Grenzlinien der Liebe

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Die hitzige Debatte um Dorit Rabinyans Roman, der eine israelisch-palästinensische Romanze beschreibt, sagt vor allem etwas über die Unzulänglichkeit der Israelis aus, sich mit dem Thema jüdische Identität in ihrem eigenen Nationalstaat angemessen zu befassen.     Von Gisela Dachs

Weil über Dorit Rabinyans Roman Borderline nun schon so viel geredet wurde, auch wenn ihn die meisten gar nicht gelesen haben, soll die Autorin mit ihrer preisgekrönten Prosa nun hier auch einmal selber zu Wort kommen. (Zu den Nichtlesern gehörte unter anderem Erziehungsminister Bennett, der sich aber voll hinter die Entscheidung einer seiner Spitzenbeamtinnen stellte, nachdem diese entschieden hatte, das Buch von der Empfehlungsliste für Prüfungsliteratur in den Gymnasien zu entfernen, weil dessen Lektüre die zarten Seelen der Jugendlichen und ihre jüdische Identität zu sehr mitnehmen könnte.)

Es geht dabei um eine – in Wirklichkeit eher unwahrscheinliche – Liebesgeschichte zwischen einer jüdischen Israelin, Liat, und einem muslimischen Palästinenser, Hilmi.

Es geht dabei um eine – in Wirklichkeit eher unwahrscheinliche – Liebesgeschichte zwischen einer jüdischen Israelin, Liat, und einem muslimischen Palästinenser, Hilmi. Die beiden lernen einander in New York kennen, während in der Heimat noch die Zweite Intifada tobt. Im Sommer kehren sie dann aber wieder in ihre jeweiligen Lebenswelten im Nahen Osten zurück. Sie versuchen auch hier ihre Beziehung noch ein wenig zu pflegen.

Die Szene spielt sich auf einem hoch gelegenen palästinensischen Balkon ab, im 9. Stock in Ramallah, mit Blick in Richtung Westen durch eine Kameralinse, die den Sonnenuntergang festhält. Zunächst taucht das rundum gelegene Westjordanland auf: „… die arabischen Dörfer erkenne ich leicht am Minarett und dem grünen Lichtreif, der an seiner Spitze brennt, und die jüdischen an dem neuen Weiß der Villenviertel, das in der Ferne glänzt. Die palästinensischen Häuser sind grau, wie unfertig, passen sich der Landschaft und ihren Farben an. Die jüdischen Häuser dagegen – noch und noch zweistöckige Würfel. Eigenheime mit schrägen roten Ziegeldächern.“ Dann aber richtet sich der Fokus deutlich auf „die Küstenebene und den Ballungsraum der Metropole, Tel Avivs Wohn- und Bürotürme, (man) sieht tatsächlich bis zum glitzernden blauen Streifen des Meeres. Und alles ist so nah, verblüffend nah, sechzig bis siebzig Kilometer, zum Greifen nah.“

Die demografische Sorge ist wohl begründet und tief verankert in der jüdischen Psyche. Nur hat diese in Israel heute eigentlich nichts zu suchen.

Israel, wie es sich vom 9. Stock in Ramallah darbietet, „sieht aus wie eine riesengroße Insel, wie ein hohes Betongebirge, das aus dem Meer wächst“. Und obwohl die Protagonistin weiß, dass die Kamera eigentlich nur den Glanz des Sonnenuntergangs einfangen will, kann sie „nicht umhin, uns dort zu sehen, Israel zu sehen, wie es in den schmalen Falkenaugen seiner Feinde aussieht. Mein Haus wie durch die Zielvorrichtungen von Raketen, durch Geschützrohre, durch Linsen und Zielfernrohre von Weiß-Gott-was. Ich kann nicht übersehen, wie alles dort so offen und verletzlich daliegt, wie kurz und intim die Entfernung ist. Unser geliebtes, prickelndes israelisches Leben, das da auf der anderen Seite abläuft, das Bild vom Erfolg und die Flotte an Hochhäusern, die in den Himmel ragen. Ich sehe uns und erschauere wieder, wie gestern. Wie neiderregend, wie wut und hassauslösend müssen wir für sie aussehen.“

Die Geschichte hat kein Happy End. Allerdings nicht, weil der Konflikt die Zweisamkeit schwer gemacht hätte, sondern weil der männliche Protagonist stirbt. Sein Tod lässt sich dabei aber auch nicht so einfach auf die Besatzung zurückführen.

Als der Roman 2014 auf Hebräisch erschien, hagelte es in Haaretz gerade deshalb Kritik. Hilmis Tod verschlage der Protagonistin zwar den Atem, schrieb Yitzchak Laor, aber er erleichtere sie auch von einer komplizierten Liebe. Das traurige Ende sei somit auch eine Art „Erfolg“. Die Autorin könne oder wolle nicht anders mit „Dissonanz umgehen als durch Liquidierung“. Laor warf ihr vor, dass sie nicht genug gewagt hätte, um eine tabubrechende Liebesgeschichte zu produzieren. Es handle sich um gut geschriebene Mainstream-Literatur, one-size-for-all. Mehr aber nicht.

Dorit Rabinyan, die politisch viel weiter rechts steht als der postzionistische Yitzchak Laor, beschreibt in ihrem Buch auch das unterschiedliche Denken ihrer beiden Protagonisten. Die Israelin Liat streitet für die Zweistaatenlösung, während der Palästinenser Hilmi für die „Einstaatenlösung“ plädiert. Als nun die Debatte über die „Zensur“ ihres Buches an den Schulen über Rabinyan hereinbrach, verteidigte sie ihr Werk in einem Interview als „ultra-zio­nistisch“, gerade weil es ja die Unmöglichkeit einer solchen Liebe als zentrales Thema behandle.

Aus der Sicht des Erziehungsministeriums aber spielte es keine Rolle, ob diese Liebe am Ende Früchte trägt oder nicht. Das Thema an sich sei schon eine Gefahr, weil es zur Ehe mit einem nichtjüdischen Partner ermutige. „Heranwachsende neigen zur Romantik und haben in vielen Fällen nicht den systematischen Standpunkt, der auch die Bewahrung der nationalen Identität mit einschließt.“ Einfacher gesagt: Hier ging es um die uralte Diaspora-Angst vor Assimilation.

Juden stellen ein Fünftel von einem Prozent der Weltbevölkerung. Juden in Israel sind eine winzige Minderheit in einer riesigen muslimischen Region. Und Juden in den anderen Ländern leben als kleine Minderheiten unter Christen. Die demografische Sorge ist wohl begründet und tief verankert in der jüdischen Psyche. Nur hat diese in Israel heute eigentlich nichts zu suchen. Denn der Staat war ja eigens gegründet worden, quasi als heilendes Gegengift, um den Juden ein Mehrheitsdasein in einer Mehrheitskultur zu bieten. Und das hat auch weitgehend funktioniert. Institutionalisierte jüdisch-arabische Paare sind die absolute Ausnahme. Wenn es eine Sorge gibt, die die große Mehrheit israelisch-jüdischer Eltern heute nicht umtreibt, dann ist es die, dass die eigenen Enkelkinder nicht jüdisch sein könnten.

Deshalb sagte die Debatte mehr aus über die Debattierenden als über die betroffene Literatur. Da ist eine ultra-rechte Regierung, die sich als Wörterpolizei geriert, da ist die Unzulänglichkeit der Gegner des Romans, die argumentativ als Israelis scheinbar nicht in der Lage sind, sich angemessen mit dem Thema jüdische Identität zu befassen.

Immerhin gab es eine Gewinnerin, die sich allerdings sehr zurückgehalten hat während der Debatte: Dorit Rabinyan. Auch sie halte die Aufrechterhaltung der großen jüdischen Mehrheit in Israel für absolut wichtig, sagte sie im Gespräch, gerade deshalb befürworte sie, wie viele andere Israelis auch, ein Ende der Besatzung der Palästinenser im Westjordanland.

Bild: © flash 90

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