Hochzeit auf Israelisch

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Feste soll man feiern, wie sie fallen. Und Hochzeiten sind darunter die wohl aufregendsten und aufwendigsten. Teuer, wild, laut, hektisch – aber schön. Von Miriam Fried

Prolog. Ein armer, aber tiefgläubiger Jude hat zwei sehr hübsche Töchter. Als die erste einen passenden Bräutigam findet, versucht der Vater alles, um genügend Geld für die Hochzeit zusammenzukratzen. Er wendet sich an Freunde, Verwandte und Nachbarn, doch es reicht hinten und vorne nicht. Da beschließt der Brautvater in seiner Verzweiflung, sich an Gott zu wenden, und schreibt ihm einen Brief. Darin bittet er den Allmächtigen, ein Wunder zu bewirken und ihm 50.000 Dollar zukommen zu lassen. Der Briefträger sieht, an wen das Schreiben adressiert ist, er kennt auch den Absender und weiß daher sogleich, worum es in dem Brief geht. „In diesem Fall“, überlegt er, „könnte Rothschild eher helfen als Gott“. Und sogleich bringt er das Schreiben zum Haus des Barons. Als dieser den Brief liest, hat er Mitleid mit dem Brautvater und schickt ihm 40.000 Dollar. Der arme Jude ist überglücklich und kann nun seiner ältesten Tochter ihre Traumhochzeit ausrichten.

Zwei Jahre später findet auch die zweite Tochter einen Bräutigam und wieder steht der arme Jude vor dem Problem der Hochzeitsfinanzierung. Er wendet sich abermals an Verwandte und Freunde, doch ohne Erfolg. Da beschließt der gläubige Mann, sich nochmals an Gott zu wenden, und schreibt: „Allmächtiger, ich brauche abermals deine Hilfe. Doch diesmal bitte ich, mir das Geld direkt zukommen zu lassen, denn Rothschild nimmt 20 Prozent Überweisungsgebühr!“

Dieser alte jüdische Witz trifft in gewisser Weise auch im heutigen Israel zu, denn es entspricht der jüdischen Tradition, Hochzeiten groß zu feiern. 300 bis 500 Gäste sind die Norm, spricht jemand von einer Vermählung „im intimen Kreis“, so meint er 100 oder 150 Gäste. Eingeladen werden nicht nur Verwandte und Freunde, sondern auch Arbeitskollegen und Nachbarn sowohl der Brautleute selbst als auch der Eltern. Allein die Bewirtung dieser Massen kostet zwischen 10.000 und 20.000 Euro. Hinzu kommen noch Kleidung, Musik, Polterabende und vieles mehr.

Statt Gott oder Rothschild um Hilfe zu bitten, werden heute Sparbücher geleert und sogar Kredite aufgenommen, in der Hoffnung, dass die Geldgeschenke der Gäste das finanzielle Loch wieder halbwegs stopfen. Denn in Israel steht am Eingang jedes Hochzeitssaales ein Safe mit Schlitz, darin deponieren die Gäste ihre Geschenkkuverts. Die Summe soll in etwa den Pro-Kopf-Kosten jedes Gastes entsprechen, das heißt, in gewisser Weise zahlt jeder selbst für Speis, Trank und Musikbeschallung. Nur ärmere Verwandte und Freunde dürfen auch mal eine Vase oder eine Obstschale mitbringen.

Im Judentum wird Gemeinschaft groß geschrieben

Gemeinsam wird gebetet, gefeiert und getrauert. Die Eheschließung als Basis einer neuen Familiengründung geht nicht bloß die Brautleute etwas an, sondern ist ein freudiges Ereignis für die ganze Gemeinde.

Mit steigendem Wohlstand und unter dem Einfluss zu vieler romantischer Hollywood-Filme gestalten sich private Hochzeiten als Events, wie man sie anderswo nur von grandiosen Firmen-Promotions kennt. In religiösen Kreisen reicht ein Saal, das obligatorische Viertel Brathuhn und laute Musik, zu der man ausgelassen Hora tanzt. Doch bei allen anderen ist Kreativität angesagt. Wer nicht im üblichen Festsaal heiraten will, kann es heute auch am Strand, auf einer Waldlichtung oder gar mitten in der Wüste tun. Viele Paare nehmen sich einen Event-Manager, der Catering, Barbetrieb, Live-Musik, Feuerwerk und im Falle der Wüstenhochzeit sogar chemische Toi­letten organisiert.

Jede noch so verrückte Idee findet in Israel sofort ihre Nachahmer: Die Braut kommt per Helikopter und wird abgeseilt, oder die Zeremonie findet in einem Fesselballon hoch über den Köpfen der Gäste statt. Der Baldachin steht auf einer Bühne, die zu Beginn der Trauung unter Feuerwerksgeknatter angehoben wird, oder das Brautpaar zieht unter Begleitung eines Dudelsackspielers ein.

Viele besonders kreative Hochzeiten sind oft mindesten zwei Autostunden von Israels großen Ballungszentren entfernt

Doch keine Bange, die Brautleute haben Autobusse bereitgestellt, die Tante Ida, Onkel Itzik und die Bridge-Runde der Brautmutter ankarren. Die meisten Trauungen finden dennoch in Festsälen statt, oft mit Terrasse oder Gartenanlage rundum. Man kann an jedem Wochentag heiraten, außer am Schabbat, doch der beliebteste – und teuerste – Tag ist bei Nichtreligiösen der Donnerstag, da danach gleich das Wochenende folgt, an dem sich die Gäste nach durchfeierter Nacht erholen können. Bei Religiösen gilt der Dienstag als bester Hochzeitstag, da G-tt bei Erschaffung der Erde am dritten Tag zweimal sagte, dass „es gut war“.

Die Feier beginnt offiziell meist um sieben oder halb acht Uhr abends, in Israel nimmt das aber keiner so genau, denn die Zeremonie selbst findet oft mindestens zwei Stunden später statt. Gleich beim Eingang zum Festsaal, oder bei Schönwetter im Garten davor, erwarten die Gäste etliche Stände mit kleinen Häppchen, wie Sushi, Mini-Kebabs und vielem mehr.

Die Trauungszeremonie selbst ist Teil des Events, man heiratet nicht in der Synagoge oder am Standesamt. In Israel gibt es (leider) keine amtliche, sondern nur religiöse Trauungen, das heißt, bei Juden kann sie nur von einem offiziell anerkannten Rabbiner vollzogen werden. Pro Jahr finden rund 36.000 Hochzeiten statt, etwa ein Drittel davon endet in Scheidung, das sind um 10 bis 20 Prozent weniger als in Europa und den USA. Rund 3.000 Ehen werden im Ausland geschlossen, da die Partner nicht derselben Religion angehören oder religionslos sind, denn im Ausland geschlossene amtliche Ehen werden sehr wohl vom Staat anerkannt. Weitere 10 Prozent der Brautpaare wählen einen Reformrabbiner, mit dem sie die Zeremonie individuell gestalten können.

Die eigentliche Trauungszeremonie interessiert üblicherweise nur 20 bis 30 Prozent der Gäste, also die Familie und gute Freunde; alle anderen versammeln sich gar nicht rund um die Chuppa, den Hochzeitsbaldachin, sondern unterhalten sich lieber untereinander, denn Hochzeiten sind hier gesellschaftliche Events, bei denen man entfernte Bekannte und Verwandte trifft, die man sonst fast nie zu Gesicht bekommt.

Nach Zertreten des Glases und unter allgemeinen Masel-tov-Rufen eilt man zu den Tischen, die bereits mit Getränken und allerlei Salaten beladen sind. Zurückhaltung ist angesagt, denn die Gäste erwartet noch ein mehrgängiges Menü. Zu diesem Zeitpunkt übernimmt ein DJ oder eine Liveband das Kommando, und zwar oft so laut, dass man sich mit dem Tischnachbarn nur noch schreiend oder in Zeichensprache unterhalten kann. Je nach Herkunft und Geschmack des Brautpaares dröhnen aus den Lautsprechern sfardisch-israelische Hits mit orientalischem Einschlag oder internationale Tanzmusik.

Getanzt wird zwischen den verschiedenen Menügängen und bis spät in die Nacht

Tischreden sind nicht üblich, oft wird aber eine Diashow mit Bildern der Brautleute von den Windeltagen bis heute gezeigt. So manche Familie greift besonders tief in die Tasche und engagiert einen bekannten Sänger oder eine professionelle Tanzgruppe für einen Kurzauftritt. Wer denkt, dass Juden traditionellerweise wenig Alkohol trinken, sollte mal bei einer heute typischen israelischen Hochzeit vorbeischauen. Vor allem die 20- und 30-Jährigen greifen an der Bar, die bei keiner Hochzeit fehlen darf, kräftig zu und bevorzugen meistens schärfere Getränke.

Wie in der westlichen Welt üblich, trägt die Braut weiß, schlicht ist aber für viele hier ein Fremdwort: Die Kleider sind üppig, und je mehr Strass-Steinchen funkeln, umso besser. Auch der Bräutigam trägt hier zumeist Anzug und Krawatte, er muss aber nicht. Ebenso wie die männlichen Gäste, kann er durchaus in einer einfachen Hose oder Jeans und einem sauberen Hemd erscheinen, oft sogar ohne es in die Hose zu stecken. Die Kleidungsvorschriften sind in Israel generell sehr locker, und niemand käme auf die Idee, dass ein Gast in T-Shirt und Sandalen dem Brautpaar nicht genug Ehre erweist. Hauptsache, er feiert mit.

Hochzeiten sind in Israel groß angelegte gesellschaftliche Ereignisse, bei denen einfach nichts fehlen darf. Hektik mit eingeschlossen.

Wie in jeder Gesellschaft reflektieren Hochzeiten in gewisser Weise die in ihr vorherrschenden kulturellen Werte. Deshalb wirken sie in Israel weniger steif und formell als anderswo, es herrscht ein bisschen typisch israelische Hektik und Chaos, doch sie sind vor allem ausgelassen, laut und fröhlich. Denn die meisten Israelis sind überzeugt, dass man Feste feiern soll, wie sie fallen, schließlich birgt der normale Alltag genügend Probleme.

Tolle Hochzeitsfotos unter: claire-morgan.com

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