Der Holocaust als Witz?

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Wie die jüdische Populärkultur Tabus und Geschmacksgrenzen auslotet. Von Thomas Edlinger  

Folge 39 aus der vierten Staffel von Larry Davids Comedy-TV-Serie Curb Your Enthusiasm heißt The Survivor. Sie erzählt von der Zusammenkunft eines Holocaust-Überlebenden mit einem jungen Mann, der sich ebenfalls „Survivor“ nennt, da er in der gleichnamigen US-amerikanischen Variante des Dschungelcamp mitgemacht hat. Zwischen den beiden entsteht ein grotesker Streit darüber, wer denn nun Schlimmeres in seinem „Camp“ durchgemacht hat. Auch im Dschungelcamp hätten sie schließlich „no snacks“ gehabt, insistiert der junge Mann. No Snacks? Der sich an den quälenden Hunger im Vernichtungslager erinnernde Alte kann es nicht glauben und wird immer wütender. Der Rest der Tischgesellschaft schweigt beschämt, doch es kommt immer dicker – und komischer. Im Dschungel sei es geradezu unmenschlich heiß gewesen, erwidert das junge Muskelpaket auf die Erwähnung der eisigen Kälte der Nächte in den Baracken der Nazis. Am Ende schreien sich beide an: „I’m a survivor! – No, I am a survivor!“

Wenn der absolute Schrecken zur kulturindustriellen Ressource der Rührung wird, bricht die Stunde der Tabubrecher an.

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Survivor. Holcoaust-Überlebender in Larry Davids (oben) Comedy-Serie ,Curb Your Enthusiasm´.

Auch der alte Jude nennt den Holocaust in der Szene reflexartig „our show“ – und spielt damit auf die jahrzehntelange Aufbereitung des Holocaust als Geschichtsdrama in den Massenmedien an, der schon lange nicht mehr als undarstellbar und im Grunde nur beschweigbar gilt. Drei sehr unterschiedliche Produktionen sind bis heute in Erinnerung geblieben. Die TV-Serie Holocaust von Marvin J. Chomsky aus dem Jahr 1978 rekapitulierte das Schicksal einer jüdischen Familie. Sie wurde in Deutschland und Österreich 1979 ausgestrahlt und sorgte auch dafür, dass Österreichs Selbstverständnis als erstes Opfer Hitlers ins Wanken geriet. Claude Lanzmanns Shoah aus dem Jahr 1985 verstand sich als Monument gegen die Trivialisierung von Auschwitz, die gerade das Fernsehen in seiner Hitlerverliebtheit bis heute betreibt. Die neunstündige Dokumentation entschied sich konsequent gegen Archivmaterial und konzentrierte sich auf eine vielstimmige Rekonstruktion des Genozids mit Hilfe der Erzählungen von Opfern und Tätern. Steven Spielbergs Drama Schindlers Liste aus dem Jahr 1993 schließlich widmete sich dem Industriellen Oskar Schindler, der 1.200 Juden in seinen Rüstungsbetrieben beschäftigte und so vor der Ermordung bewahrte. Der Film erhielt sieben Oscars. Der deutsche Bundespräsident Roman Herzog ehrte den Regisseur mit einem Orden und meinte, er habe „dem Grauen und der Hoffnung Gesichter gegeben“.

Grelle Popmärchen

Vielleicht war es gerade dieser Konsens zwischen Hollywood und den Staatsorganen im Land der Täter, der manche Filmkritiker schon 1994 stutzig machte: Darf ein Film über den Holocaust die Tränen der Massen rühren und dabei so gemacht sein, dass er niemandem mehr weh tut?

Adam Kohn, 89, tanzt in einem Video zum Discoklassiker I will survive – in Auschwitz. Für viele eine Provokation, für ihn einfach Ausdruck der Freude, dass er überlebt hat.

Stalags. Holocaust and Pornography in israelischer Sex-and-crime-Comics der 60er-Jahre.
Stalags. Holocaust and Pornography in israelischer Sex-and-crime-Comics der 60er-Jahre.

Wenn der absolute Schrecken zur kulturindustriellen Ressource der Rührung wird, bricht die Stunde der Tabubrecher an. 2009 deutete Quentin Tarantino das Trauma Auschwitz zu einer actionreichen Rachephantasie im Gewand eines grellen Popmärchens um, in dem am Ende die Juden die Deutschen über den Haufen schießen. Tarantino ist mit seiner Unbefangenheit nicht allein: Comics, Computerspiele und YouTube-Clips scheren sich wenig um Tabus und historische Korrektheit. Auch deutschsprachige Spielfilme knüpfen vermehrt an chaplineske und britisch-anarchische Traditionen der Naziverhöhnung an. Bei Komikern wie Gerhard Polt oder Helge Schneider schrumpft der große Führer zur Karikatur der Karikatur, zur plärrenden Schmalzlocke.

Auch im Zufluchtsort der Opfer verändert sich der Bezug auf die Schoa. Ari Libsker erinnert in seiner Doku Stalags: Holocaust and Pornography an die Konjunktur israelischer Sex-and-crime-Comics in den 60er-Jahren, die sich an sadistischen SS-Offizierinnen und blonden Sexbestien abarbeiteten. Der Künstler Roee Rosen sorgte 1995 in seiner Heimat für einen Skandal, als er surrealistisch-trashige Zeichnungen über Hitlers Geliebte Eva Braun im Israel Museum in Jerusalem ausstellte. Später wanderte diese Ausstellung mit Erfolg nach New York, Berlin und Warschau.

In Polen spielt auch ein Video, in dem zu Gloria Gaynors Disco-Hymne I will survive getanzt wird. Man sieht darin den 89-jährigen Adam Kohn mit, schon wieder, einem „Survivor“-T-Shirt-Aufdruck. Flankiert wird er von seiner Tochter und drei Enkelkindern. Die Kulisse zu dem Song ist die Ruine des Massenmords: die Vernichtungslager, die toten Gleise, der Schriftzug „Arbeit macht frei“, eine Synagoge und ein Viehwagon, aus dem der betagte Adolek Kohn mit freundlicher Miene hervorvorlugt. Gedreht wurde das Video 2010 von Kohns Tochter, der australischen Künstlerin Jane Korman. Sie sieht ihr Video als Beleg für den Sieg des Lebens über die Mächte des Todes. Die Reaktionen im Internet sind kontroversiell: „Einfach nur taktlos“, sagen die einen, die anderen antworten: „Taktlos? Der alte Herr war selbst Insasse in Auschwitz und hat überlebt.“

„Ich bin Jude, ich darf das.“
Stand-Up-Comedy. Das Musikvideo »Lasst uns alle Juden sein« des Stand-Up-Comedians und Ex-Viva-Moderators Oliver Polak.
Stand-Up-Comedy. Das Musikvideo »Lasst uns alle Juden sein« des Stand-Up-Comedians und Ex-Viva-Moderators Oliver Polak.

Darf man oder kann man Auschwitz einfach wegtanzen? Der Berliner Comedian Oliver Polak hat auf moralische Befangenheiten eine gewitzte Antwort parat: Ich bin Jude, ich darf das, heißen ein erfolgreiches Programm und ein Buch von ihm. Im Musikvideo Lass uns alle Juden sein missioniert Oliver Polak als Popstar mit einem Science-Fiction-Zauberstab die Straßen Berlins. Wer von ihm berührt wird, dem wachsen plötzlich Schläfenlocken und schwarze Hüte am Kopf. Richtig irritierend wird es freilich, wenn Polak noch ein wenig weiter an der Schraube des Zumutbaren dreht und zum Beispiel einen fiktiven Streit zwischen einem zwanghaft gutgelaunten TV-Show-Moderator und ihm selbst inszeniert. Sehnen sich viele Deutsche insgeheim, wie der Moderator in diesem Sketch, tatsächlich nach Juden, die ihnen kein schlechtes Gewissen mehr machen und über sich selbst lachen können? Und wie könnte man einen solchen Gedanken unverkrampfter ausdrücken als in einer Comedy-Szene, in der zwischen Ironie und Entlarvung nicht mehr eindeutig unterschieden wird? ◗

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