„Hass zerstört Mitgefühl und hat oft fatale Folgen“

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Über den Kampf gegen Hetze im Netz, Zivilcourage, ihre eigene Politisierung und das Interesse am jüdischen Wien spricht Staatssekretärin Muna Duzdar mit Marta S. Halpert.

WINA: In Ihrer Funktion als Staatssekretärin für Diversität und Digitalisierung haben Sie bereits mehrfach die Verrohung der Sprache sowie Hetze und Diskriminierung im Internet angesprochen. Sie sagten unter anderem: „Wir müssen die Lufthoheit über die digitalen Stammtische zurückgewinnen.“ Wie wollen Sie das realisieren?

Muna Duzdar: Mit der Verschärfung des Verhetzungsparagrafen im Jänner 2016 sind wir mit dem Gesetz auf einem guten Weg: Der Tatbestand der Verhetzung wurde ausgeweitet und der Strafrahmen erhöht. Jetzt gilt es, das auch in die Praxis umzusetzen und die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren. Es soll niemand das Gefühl haben, dass er dem Hass im Netz ohnmächtig gegenübersteht, dass er das einfach so hinnehmen muss und nichts tun kann.

„Die Straßen Wiens sind stark mit der jüdischen Geschichte verknüpft, und die kulturelle Vielfalt prägt die Stadt bis heute.“

Es gibt eine von fünf Ministerien und dem Bundeskanzleramt getragene Initiative zum Thema Hass-Postings. Ich nehme an, dass hier auch antisemitische Vorfälle eingeschlossen sind?

❙ Ja, natürlich, alles, was hetzerisch und diffamierend ist. Überall, wo Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religion, Staatsangehörigkeit, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung auf einer persönlichen Ebene angegriffen werden, ist der Tatbestand der Hetze gegeben.

Was kann diese Initiative konkret bewirken?

❙ Erstens werden wir gemeinsam einen Leitfaden herausgeben, der Argumente gegen jedweden Hass im Netz liefert. Diese Kampagne wird mit der Zivilgesellschaft und den NGOs breit aufgestellt. Wir müssen viele Menschen motivieren, klare Ansagen gegen Hass-Postings zu machen, damit verstanden wird, dass es sich hier um keine Lappalie, kein „Kavaliersdelikt“ handelt. Der Hass zerstört sehr viel in unserer Gesellschaft. Er zerstört Mitgefühl, Empathie und hat oft fatale Folgen, auch für Kinder und Jugendliche, die Opfer von Cyber-Mobbing werden. Eine irische Studie hat gezeigt, dass ein Drittel der Kinder nach solchen Attacken suizidgefährdet war. Daher brauchen wir ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass das nicht geht. Und das muss man durch digitale Zivilcourage ermuntern und unterstützen.

Was verstehen Sie unter digitaler Zivilcourage?

❙ Man muss zur Widerrede ermutigen und Tipps geben, was man tun kann, wenn man ein Hass-Posting bekommt oder es bei anderen sieht. Das reicht von der Anleitung, einen Screenshot zu machen oder den Link zu kopieren bis zum Einschalten der Polizei und Staatsanwaltschaft. Das Strafrecht ist das eine, aber dadurch lösen wir diese gesellschaftlichen Phänomene nicht. Denn es sollten ja nicht nur Richter und Staatsanwälte dagegen sein, sondern alle müssen reagieren und auch eingreifen. Wichtig ist es, bei Falschmeldungen die Quelle zu identifizieren und mit Fakten darauf zu reagieren. Man sollte immer sachlich bleiben und sich nicht auf dieses emotionale Niveau einlassen.

Das hört sich nach gesellschaftspolitischer Erziehung an?

❙ Es ist mir ein ganz besonderes Anliegen, positive Gegenbilder zu schaffen zu dieser systematischen Verbreitung von Unwahrheiten und Falschmeldungen. Viele Menschen holen sich heutzutage Informationen ungefiltert aus den sozialen Medien. Da gibt es politische Gruppen in unserem Land – und die kann man klar benennen – rechtspopulistische, rechtsextreme Gruppen, die das soziale Netz als Instrument ihrer politischen Propaganda entdeckt haben. Da werden Unwahrheiten so lange und beharrlich gestreut, bis sie als Wahrheit gelten. Und selbst wenn man es richtigstellt, ist der Schaden schon angerichtet.

Denken Sie da an ein konkretes Beispiel?

❙ Erstens geht es nicht an, dass man wichtige Institutionen diskreditiert, indem man die Medien als „Lügenpresse“ und den Staat einfach als „Lügenstaat“ diffamiert. Es wird versucht, neue Wahrheiten, fiktive Parallelwelten zu schaffen. Das hat sich am Beispiel der Flüchtlingsbewegung gezeigt. In Deutschland wurde sie als Einfallstor für rechtsextreme Gruppen genützt. Da wurden permanent und systematisch Bilder vom „gefährlichen Flüchtling“ projiziert. Wir sehen, wo die Hasskultur hinführt: Die Gewalt der Worte führt zur Gewalt der Taten.

Hängt Ihre Anzeige gegen FPÖ-Obmann Strache damit zusammen?

❙ Am Tag meiner Angelobung hat er mir beim Runden Tisch im ORF unterstellt, dass ich Leila Khaled eingeladen habe. Ich habe mit der Veranstaltung nichts zu tun gehabt, ich kenne Leila Khaled nicht. Deshalb habe ich auf Unterlassung und Widerruf geklagt, weil ich das nicht zulasse, dass ich in die Nähe des Terrors gerückt werde.

Der Bereich Religionsgemeinschaften, also das Kultusamt, fällt in Ihren Bereich. Sie waren bereits zwei Wochen nach Ihrer Angelobung zu Besuch beim Präsidium der Israelitischen Kultusgemeinde. Was stand da auf der Agenda?

❙ Das war mein Antrittstermin, es war ein erstes Kennenlernen. Die problematische Entwicklung von antisemitischen Übergriffen hat mich sehr interessiert, und da habe ich aktiv nachgefragt. Wir haben sehr viel darüber gesprochen, da auch eine sehr berechtigte Sorge vorhanden ist. Wir haben uns auch über Integration ausgetauscht, wie wichtig es ist, jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Denn überall, wo das nicht gelingt, wird der Nährboden für antisemitische und rassistische Tendenzen aufbereitet. Wir haben viele Themen gestreift und überlegt, ob wir etwas gemeinsam gegen Hetze und Antisemitismus machen können.

Haben Sie als gebürtige Wienerin mit palästinensischen Wurzeln je Diskriminierung erfahren?

❙ Ich habe früh wahrgenommen, dass ich aus einer Migrantenfamilie komme. Ich habe schon im schulfähigen Alter gewusst, dass ich anders bin und nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehöre. Als Kind möchte man so sein wie die anderen Kinder. Als Erwachsener ist das vielleicht manchmal anders. Aber als Kind war es schon eine besondere Erfahrung, diesen kulturellen Konflikt durchleben zu müssen.

Erinnern Sie sich an negative Erlebnisse?

❙ Konkrete Erlebnisse nicht, aber ich habe mir oft überlegt: Wo gehöre ich eigentlich hin? Sich damit zu beschäftigen, kann für die Persönlichkeitsentwicklung sehr bereichernd sein. Letztlich zur Erkenntnis zu kommen, dass es etwas Schönes ist, zwei Kulturen in sich zu tragen. Es muss kein Konflikt und kein Widerspruch sein. Im Gegenteil: Es geht darum, diese Elemente in sich zusammenzuführen und sich auch als Vermittlerin zu sehen. Das kann man sehr positiv kanalisieren und dieses Potenzial auch sehr stark nutzen.

Wann hat Ihr Interesse an Politik eingesetzt? Wo sind Sie politisiert worden? Schon zu Hause oder erst in der Sozialistischen Jugend?

❙ Ich bin schon zu Hause politisiert worden, wir haben in der Familie immer über Politik geredet. Aber ich kam früh, schon mit 16 Jahren, in die Sozialistische Jugend. Eine Schulkollegin hat von meinem Interesse gewusst, auch mein Klassenvorstand hat gesagt, ich hätte ein politisches Bewusstsein. Ich habe damals gar nicht richtig verstanden, was sie meinte. Heute weiß ich es, und die SJ war auch genau das, was ich immer gesucht habe: Diskutieren, reden, sich austauschen, da fühle ich mich wohl. Vor allem ging es in der SJ sehr stark um das Engagement gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, und das hat mich angesprochen.

Sie haben schnell Karriere innerhalb der SJ gemacht.

❙ Da wir eine bessere Welt schaffen wollten und mir dieses Gefühl der internationalen Solidarität sehr gut gefallen hat, war ich schnell auch Teil der Internationalen Jugendgruppen und Netzwerke. Mit 20 Jahren wurde ich zur Vizepräsidentin der Sozialistischen Jugend-Internationale gewählt. Ende der 90er-Jahre waren wir in Palästina und in Israel und haben palästinensische und israelische Jugendorganisationen getroffen. Es war uns wichtig, diese beiden Jugendvertreter zusammenzubringen. Die Jugend der israelischen Arbeiterpartei und jene von Meretz sind beide Mitglieder der International Union of Socialist Youth (IUSY) gewesen. Wir haben eine fact-finding mission gemacht und dachten, dass wir jetzt Frieden schaffen werden. Damals war so eine positive Stimmung. Wir haben auch Shimon Peres öfters getroffen.

Gab es zwischen den Jungen eine Annäherung? Haben Sie miteinander kommuniziert?

❙ Ja, sie mussten miteinander reden. Nach den weltweiten Konferenzen mussten wir uns dann auf ein gemeinsames Positionspapier einigen, und da wurde immer lang herumgestritten, was kommt hinein, was nicht. So habe ich auch auf internationaler Ebene politische Erfahrung gesammelt.

Wie lange waren Sie in der IUSY aktiv?

❙ Bis 2004, danach habe ich nicht wieder kandidiert. Ich bin dann nach Brüssel gegangen und habe zuerst bei EU-Abgeordneten Herbert Bösch gearbeitet und anschließend in Paris ein Master-Studium absolviert. Gleichzeitig habe ich an Schulen in Pariser Vororten als Fremdsprachenassistentin für Deutsch unterrichtet. In den Sommermonaten jobbte ich bei der Sozialistischen Partei Frankreichs, damals war François Hollande der Vorsitzende (premier secrétaire). Und während des EU-Referendums 2005 konnte ich spannende Debatten in der Partei aus der Nähe beobachten.

Welche Funktion haben Sie derzeit in der Palästinensisch-Österreichischen Gesellschaft? Und was sind deren Ziele?

❙ Ich bin Präsidentin dieses kleinen Kulturvereins, der jetzt in den Medien so hochgespielt wird. Wir setzen verstärkt Akzente im kulturellen Bereich. Unsere letzte Veranstaltung im November war ein Konzert von Le Trio Joubran. Das sind drei palästinensische Brüder, die auf der Laute spielen und in Frankreich und weltweit auftreten. Es geht uns darum, etwas Positives für Palästina zu machen, aber es ist uns nie darum gegangen, Politik gegen Israel zu machen. Wir wollen Kunst und Kultur in den Mittelpunkt rücken, damit nicht alles immer nur so negativ rüberkommt.

Steht dieser Verein, stehen Sie zum Existenzrecht des Staates Israel?

❙ Ja, selbstverständlich, das ist nie infrage gestellt worden. Es ging nie darum, Israel infrage zu stellen. Wir stammen aus palästinensischen Familien, sind in Österreich aufgewachsen, und wir wollen gemeinsam Aktivitäten setzen, um in erster Linie ein bisschen das Positive hervorzustreichen.

Auf der Website der Gesellschaft heißt es „under construction“, daher konnte ich die Statuten nicht einsehen.

❙ Im Statut steht, dass wir kulturelle Aktivitäten machen und auch im Bereich Integration etwas tun.

Wie geht es Ihnen als Frau bei Verhandlungen mit großteils männlichen Vertretern des öffentlichen Dienstes?

❙ Ich habe Fritz Neugebauer schon kennengelernt und hatte ein sehr nettes Gespräch. Als Rechtsanwältin bin ich das Verhandeln gewohnt. Aber ich kenne das aus meinem beruflichen Leben: Man wird als Frau oftmals unterschätzt. Das ist aber manchmal kein Nachteil.

Was möchten Sie, dass man nach dieser Legislaturperiode über Sie sagt und schreibt?

❙ Ich möchte etwas zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beitragen. Vor allem von dem „Wir und die anderen“ wegkommen. Damit hängt auch mein großes Interesse an der Geschichte Wiens und insbesondere des jüdischen Wiens zusammen. Es ist doch unglaublich, dass wir heute noch von diesem kulturellen Exportschlager leben, der durch den vielfältigen jüdischen intellektuellen Reichtum entstanden ist. Ich gehe durch die Straßen Wiens und schaue mir an, wer wo gelebt, gearbeitet hat: All diese Künstler, Musiker, Literaten wie Arthur Schnitzler, Franz Werfel, Gustav Mahler, sie sind es, wofür ich Wien liebe und schätze. Der aktuelle Stefan-Zweig-Film, Vor der Morgenröte, hat mir sehr gut gefallen. Es ist ein trauriger und bedrückender Film, der den Konflikt zeigt, den Zweig als patriotischer Österreicher in sich getragen hat. Er wollte nichts Schlechtes aus Brasilien über sein Land schreiben, aber es hat ihn zerfressen zu sehen, wozu dieser Menschenhass führte, nämlich zu der schrecklichen, systematischen Vernichtung von Menschen. Die Straßen Wiens sind stark mit der jüdischen Geschichte verknüpft, und die kulturelle Vielfalt prägt die Stadt bis heute. Diese Epoche ist auch ein wenig mein Vorbild, wenn man sieht, wie viel kultureller Reichtum geschaffen wurde und wie viel Potenzial vorhanden ist, wenn Kulturen ineinander aufgehen und viel Schönes hervorbringen.

Muna Duzdar, 1978 in Wien geboren, absolvierte ab 1996 zunächst ein Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, danach ein Master-Studium Internationales Recht an der Universität Sorbonne in Paris. Ihr Gerichtsjahr absolvierte Duzdar 2006/2007 am Bezirksgericht Mödling und am Arbeits- und Sozialgericht Wien. Seit November 2012 arbeitete sie als selbstständige Rechtsanwältin.

Politische Funktionen bekleidete sie als Bezirksrätin in Wien-Donaustadt (2001—2004) und von 2010 bis 2012 als Bundesrätin. Wiener Landtags- und Gemeinderatsabgeordnete war sie seit 19. November 2012.

Bild: © Reinhard Engel

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