Inspirierend, verwirrend, jüdisch

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Das Design der modernen Frau: eine Ausstellung im MoMA widmet sich dem Einfluss von Frauen auf das Design des 20. Jahrhunderts. Von Anna Goldenberg

Eine große Schauvitrine mit Keramikgeschirr sticht als erstes ins Auge. Schräg dahinter: eine Küche. Entlang der linken Wand sind einige Sesseln sowie ein Bett ausgestellt. Betritt man den Raum in der Designabteilung des Museum of Modern Art in New York, kann man leicht glauben, sich in einem ungewöhnlich eingerichteten Möbelhaus zu befinden.

Ob das mit Absicht geschah, fragen sich wohl nicht nur zynische Geister. Der Titel der Ausstellung, die hier seit Anfang Oktober läuft, ist schließlich bewusst zweideutig: Designing Modern Women 1890–1990.

Plastiktiere von Libuše  Niklová (1934–1981),1970/2011.
Plastiktiere von Libuše
Niklová (1934–1981), 1970/2011.

Die Schau möchte Antwortmöglichkeiten auf zwei große Fragen präsentieren: Welche aktive Rolle spielten Frauen in der Designwelt zwischen 1890 und 1990? Und: Was trugen Designerinnen dazu bei, insbesondere Haushaltsprodukte auf Frauen zuzuspitzen? Als ob diese Themen nicht schon ehrgeizig genug wären, will das Museum darüberhinaus die Ausstellung nutzen, um mit der Vergangenheit des einflussreichen New Yorker Museums, das es seit 1929 gibt, aufzuräumen und die Unterrepräsentiertheit von Frauen in den eigenen Sammlungen zu thematisieren.
Die dezent gehaltenen Erklärungen erlauben es, sich bei einem ersten Rundgang ganz den ausgestellten Objekten zu widmen. In der Schauvitrine befinden sich etwa die filigran geformten und bemalten Keramikschüsseln von Lucie Rie, die 1902 als Lucie Gomperz in Wien geboren wurde und an der Kunstgewerbeschule der Wiener Werkstätte Töpferei studierte. 1938 floh die Tochter jüdischer Eltern nach London, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1995 lebte und als Keramikerin arbeitete. 1991 wurde ihr von der englischen Königin der Ehrentitel „Dame“ verliehen.

133_1988_13_cr_ekEinflussreiche Keramikerin. Eine eigene Vitrine ist dem „Museum Dinner Service“ der ungarisch-jüdischen Künstlerin Eva Zeisel gewidmet. Das kunstvoll schlicht gehaltene Geschirrset, das 1946 erstmals produziert wurde, gilt als wegweisend im Porzellandesign. Zeisel untergrub bewusst die jahrhundertealte Tradition, Geschirr aus edlem Material mit Schnörkeln zu versehen. Zart geschwungene Formen ersetzen Dekorationen – und sorgten für großen kommerziellen Erfolg. Zeisel, unter dem Namen Evá Amália Striker im Jahre 1906 in Budapest geboren, hatte schon 1946 ihre erste Ausstellung im Museum of Modern Art. Sie arbeitete als Keramikerin in Ungarn, Deutschland und Russland. 1936 wurde sie in Moskau verhaftet, der Verschwörung gegen Stalin beschuldigt und nach Wien ausgewiesen, wo es ihr nach dem Einmarsch der Nazis gelang, nach England zu fliehen. Mit ihrem Ehemann Hans Zeisel zog sie weiter in die USA, wo sie im Dezember 2011 verstarb.

Jüdisches Design. Die jüdischen Beitrage könnten ohne Weiters eine eigene Ausstellung bilden. Zu bewundern sind so auch die aufwändig gemusterten gewebten Stoffe der Grafikerin und Textildesignerin Anni Albers, geborene Annelise Fleischmann aus Berlin, oder der „Queen Anne“-Stuhl von Denise Scott Brown, geborene Lakofski, die in Nordrhodesien (heute Zambia) aufwuchs. Scott Brown kollaborierte mit dem amerikanischen Architekten Robert Venturi bei zahlreichen preisgekrönten Architektur- und Designprojekten. Der „Queen Anne“-Stuhl aus dem Jahr 1984 ist ein innovativer Kontrast, da er aus laminiertem, bedruckten Speerholz besteht und die Form altmodischer, eleganter Stühle besitzt.

 Le Corbusier Küche. Visionäres, offenes Design der französischen Architektin Charlotte Perriand
Le Corbusier Küche. Visionäres, offenes Design der französischen Architektin Charlotte Perriand

Scott Brown ist aus einem weiteren Grund ein wichtiger Teil der Schau: Sie ist eine jener Frauen, die in den Augen der Öffentlichkeit bisweilen im Schatten ihrer männlichen Partner standen. Das Prunkstück der Ausstellung bildet etwa eine originale, vom Museum renovierte „Le-Corbusier-Küche“, benannt nach dem schweizerisch-französischen Architekten, der diese in seine „Unités d’Habitation“ in Marseille inkorporierte. Diese Wohneinheiten aus den 1950er-Jahren, die erhöhten Wohnkomfort zu niedrigen Kosten bieten sollten, gelten als Vorläufer der Plattenbauten. Entworfen wurde diese Küche allerdings von der französischen Architektin Charlotte Perriand, die mit Le Corbusier arbeitete. Das kluge Design konzentrierte sich auf die Bedürfnissen von Frauen dieser Zeit: Die Küche war bewusst offen und als Teil des Wohnzimmers konzipiert, sodass sie Möglichkeiten zur sozialen Interaktion bot. Perriand hatte weitere fortschrittliche Ideen, wie etwa eine Klappe, die auf den Hausflur ging, sodass Essenslieferungen auch dann abgegeben werden konnten, wenn niemand zuhause war – etwa wenn die Frau außer Haus arbeitete.

Frauen wurden über viele Jahrhunderte hinweg von Männern „designt“.

Historische Impressionen.  Über viele Jahrhunderte wurden  Frauen von Männern „entworfen“.
Historische Impressionen.
Über viele Jahrhunderte wurden
Frauen von Männern „entworfen“.

Erst nach einer ersten Durchquerung des Ausstellungsraumes stoßen viele Besucher auf jene Schilder, die die Schaustücke in fünf Epochen trennen: „New Women, New Design 1890–1939“, „Kitchen Transformations 1920– 1950“, „Humanizing Modernism 1940–1960“, „Plastic 1960s“ und „Punk to Postmodernism 1970–1990“. Doch selbst der historische Kontext hilft wenig, das Gefühl loszuwerden, dass es sich um willkürlich zusammengewürfelte Schaustücke handelt. Wieso befindet sich etwa ein Video über die von der österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky in den 20er-Jahren entworfenen „Frankfurter Küche“ gleich neben einer Wand mit Plakatdrucken von Alphonse Mucha, Frank Hazenplug und anderen Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts? Nur wer aufmerksam alle Beschriftungen studiert, erfährt, dass die historischen Plakate, auf denen ausschließlich Frauen abgebildet sind, zeigen sollen, dass über viele Jahrhunderte Frauen von Männern „entworfen“ wurden und sich dieses Missverhältnis in den letzten 100 Jahren langsam zu ändern begann. Die farbenfrohen Bilder sind nichtsdestotrotz ein Publikumsmagnet.

Das ehrgeizige Konzept der Ausstellung, den Beitrag wichtiger Designerinnen in der westlichen Kultur des 20. Jahrhunderts darzustellen und darüberhinaus die Rolle von Frauen als Zielgruppe und „designtes“ Subjekt zu thematisieren, will nicht so recht aufgehen. Ein guter Überblick gelingt und regt zum Denken und Nachfragen über Frauen an der Seite „großer“ Männer an. Doch es fehlt an Raum, um in die Tiefe zu gehen.

Den roten Faden, der die Schaustücke zusammenhält, sucht man vergeblich – was ja eigentlich ganz gut so ist: Denn es zeigt, dass es nicht darauf ankommt, ob es nun Frauen oder Männer sind, die hinter einem guten Design stecken.

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