Israel im Vorwahlfieber?

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Fast zwei Jahre vor den kommenden Parlamentswahlen hat bereits ein heftiger Vorwahlkampf begonnen.  Der Grund dafür ist ein neuer, charismatischer und mediengeschulter Kandidat: Yair Lapid. Wie hoch sind seine Chancen?  Kommentar Miriam Fried

Eigentlich ist noch eine ganze Weile Zeit bis zu den kommenden Parlamentswahlen, die im Herbst 2013 stattfinden sollten, doch seit ein paar Wochen brodelt es in Israels Politküche, und es riecht stark nach Vorwahlstimmung. Anfang Dezember 2011 kündigte Benjamin Netanjahu an, die innerparteilichen Vorwahlen bereits Ende Jänner 2012 durchzuführen. Wozu schon jetzt, gut anderthalb Jahre vor dem nächsten Urnengang, fragte sich jeder. Die einzig plausible Erklärung ist wohl, dass dieser vorgezogen wird.

Sowohl Arbeiterpartei als auch Kadima haben stark an Stimmen verloren. Warum bangt Netanjahu dennoch um seine politische Vorrangstellung in den kommenden Jahren?

Glaubt man den Umfragewerten, so hat Netanjahu gar keinen Grund, sich zu beeilen, denn er sitzt fester im Sattel denn je. Sowohl in der eigenen Partei als auch außerhalb derselben hat er keinen ernsthaften Gegner.

Die Arbeiterpartei, die bei den vergangenen Wahlen auf 13 Mandate schrumpfte, hat mit ihrer neuen Vorsitzenden Shelly Yachimowich zwar gute Chancen, einen Teil der verlorenen Stimmen zurückzuholen, doch das verdankt sie vor allem dem raschen Niedergang von Kadima, jener Partei der Mitte, die bei den letzten Knesset-Wahlen noch gleichauf mit dem Likud lag. Deren Vorsitzende, Zipi Livni, hielt als Oppositionsführerin nicht, was ihr Vorwahlimage versprach. Dazu kamen innerparteiliche Intrigen, Bestechungsaffären und nicht zuletzt ein zu verschwommenes Parteiprogramm.

Likud im sicheren Hafen?

Der Likud kann deshalb ziemlich sicher sein, auch in der kommenden Legislaturperiode zu regieren, im Notfall eben, wie bisher, mit Hilfe einiger kleiner Sektorialparteien, wie den Religiösen und dem rechten Rand.

Diese Situation, dass die kleinen Koalitionspartner viel mehr entscheiden, als ihnen eigentlich zusteht, verursachte in der israelischen Öffentlichkeit eine tiefsitzende Politikverdrossenheit, die sich zuerst in den sommerlichen Massendemonstrationen für mehr soziale Gerechtigkeit äußerte und nun offenbar einen neuen Hoffnungsträger in der politischen Arena hervorbringt.

Yair Lapid ist ein in Israel allseits bekannter und beliebter Journalist, der eine sehr populäre Kolumne in der Wochenendbeilage der größten Tageszeitung Israels, „Yedioth Ahronot“, verfasst und mit viel Charme jeden Freitagabend durch das Nachrichtenmagazin im zweiten Kanal führt. Er versuchte sich außerdem als Autor mehrerer Thriller und Romane.

Nun bestätigte er die seit Monaten anhaltenden Gerüchte, dass er in die Politik geht. Lapid musste sich beeilen, denn etliche Knesset-Abgeordnete quer durch das politische Spektrum fürchten seine Popularität so sehr, dass ihnen jedes Mittel recht ist, ihn daran zu hindern. Sie brachten einen Gesetzesantrag ein, wonach Journalisten erst nach einer zweijährigen Medienabstinenz für die Knesset kandidieren dürften. Lapid griff dem vor, verabschiedete sich vom Fernsehpublikum und kündigte an, eine neue Partei zu gründen. Der Gesetzesentwurf verschwand auf Nimmerwiedersehen.

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Noch bevor klar war, wer gemeinsam mit Lapid auf dieser neuen Liste kandidieren wird und wie das Parteiprogramm aussieht, verkündeten die Umfrageauguren schon zweistellige Mandatsgewinne für den Newcomer. Was macht diesen 48-jährigen Fernsehmoderator so beliebt? Ist es sein gutes Aussehen, sein gewinnendes Lächeln oder seine lässige Art, den gut durchtrainierten Körper in schwarzem T-Shirt und schwarzer Lederjacke zu präsentieren?

Yair Lapid entstammt einer in Israel wohlbekannten Publizistenfamilie

Sein Großvater mütterlicherseits war einer der Gründerväter der Tageszeitung „Ma’ariv“, die Mutter, Shulamit Lapid, ist Autorin etlicher Romane, Kinderbücher und Krimis, und sein Vater war der 2008 verstorbene Journalist und Politiker Josef „Tommy“ Lapid. Dieser zog 1999 als Spitzenkandidat der liberalen Partei Schinui in die Knesset ein und koalierte vier Jahre später als drittstärkste politische Kraft mit Premierminister Ariel Sharon. Lapid Senior war vor allem für seine antireligiöse Haltung bekannt und ziemlich umstritten.

Auch wenn die Karriere des Sohnes – vom Journalismus in die Politik – jener des Vaters, oberflächlich betrachtet, sehr ähnlich ist, so könnten die beiden sowohl vom Aussehen als auch vom Charakter unterschiedlicher nicht sein. Tommy Lapid stritt sich gern, heftige Fernsehdiskussionen waren für ihn das Salz in der Suppe, und es störte ihn keineswegs, sich bei mehr als der Hälfte des Publikums – oder der Wählerschaft – äußerst unbeliebt zu machen.

Der Sohn hingegen wirkt stets so, als ob er das Verbindende dem Konflikt vorziehe. Diese Eigenschaft machte ihn als Fernsehmoderator sehr beliebt, denn er vermittelte vielen Zuschauern das Gefühl, genau ihre Meinung auszudrücken. Aus seiner ersten Zeitungskolumne nach der Ankündigung, in die Politik zu gehen, lässt sich schon erahnen, welche Richtung Lapids neue Partei einschlagen will: Er sieht sich als Vertreter des Mittelstands, genau jener Schicht, die im Sommer ihren Unmut über zu hohe Lebenshaltungskosten äußerte, die das Gefühl hat, vom Staat ständig ausgenützt zu werden. Ob Lapids Konsensbereitschaft aber nur Journalistenpose ist oder sich dahinter echte Konfliktscheu verbirgt, die ihm als Politiker nicht nützlich sein kann, muss sich noch weisen.

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