Hersch Kohn, der „Meidlinger Bua“

1894

Neue Einblicke in das Leben von Hermann Leopoldi. Eine Biografie und eine Ausstellung. Von Anita Pollak 

Der Großvater war Schächter, kam aus einer ungarischen Kleinstadt und hieß Nathan Kohn. Der Vater sollte Rabbiner werden, ging aber lieber aufs Konservatorium, wurde Musiker und legte sich den Künstlernamen „Leopoldi“ zu. Hersch Kohn vollzog dann in der dritten Generation die offizielle Wandlung: Er wurde „der“ Hermann Leopoldi.

Eine vorzügliche Biografie hat den 1888 geborenen Hersch Kohn nun wieder ausgegraben, Schicht um Schicht freigelegt, denn Mythen, Kitsch, Klischees und Lügen haben im Lauf der Zeit die Sicht auf den Menschen und Künstler Leopoldi verstellt.

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„Als Person ist er nicht leicht zu fassen“, sagt Christoph Lind, der gemeinsam mit Georg Traska nicht nur die Biografie geschrieben, sondern aus dem umfangreichen Nachlass und ergänzenden historischen Materialien im Rathaus dazu die Ausstellung Die drei Wien des Hermann Leopoldi kuratiert hat. 800 Liedtexte, Fotos, Korrespondenzen, zahlreiche Alben mit Zeitungsausschnitten aus halb Europa umfasst der Nachlass, den Sohn Ronald Leopoldi der Wienbibliothek geschenkt hat. Wie das Material die wechselvollen Zeiten der Emigration überlebt hat, ist nicht ganz geklärt. Und obwohl Leo­poldi, zurückgekehrt nach Österreich, 1949 selbst seine Memoiren schrieb, bleiben, sein Leben betreffend, immer einige Fragen offen. Umso mehr ist es den Biografen zu danken, dass sie jetzt um dieses Leben herum und darüber hinaus das kulturelle, gesellschaftliche und politische Umfeld ausgeleuchtet haben. Eine CD mit 20 historischen Aufnahmen ergänzt den Band aufs Schönste, da man so beim Lesen die teilweise unbekannten Lieder von Kapitel zu Kapitel mithören kann. Titel wie Wien, sterbende Märchenstadt, Soiree bei Tannenbaum, Buchenwälder Marsch oder Sagn S Herr Kohn, wann kommen S zrück erzählen so eine Lebensgeschichte in Liedern.

Ein „waschechter Meidlinger Bua“

Die Wiener Musik lag ihnen quasi im jüdischen Blut, den „waschechten Meidlinger Buam“, Hermann und seinem Bruder Ferdinand. In den 20er-Jahren feierte das Brüderpaar im Leopoldstädter Kabarett-Etablissement L.W. ihres Kompagnons Fritz Wiesenthal Erfolge. Als Hermann nach Berlin übersiedelte, eilte ihm sein Ruhm schon voraus. Als „Klavierhumorist“, wie er sich selbst nannte, begeisterte er sein Publikum mit Schlagern genialer Texter wie etwa Fritz Löhner-Beda, Peter Herz oder Fritz Grünbaum. Fast alle seiner Textdichter waren Juden, jüdische Sujets oder „Jüdelndes“ blieben aber die Ausnahme, vielmehr entstanden aus diesem Zusammenspiel die echten Wienerlieder wie Das kleine Café in Hernals, Schön ist so ein Ringelspiel oder der Stille Zecher

Ein Foto aus den 30er-Jahren zeigt den breit lachenden Leopoldi im Trachtenanzug. „Klein, aber mein“, so besang er, ein Anhänger des Ständestaats, 1933 sein Österreich.

Leopoldi schwamm auf dem Wellenkamm des Erfolges – als es 1938 zum Umsturz in Österreich kam, wodurch dieser Barde des Wienerliedes wegen Schuldenmacherei ins KZ musste und dann nur zur Ausreise in die USA entlassen wurde. So liest man am Cover der Schallplatte Erinnerungen an Hermann Leopoldi – und staunt, denn geschrieben hat’s Peter Herz, der es wohl besser wissen musste.

Erst also Dachau, dann Buchenwald. Auch dort sang er und gewann sogar mit seinem Buchenwälder-Marsch den Wettbewerb für ein Lagerlied. Dessen Texter Löhner-Beda wurde ermordet, Leopoldi jedoch hatte Glück und konnte nach neun Monaten zu Ehefrau Eugenie, die er 1911 im Leopoldstädter Tempel geheiratet hatte, und seinen beiden Kindern nach Amerika. Sein Bruder Ferdinand starb 1944 bei einem Ges­tapo-Verhör in Wien.

In Amerika angekommen, küsst Leo­poldi die Erde und beginnt bald ein neues Leben mit der neuen Partnerin und späteren Ehefrau Helly Möslein. Er singt in Emigrantenlokalen vom „Quiet Drinker“ und vom „Little Café down the Street“ und hat wiederum Glück. Als einer der ganz wenigen Künstler wird er 1947 heimgeholt – und da gleich wieder gefeiert. Quasi nach dem Motto: Sag ma, es war nix.

Sein drittes neues Leben in Wien. Er hat gesungen, die guten alten und nicht immer ganz so guten neuen Lieder und – er hat geschwiegen. 1955 bekommt er mit Helly Möslein noch einen Sohn, Roland. 1959 stirbt Hermann Leopoldi. Hersch Kohn war da schon lange tot.

„LOMIR SICH IBERBETN“

WEAN HEAN GOES JEWISH

Ausgerechnet am Jom haScho’a, dem 19. April, wurde das alljährliche Wienerlied-Festival Wean Hean eröffnet. Einer der drei Veranstaltungsorte des Abends unter dem Motto „Lomir sich iberbetn“ (übrigens der Titel eines jiddischen Nicht-Wienerliedes) war das Jüdische Museum, da diesmal das Schaffen jüdischer Komponisten und Textdichter im Mittelpunkt stand.

Von Gustav Pick über Fritz Löhner-Beda bis hin zu Gerhard Bronner und Fritz Kreisler reicht das Spektrum dieser Künstler, deren Prominentester wohl Hermann Leopoldi ist.

Die Buchpräsentation seiner Biografie mit musikalischen Kostproben aus seinen Liedern war daher auch Teil des Eröffnungsprogramms.

Was für manche Wiener vielleicht eine Überraschung war, ist Insidern längst bekannt. Ohne die Wiener Juden wäre das Wienerlied, wäre auch das Wiener Kabarett um vieles ärmer, wenn nicht überhaupt undenkbar. „Unbekannter Autor“ stand in der NS-Zeit unter dem beliebten „Fiakerlied“ („Mei Stolz is, i bin halt an echt’s Weanakind …“). Höchste Zeit, daran zu erinnern, dass dieser keineswegs Unbekannte der Rechnitzer Jude Gustav Pick war.

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