„Immer eine Nasenlänge voraus“

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Ein junger Wilder wird älter, aber nicht milder. Am 20. August feiert Henryk M. Broder seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass erscheint eine Autobiografie in Bildern. Mit dem Publizisten, Rechthaber und Seismografen sprach Anita Pollak.

WINA: Wie sehen Sie Ihrem Geburtstag entgegen?

Henryk M. Broder: Deprimiert. Ich werde immer älter und die Mädchen immer jünger. Das ist wohl das Schicksal, ich hadere damit seit meiner Geburt.

Sie waren einmal ein junger Wilder und sind wild und angriffig geblieben. Man beschreibt Sie oft als Polemiker und Provokateur, wie sehen Sie sich selbst?

❙ Ich habe den Übergang vom jungen Wilden zum alten Wilden bruchlos geschafft. Ich habe mir aber noch nie darüber Gedanken gemacht, was oder wer ich bin. Wenn ich in den Spiegel schaue, guckt mich ein alter Mann an. Und ich finde nicht, dass ich ein Provokateur bin oder gar ein Polemiker. Ich bin ein extrem sachlicher Chronist.

„Geändert hat sich gar nichts. Es ist immer noch derselbe Kampf gegen die Windmühlen.“

Ihre Lebensthemen sind ziemlich jüdisch. Israel, die Deutschen und die Juden, Antisemitismus und Antizionismus, was für Sie das Gleiche ist. Wenn Sie zurückblicken, was hat sich für Sie verändert?

❙ Nur ein relativ kleiner Teil meiner Geschichten ist „jüdisch“, komischerweise fällt dieser Teil aber am meisten auf. Ich habe in den letzten Jahren mehr über Island und Amerika geschrieben als über Israel, die Juden und die Deutschen. Und geändert hat sich gar nichts. Es ist immer noch derselbe Kampf gegen Windmühlen. Ich habe 1986 ein Buch mit dem Titel Der ewige Antisemit veröffentlicht und staune selber, dass sich seitdem nichts verändert hat – außer zum Schlimmeren.

Sie haben schon relativ früh vor Toleranz gegenüber dem Islam gewarnt und sind als islamophob bezeichnet worden. Wie fühlt man sich dabei, in gewissen Dingen Recht behalten zu haben? Sind Sie ein Pessimist?

Henryk M. Broder: Schwein gehabt. Eine Autobiografie in Bildern, hg. v. Tim Maxeiner. Knaus Verlag, 256 S., € 25,70
Henryk M. Broder:
Schwein gehabt. Eine Autobiografie in Bildern, hg. v. Tim Maxeiner. Knaus Verlag, 256 S., € 25, 70

❙ Nein, nicht früh, erst 2006, da war das meiste schon passiert. Ich habe in vielen Dingen Recht behalten und fühle mich sehr gut dabei. Vor drei Jahren ist mein Europa-Buch erschienen, und, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf, das war geradezu prophetisch. Wir erleben genau den Zerfall, den ich vor drei Jahren vorhergesehen habe. Ich bin gern ein Rechthaber. Ein Pessimist bin ich nicht, denn ich finde, das Leben ist ein wunderbares Abenteuer, ich glaube allerdings, dass alles, was schiefgehen kann, irgendwann einmal schiefgeht.

Ihre Eltern waren Überlebende des Holocaust, Ihre Kinderjahre haben Sie in Polen verbracht. Sind Sie sehr jüdisch aufgewachsen?

❙ Nein, meine Eltern waren Drei-Tage-Juden, Jom Kippur und Neujahr sind sie in die Synagoge gegangen. Bei uns gab es immer Schinken im Eisschrank, er musste nur mager sein. Nachdem Gott meine Eltern allein gelassen hatte, haben sie ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihm gehabt. Sie waren Kulturjuden, Traditionsjuden, aber keine gläubigen Juden.

Ihre Mutter hat Auschwitz überlebt, und dennoch haben Sie einmal mit dem Buchtitel „Vergesst Auschwitz“ provoziert. Haben Sie nicht Angst, mit dieser Aufforderung den Applaus von der falschen Seite zu bekommen?

❙ Es geht nicht darum, Auschwitz zu vergessen, sondern darum, mit Auschwitz keinen Schabernack zu treiben; insofern muss man Auschwitz tatsächlich gelegentlich „vergessen“. Wenn Leute, die Tränen wegen Auschwitz vergießen, zugleich die besten Beziehungen zum iranischen Regime unterhalten, das den letzten Holocaust leugnet und den nächsten Holocaust vorbereitet, dann sollen sie sich das Gedenken an Auschwitz schenken.

Im Übrigen kann sich keiner sein Publikum oder seinen Applaus aussuchen; bis jetzt habe ich keinen Beifall von der falschen Seite bekommen. Wer mir applaudiert, ist automatisch auf der richtigen Seite.

In der Außenwahrnehmung sind Sie im Gegensatz zum ewigen Antisemiten der ewige Jude. Stört es Sie, wenn man Ihre Meinungen damit relativiert bzw. Ihnen Objektivität abspricht?

❙ Ich sehe da keine Relativierung. Ich kann keine katholische Meinung vertreten, das macht schon der Papst.

Ihr Lebenswerk ist bereits bis jetzt beachtlich. Weil Sie sich ja laufend publizistisch zu Wort melden und jede Menge Kontroversen pflegen. Schon Ihr Wikipedia-Eintrag ist fast ein biografischer Essay. Außerdem sind Sie ein fanatischer Blogger. Leiden Sie an einer Art von Schreibzwang?

❙ Ja, absolut. Bei Wikipedia stimmt vieles nicht, ich habe es aber aufgegeben, das zu korrigieren. Es ist mir wurscht, was Leute über mich schreiben. Mich interessiert immer nur das nächste Buch, das ich noch nicht geschrieben habe. Ich bin kein fanatischer Blogger, weil ich nichts Fanatisches blogge. Ich bin ein Zwangscharakter. So wie andere Leute immer was essen müssen, ist es bei mir eben das Schreiben. Ich leide nicht an einem Mangel an Anlässen.

Wie Ihr Fotoband zeigt, sind Sie auch ein leidenschaftlicher Fotograf, die Kamera ist für Sie offenbar eine Art Notiz- oder Skizzenbuch. Welchen Anspruch haben Sie an Ihre Bilder?

❙ Die Kamera ist einfach mein drittes Auge. Ich habe mich nie als Fotograf empfunden.

Das sind einfach meine visuellen Notizen, ich mache das seit 40, 50 Jahren. Der Sohn eines Freundes, ein richtiger Fotograf, fand, dass man daraus ein Buch machen sollte, ich selbst bin gar nicht auf diese Idee gekommen. Es zeigt Stationen meines Lebens.

Ist nach dieser Autobiografie in Bildern noch eine Autobiografie in Texten zu erwarten?

❙ Nein, das werde ich nie machen. Ich finde Autobiografien nur peinlich, es sei denn, man ist Albert Schweitzer oder Jean Paul Sartre. Die Autobiografien meiner Kollegen sind einfach nur albern, Selbstdarsteller und Schönredner in eigener Sache, man ist doch nicht Herr seiner Erinnerungen.

Als Grabinschrift wünschen Sie sich angeblich: „Er hat nicht gelangweilt.“ Langeweile wird man Ihnen doch kaum nachsagen können.

❙ Inzwischen möchte ich eine andere Grabinschrift haben und zwar: „Immer eine Nasenlänge voraus.“ Ich bin verlacht worden, als ich Der ewige Antisemit geschrieben habe, aber offenbar ist der Antisemitismus eine anthropologische Konstante, die können Sie durch Aufklärung nicht aus der Welt schaffen. Und ich habe mit meinen Büchern in entscheidenden Fragen Recht behalten.

Haben Sie denn so etwas wie ein seismografisches Gefühl für katastrophale Zeitströmungen und Entwicklungen?

❙ Ich bin ein Seismograf. Aber auch ein Seismograf kann sich mal irren, und auch ein Wünschelrutengänger findet mal keine Wasserader.

Was wünschen Sie sich persönlich für Ihre nächsten 50 Jahre bis 120?

❙ Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Hoffentlich keinen Umgang mit Ärzten und Rechtsanwälten. Das wäre schon eine gute Voraussetzung für ein glückliches Alter.

Henryk Marcin Broder, der seine Mittelinitiale in „Modest“ umbenannt hat, wurde 1946 im polnischen Katowice geboren. Die Familie kam 1957 über Wien nach Köln, wo er Abitur machte und sehr bald in verschiedensten Medien publizistisch tätig wurde. Von 1981 an lebte er zehn Jahre in Israel. Broder war 15 Jahre als Autor für den Spiegel unterwegs, seit 2011 schreibt er für die Welt-Gruppe. Broder ist Mitherausgeber des Blogs Die Achse des Guten.

Bild: © Frank May/picturedesk.com

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