„Ich bin ein Ohrenmensch“

Was den in Wien lebenden Grazer Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan zum Theater und vor allem „auf die Puppe“ gebracht hat, erzählt er anlässlich der Premiere seiner neuen Inszenierung am Wiener Volkstheater, dem Georg-Kreisler-Liederabend Wien ohne Wiener. Interview: Angela Heide

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Interview mit Nikolaus Habjan

WINA: Sie sind in einem sehr kultur- und vor allem literaturaffinen Haushalt aufgewachsen. Wie stark hat ihr familiärer Hintergrund Ihren künstlerischen Weg beeinflusst?
Nikolaus Habjan: Sehr stark. Ich wurde sehr früh schon mit Musik und Theater bekannt gemacht, und natürlich mit Literatur. Ein lustiges Faktum ist dabei, dass ich während meiner ganzen Kindheit kein eigenes Buch besessen habe. Denn meine Mutter saß als Bibliothekarin ja an der Quelle, und mein Vater arbeitete für einen bekannten Verlag. Erst mit zirka zehn Jahren habe ich beschlossen, mir ein eigenes Buch zuzulegen, und heute habe ich eine sehr große eigene Bibliothek – die ich, wann immer ich umziehe, doch ein bisschen verfluche.

Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit dem Theater?
❙ Mein erstes Theatererlebnis war mit vier Jahren, als ich in der Grazer Oper Mozarts Zauberflöte gesehen habe. Von da an war für mich klar, dass ich diese Oper wiedersehen muss; und als wir dann eine Reise nach Salzburg gemacht haben und ich auf dem Spielplan des dortigen Marionettentheaters die Zauberflöte am Programm gesehen habe, war ganz klar: Ich muss das sehen! Und diese Verbindung von Oper und Puppentheater, das war’s dann für mich! Ich hab’ das gesehen und wusste: Das ist meins!

Sie haben schon sehr früh mit dem Puppenspiel und dem Puppenbau begonnen. Wie kam es dazu?
❙ In Graz gibt es das Sommertheaterfestival La Strada, das, wie der Name schon sagt, in den Straßen und auf den Plätzen der Stadt stattfindet. Als ich ein Kind war, lag der Schwerpunkt dieses Festivals noch auf dem Puppenspiel. Und so war die ganze Stadt voll mit Puppen und lebensgroßen Figuren. Ich hatte seit meinem Zauberflöten-Besuch in Salzburg begonnen, Marionetten zu sammeln, um mein eigenes Puppenensemble aufzubauen und meine ersten eigenen Inszenierungen zu realisieren. Ich war so um die 12 Jahre alt, als dann auf dem La-Strada-Festival eine englischsprachige Produktion von Hamlet zu Gast war, die mich wahnsinnig beeindruckt hat. Und als dann im nächsten Jahr ein Workshop mit Neville Tranter angeboten wurde, dachte ich, er sei derselbe Künstler, der mich im Jahr zuvor so fasziniert hatte. Also habe ich mich mit meinen 13 Jahren bei diesem Workshop angemeldet – und obwohl Neville dann nicht der Puppenspieler war, den ich erwartet hatte, war diese Begegnung für uns beide prägend. Ich habe in den nächsten Jahren mehrere Folgeworkshops bei ihm absolviert und das Handwerk des Klappmaulpuppenbaus und -spiels erlernt. Und heute sind wir gute Freunde und haben 2015 gemeinsam bei La Strada einen Workshop gehalten. So schließt sich der Kreis.

»Was ich wirklich unwitzig finde, ist Besänftigungshumor. Damit kann man mich jagen.«
Nikolaus Habjan

Warum haben Sie sich für Klappmaulpuppen entschieden?
❙ Sie sind vom Prinzip her ein sehr simples Medium, nicht unbedingt vom Spiel her. Die Puppen sind lebensgroß, das heißt, man kann auch sehr große Bühnen bespielen. Und sie ermöglichen es einem, unglaublich spontan zu sein und auf das Publikum in einem Maße zu reagieren, wie es etwa mit Marionetten nicht möglich ist. Mit einer Puppe kann man viel erzählen, aber nicht alles. Was man von Puppen vor allem lernt, ist Genauigkeit. Man lernt sich als Schauspieler auch selbst neu kennen, man lernt, auf der Bühne sehr genau zu reproduzieren. Neville Tranter hat einmal gesagt, man lernt von der Puppe, ein besserer Schauspieler zu sein.

Sie arbeiten immer wieder mit Komponisten, Musikern und Musikensembles zusammen, Ihre Arbeiten sind immer hoch musikalisch angelegt.
❙ Ja, Musik ist für mich tatsächlich ein Schlüssel. Ich verbringe die meiste Zeit meines Lebens damit, Musik zu hören. Und sie begleitet mich dann auch bei meinen Konzeptionen und Inszenierungen von der ersten Minute an. Wenn ich ein Stück lese, läuft bei mir so etwas wie eine riesige Musikdatenbank mit, und ich weiß schon sehr früh, in welche Richtung mein Regiekonzept auf musikalischer Ebene gehen wird.

Nikolaus Habjan mit seiner Klappmaulpuppe „Friedrich Zawrel“.

Geht Ihr beruflicher Weg nun in Richtung Oper weiter?
❙ Natürlich ist es wahnsinnig schön, dass mir aktuell einige Türen in der Oper aufgehen, aber ich will auch in Zukunft auf keinen Fall das Sprechtheater missen. Ins Sprechtheater bin ich quasi durch Zufall gekommen, aber ich habe mich sofort darin verliebt, und natürlich bietet es mehr Freiheiten, als man im Musiktheater hat. Ich habe aber sicher in der Oper viel nachzuholen, weil ich ja jetzt doch an die zehn Jahre Sprechtheater gemacht habe.

Sie arbeiten an so großen Häusern wie dem Burgtheater und dem Volkstheater in Wien, dem Grazer Schauspielhaus, dem Residenztheater oder zuletzt der Bayerischen Staatsoper in München und sind gern gesehener Gast bei zahlreichen renommierten Festivals. Sie bleiben aber auch bewusst kleineren Häusern wie dem Next Liberty und freien Projekten gegenüber offen. Wie treffen Sie Ihre künstlerischen Entscheidungen?
❙ In den letzten Jahren sind es vor allem künstlerische Anfragen für konkrete Stücke, die ich von Häusern in Österreich und international bekomme. Ich entscheide dann tatsächlich aus künstlerischen Erwägungen, ja, ich würde sagen, ich entscheide mich aufgrund meines Bauchgefühls und aus Sympathie, und es ist mir egal, ob es sich dabei um ein großes, prestigeträchtiges Haus handelt oder um ein junges Team, das aber mit großem Engagement an die Sache rangeht und vor allem auch mir die künstlerischen Bedingungen bietet, die es braucht. Denn mein Kredo ist: Probenzeit ist Lebenszeit. Was mich besonders freut, ist, dass mich die Theater heute als Regisseur einladen, und nicht mehr als Puppenspieler, und wir gemeinsam im Entwicklungsprozess einer Inszenierung herausfinden, ob es und wenn ja, welche Form der Puppen es für meinen Zugang braucht.

Sie widmen sich immer wieder Menschen am Rande der Gesellschaft. Ob das Ihr oft gespielter großer Abend F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig ist, ein Don Quijote, Freaks oder Camus’ Missverständnis. Warum dieses große Interesse an den Ausgestoßenen, Vergessenen, Verfolgten?!
❙ Weil man über die anderen eh meistens mehr hört. Weil es denen eh gut geht. Und weil es für mich auch viel spannender ist, ja, weil ich mich, wie etwa im Falle von Friedrich Zawrel, auch emotional und menschlich gar nicht entziehen kann. Diesem Stück musste ich mich widmen, genauso wie dem Wechselbälgchen von Christine Lavant. Was es bei mir wohl immer gibt, sind Menschen, die sich über die anderen stellen. Und die Unterdrückten. Natürlich ist das auch ein großes Thema in der Beziehung zwischen Friedrich Zawrel und dem NS-Arzt Heinrich Gross oder bei Elling. Wenn ich es kitschig formulieren wollte, würde ich
sagen, dass ich mich diesen Menschen nahe fühle. Es ist einfach etwas, was mich beschäftigt.

Mit Nathan der Weise und nun auch mit Georg Kreislers Wienerlied-Abend setzen Sie sich mit der Geschichte des europäischen Judentums und dem Umgang Österreichs mit seiner jüdischen Vergangenheit auseinander und nehmen dabei deutlich Position ein. Wie wichtig ist Ihnen die Möglichkeit, in Ihren Arbeiten auch gesellschaftspolitisch Stellung zu nehmen?
❙ Man darf nicht feig sein. Ich denke, man darf nicht zu wenig erzählen wollen, aber auch nicht zu viel. Lessing zum Beispiel hat mit seinem Nathan eine ganz klare Botschaft, und wenn ich diese überfrachte, geht das Schiff unter; wenn ich es aber zu leicht belade, hat es gar einen Sinn, dass das Schiff aus dem Haufen ausläuft. Ich versuche bei meinen Inszenierungen, alle mitzunehmen. Ich will kein Theater für eine bestimmte „Szene“ machen, sondern alle erreichen, von der jungen Schülerin bis zum geübten Theatergeher.
Wir sind eine Gesellschaft, die immer mehr beschleunigt und deren Medien und ihre Verwendung diese extreme Geschwindigkeitszunahme auch massiv unterstützen. Es ist daher ein weiterer wesentlicher Punkt meiner Arbeit zu entschleunigen, etwa im Nathan durch das bewusste Beibehalten der Originalsprache, die dann in der Rezeption der Inszenierung natürlich mehr fordert als eine sprachliche Bearbeitung nach heutigen Maßstäben. Was mir aber auffällt, ist, dass vor allem das jüngere Publikum sich dem auch gerne aussetzen will und dies auch tut, dass zum Beispiel gerade mit Schulklassen ganz wunderbare Diskussionen nach den Aufführungen stattfinden. Es freut mich, wenn ich mit meinen Inszenierungen möglichst viele und sehr unterschiedliche Menschen mitnehmen kann.

Nächste Premiere:
Wien ohne Wiener,
Volkstheater,
11. Oktober 2017, 19.30 Uhr

Nikolaus Habjan,
wurde 1987 in Graz geboren. Nach einer Ausbildung zum Puppenbauer und -spieler studierte er Musiktheaterregie in Wien. Ab 2008 war er am Schubert Theater Wien tätig, ab 2009 dessen Co-Leiter. Mit seinem Stück F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig gelang Habjan der künstlerische Durchbruch. Seither ist er als Regisseur und Puppenspieler an zahlreichen Bühnen tätig. Habjan erhielt u. a. den Nestroy-Preis sowie den Outstanding Artist Award des österreichischen Bundeskanzleramtes. 2016 erhielt er den Wolfgang-Swoboda-Preis für Menschlichkeit im Strafverfahren.

© Marija Kanizaj; Barbara Pálffy

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