bevölkerung ansprechen und informieren musste, und das übernahm ich selbst, da ich ihre Sprache spreche. Anfänglich hatten Menschen Angst, Knochenmark zu spenden, aber jetzt ist das ein sehr sicherer Prozess. Wir mussten viele Vorurteile bekämpfen, viel erklären, aber auch nichts beschönigen. Vor zehn Jahren haben wir mit Vorträgen in medizinischen Einrichtungen, Schulen und Gemeinden begonnen und haben nun mehr als 30.000 arabische Spender im System der Hadassah.

Es gibt eine große arabische Welt, warum gab es in dieser keine solche Datenbank, wenn doch die Ethnie ein wesentlicher Aspekt ist?
Es gibt mehrere Gründe. Erstens ist Knochenmarktransplantation ein Luxus, d. h. sehr teuer, jetzt gibt es aber bereits welche in den Emiraten. Weil arabische Familien groß waren, konnten sie oft verwandte Spender finden, aber bei 40 Prozent der arabischen Patienten in Israel haben wir keine solchen Spender, deshalb war dieses Projekt so wichtig.

Gibt es eine Kooperation mit anderen arabischen Zentren?
Nicht direkt, aber wenn ein Patient in Not ist, gibt es dort Suchanfragen über Umwege, etwa über Deutschland oder Amerika.

In welcher Hinsicht ist das Projekt ein Friedensprojekt, als das Sie es bezeichnen?Wir erklären zukünftigen Spendern, dass neben arabischen Empfängern auch die Möglichkeit besteht, dass ein nicht-arabischer Patient ihre Knochenmarkspende erhält. Wir haben bis jetzt insgesamt 81 arabische Spender, die jüdischen Patienten in Israel und anderen Empfängern in 24 Ländern weltweit gespendet haben.

Gibt es auch das umgekehrte, also jüdische Spender für arabische Empfänger?
Ja, man weiß ja nicht, für wen man spendet, wir haben aber ein Programm, das vorsieht, dass sich Spender und Empfänger nach einem Jahr treffen können, wenn beide einverstanden sind. Denn erst nach einem Jahr kann man sagen, dass die Überlebenschancen des Patienten groß sind. Es gibt sehr berührende Treffen auch zwischen jüdischen und arabischen Spendern und Patienten. Das ist ein schönes Symbol für gegenseitige Hilfe und Akzeptanz auf beiden Seiten, und da sind viele Emotionen im Spiel, vor allem weil bei den genetischen Fällen ja vor allem Kinder betroffen sind. Das Projekt hat mir gezeigt, wie viele gute Menschen es gibt.

In welcher Weise wurde Ihre Arbeit besonders von Hadassah Austria und der Kahane-Stiftung gefördert?
Wir starteten unser Projekt mit Hilfe eines Zuschusses, den wir von Hadassah Austria bekamen, und Susi Shaked (Präsidentin von Hadassah Austria) stellte den Kontakt zur Kahane-Stiftung her. Diesen Organisationen verdanken wir im Wesentlichen unsere finanzielle Förderung. Potenzielle Spender muss man ausführlich testen, und das kostet etwa 50 Dollar, das muss man mit 33.000 multiplizieren, denn so viele haben wir jetzt in unserer Datenbank.

Wie soll es nun nach dem ersten Jahrzehnt weitergehen?
Wir wollen verstärkt bei jungen Menschen das Bewusstsein fördern, wie wichtig es ist zu spenden. Kürzlich haben wir eine NGO gegründet, „Friends to Marrow“, mit Menschen, die mich viele Jahre begleitet haben, viele hochmotivierte arabische Frauen, aber etwa auch mit einem arabischen Spender, der einem jüdischen Buben gespendet hat. Sie alle teilen gerne ihre Erfahrungen und Geschichten mit, z. B. bei Medienkontakten.

Machen Sie nun vermehrt PR und Fundraising für das „Friedens-projekt“ oder sind Sie auch noch im Alltag dabei?
Ich bin bei jeder Spende die ganze Zeit persönlich dabei, und oft halte ich auch die Hand des Spenders, denn der Prozess ist durchaus nicht schmerzfrei. Bei meinen Vorträgen sage ich immer, einmal war ich eine Wissenschaftlerin und zählte Publikationen, jetzt bin ich mit Lebensrettung befasst und zähle Überlebende, und das ist viel befriedigender.


Dr. Amal Bishara erhielt ihr PhD von der Hebrew University in Jerusalem und begann nach einem Post-Doc-Training in den USA ihre wissenschaftliche Arbeit am Hadassah Medical Center. 2008 initierte sie gemeinsam mit Prof. Chaim Brautbar und Dr. Shoshana Israel das weltweit größte Knochenmarktransplantationsregister für nichtverwandte arabische Spender. Sie wurde dafür als eine von 13 „Outstanding Woman Scientist“ im Mittleren Osten gewählt.

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