„Ich bin sicherlich kein Start-up“

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Über Popstars, Frauen
in der Forschung und das Verhältnis
von Glauben und Wissen,
den Vatikan und die Erfüllung ihrer Träume
sprach die israelische Nobelpreisträgerin für Chemie
Ada Yonath mit Anita Pollak.
WINA: Obwohl ich versucht habe, zumindest ein bisschen etwas von Ihrem Forschungsgebiet, den Ribosomen, zu verstehen, weiß ich nur, dass diese offensichtlich Ihrer lockigen Frisur gleichen. In Israel nennt man diese mittlerweile „einen Kopf voller Ribosomen“. Sind Sie so populär?
Ada Yonath: Ich wurde es. Menschen erkennen mich auf der Straße oder im Flugzeug. Manchmal ist es wirklich peinlich, manchmal großartig, weil ich auch bemerke, wie viel mehr Wertschätzung für die Wissenschaft es gibt. Vor allem bei jungen Leuten, das macht mich wirklich glücklich.

Heißt das, Sie sind ein Pop-Star?
❙ Fast. Populär zu sein, ist zwar ganz okay, aber nicht gerade mein Traum. Ich habe in Madrid vor etwa 1.000 Menschen eine Vorlesung gehalten, und danach haben sich die Zuhörer bei mir um ein Autogramm angestellt. Als ich aber nachher in mein Hotel wollte, war alles abgesperrt, viel Polizei, und ich konnte nicht einmal in die Lobby vordringen. Dann sah ich, für wen das alles war. Es war das Team von Real Madrid. Das sind Pop-Stars! Dasselbe passierte mir mit Madonna. Sie war einmal am gleichen Ort wie ich. Sie hatte 70.000 Zuhörer, und ich hatte damals siebzig in meiner Vorlesung.

Sie kommen aus einer sehr armen Familie osteuropäischer Einwanderer und erhielten den Nobelpreis. Ist Israel das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ist für Sie damit ein Traum wahr geworden?
❙ Israel ist ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, doch das ist die ganze Welt, wenn man etwas wirklich erreichen will. In Israel gibt es mehr Respekt für das Wissen, das hat mit der langen Geschichte zu tun, in der Wissen eine Notwendigkeit war. Mein Traum war aber nicht der Nobelpreis, mein Traum war es, einen sehr wichtigen Prozess im Leben zu verstehen. An etwas Bedeutendem zu arbeiten, ist gut, wenn andere glauben, dass es eine Auszeichnung verdient, noch besser. Unglaublicherweise bekam ich viel mehr, als ich je erwartet habe, es ist viel mehr als ein erfüllter Traum.

„Israel ist ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, doch das ist die ganze Welt, wenn man etwas wirklich erreichen will.“

Sie sind die erste weibliche Nobelpreisträgerin in Israel unter zehn männlichen Laureaten. Könnte man das als Zeichen dafür sehen, dass der „gender gap“ in der Forschung in Israel kleiner wird?
❙ Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe mich als Frau nie benachteiligt gefühlt, in meiner gesamten Karriere nicht, vom Kindergarten an habe ich keinen Unterschied gespürt. Als Frau hatte ich die Freude, schwanger zu werden, ein Kind zu bekommen und es aufzuziehen. Die damit verbundenen Gefühle sind unvergleichlich. Weder bei meiner Arbeit in den Staaten noch in Deutschland habe ich irgendwelche Nachteile als Frau gespürt. Ich bin aber die erste Frau nach 45 Jahren, die den Chemie-Nobelpreis bekommen hat. Und ich bin die einzige von ihnen, die lebt!

Äußern Sie sich in Israel zu politischen Fragen bzw. würde man Ihnen als Nobelpreisträgerin mehr Aufmerksamkeit schenken?
❙ Ich sage meine Meinung, egal wie viele Menschen mir zuhören, aber ich bin Wissenschaftlerin, und mein hauptsächliches Anliegen ist es, mehr junge Menschen für die Wissenschaft zu begeistern.

Sie haben unter anderem auch den höchst imageträchtigen Israel-Preis erhalten. Bringen solche hohen Auszeichnungen auch mehr Forschungsgelder?
❙ Ich bin über alle meine Preise sehr glücklich, aber was die Gelder betrifft, wirkt es sich gegenteilig aus. Ich wurde 23 Jahre lang vom NIH (National Institute of Health) von Amerika aus in Israel gefördert, aber vom Tag an, als ich den Anruf aus Stockholm bekam, gab es keinen Cent mehr. In Amerika brauche ich es gar nicht mehr zu versuchen. Israel fördert zwar Forschung und Entwicklung, das bedeutet Start-ups und andere Entwicklungen. Grundlagenforschung, wie ich sie betreibe, bekommt weniger als ein halbes Prozent des gesamten Budgets. Ich bin sicherlich kein Start-up. Ich habe aber hier in Wien Gespräche mit zwei Wissenschaftlern eines Pharmaunternehmens geführt und viele gemeinsame Interessen entdeckt.

Foto: Konrad Holzer

Trotzdem sind Sie von allen Forschungsaufenthalten in der Welt immer wieder an das Weizmann-Institut zurückgekehrt. Was ist für Sie daran so anziehend?
❙ Ich bin seit 1970 am Weizmann-Institut. Es liegt im Land, in dem ich geboren wurde. Es ist ein fantastisches Institut, das mich sehr gut behandelt hat, als alle mich für verrückt hielten. Sie haben mich zwar nie besonders finanziert, aber arbeiten und ein Zentrum leiten lassen, und ich bin sehr dankbar. Sie haben mich nur zweimal gekündigt.

Warum denn das?
❙ Weil ich zu langsam war. Der damalige Direktor des Instituts schätzte meinen Mut, biologische Kristallografie in Israel zu beginnen, es gab damals nur etwa zehn Zentren dafür in der ganzen Welt, und er gab mir ein eigenes Büro. Das war die Toilette am Ende des Labors, ohne Fenster. Nach seinem Tod wollten sie mich feuern, sie konnten aber meinen Vertrag nicht finden. Es war ein „Balagan“. Ein anderes Mal fanden sie, dass ich zu langsam wäre und chancenlose Projekte verfolgte. Damals befand der Präsident des Instituts, dass ich bleiben sollte, und das wurde meine beste Zeit, ich konnte nur Forschung machen ohne andere Verpflichtungen.

Sie entdeckten, soweit ich das verstanden habe, die pharmakologischen Auswirkungen Ihrer Ribosomen-Forschung auf die Entwicklung neuer Antibiotika gegen antibiotikaresistente Bakterien. War das Zufall oder Absicht?
❙ Nein, es war harte Arbeit! Aber ich hatte diese Ergebnisse nicht in meinen kühnsten Träumen erwartet.

Das heißt, dass Pharmafirmen an Ihrer Forschung interessiert sein müssten.
❙ Sagen Sie es ihnen doch! Sie mögen mich nicht. Antibiotika bringen nicht viel Geld.

Sie sprachen in Wien über die Ursprünge des Lebens aus biochemischer Sicht. Das Thema hat aber doch auch philosophische und religiöse Aspekte, die Sie ganz ausblenden. Sehen Sie keine Zusammenhänge zwischen Wissenschaft und Religion? Sie sind doch in einem sehr religiösen Umfeld aufgewachsen.
❙ So what? Die Religiösen denken nicht über den Ursprung des Lebens nach. Es steht alles in der Bibel, man braucht nicht darüber nachzudenken. Es gibt einige Wissenschaftler, die religiös sind, und es gibt religiöse Menschen, die die Wissenschaft bekämpfen, wo immer sie können. Als Galileo Galilei behauptete, dass die Welt rund sei, hat ihn die Kirche exkommuniziert. Als ich 2009 einen Preis vom Vatikan bekam, bat man mich, im Anschluss etwas länger zu bleiben, um einer Konferenz beizuwohnen. Worum es denn dabei ginge, fragte ich. Sie feierten den 400. Geburtstag von Galilei. Weil ich nicht sehr klug bin, sagte ich, 2009 ist auch der 200. Geburtstag von Charles Darwin. Daraufhin war es komplett still, bis ich ging. Als ich später Mitglied der Päpstlichen Akademie wurde, sagte der Papst in seiner Ansprache: Wir wissen nun, dass die Kirche sich mit der Evolution anfreunden kann. Es geschehen noch Wunder!

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft persönlich und in Ihrer Forschung?
❙ Weiterzumachen wie bisher und so normal wie möglich. In meinem Lab am Weizmann-Institut lassen sie mich arbeiten, solange ich Geld dafür habe.

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