Israel und die neuen Rechten Europas

Viele Israelis hatten ein idealisiertes Deutschlandbild, das nun Schaden genommen hat. Die Regierung wiederum hält sich mit solchen Vorstellungen erst gar nicht auf.

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Als das Bild noch ideal war: Präsident Reuven Rivlin auf Besuch bei Kanzlerin Angela Merkel im September. © flash 90/Amos Ben Gershom

Man kann hier Ende Oktober spät abends noch wunderbar draußen sitzen und dabei leicht die Orientierung verlieren. Der „Biergarten Weihenstephan“ ist, wie es sich gehört, mit langen Holztischen und -bänken ausgestattet und liegt im Grünen. Die Bedienung kommt im Dirndl. Sie tut sich ein wenig schwer mit der korrekten Aussprache der Speisen. Sie heißen „Veal-Wurst“, „Veal-Knacker with Sauerkraut“ und „Sauerbraten“. Es gibt Weißbier vom Fass und frische Brezen, die schmecken. Zum Glück dröhnt aus den Lautsprechern keine bayrische Rumtatamusik, sondern ausschließlich englischer Pop. Man ist ja schließlich in Tel Aviv. Auch wenn es schwer fällt, das zu glauben.
Selbst deutsche Fahnen haben es in diesem Sommer inzwischen in größerer Zahl bis hierher geschafft. Sie flattern neben der amerikanischen, französischen und britischen über Strandcafés, Stadtbars und Autowerkstätten.
Der Herbst 2017 hätte somit vielleicht einen Höhepunkt bilden können in Hinblick auf die immer entspannteren Beziehungen zu Deutschland, wäre da nicht der Einzug der AFD in den Bundestag gewesen. Der Wahlausgang hat bei nicht wenigen Israelis zu einer so starken Enttäuschung geführt, die sich nur durch ein vormals idealisiertes Deutschlandbild – von einem eben ganz anderen Deutschland – erklären lässt.
Plötzlich schienen auch die Israelis in Berlin ihre Blase verlassen zu haben. Sie fragten sich und wurden gefragt, was um sie herum passiere. In den Medien nahmen sie Stellung zur Lage in Deutschland, die sie bisher – wenn überhaupt – nur am Rande interessiert hat. Interviewt aber wurden im Vorfeld der Bundestagswahl auch die neuen politischen Furorekandidaten. Alice Weidel saß mit einer Reporterin des ersten israelischen Kanals vor dem Brandenburger Tor und versicherte ihr, wie sehr sie Israel schätzen würde und doch nur gegen die Islamisierung Deutschlands, aber nicht gegen Juden vorgehen möchte. Im Fernsehen sah man aber auch Gauland mit seiner Forderung, stolz auf die Taten der deutschen Soldaten in beiden Weltkriegen zu sein.

Plötzlich schienen auch die Israelis
in Berlin ihre Blase verlassen zu haben.

Schon im Vorfeld der Wahl ging es in einer Reihe von Konferenzen und Diskussionen um das Thema, wie sich Israel diesen neuen Rechten in Europa gegenüber verhalten solle. Bisher hat es vor allem geschwiegen. Benjamin Netanjahu gratulierte Angela Merkel zu ihrem Wahlsieg ohne jeden weiteren Kommentar, seine Kulturministerin Miri Regev, sonst nicht um eine klare Sprache verlegen, sprach beim alljährlichen Empfang des deutschen Botschafters zum Tag der deutschen Einheit von den großen Herausforderungen, mit denen die Kanzlerin nun in ihrer vierten Amtszeit konfrontiert sei. Kein Wort zur AFD. Wie kommt ’s?
Wer dem Regierungschef beispringen möchte, der erklärt das mit einer Politik der Nichteinmischung in andere interne Angelegenheiten. So wie er nicht wolle, dass sich der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel in interne israelische Angelegenheiten einmische, wolle auch er sich jetzt nicht in interne deutsche Angelegenheiten einmischen. Wer dem Regierungschef weniger wohl gesonnen ist, wirft ihm, der ja sonst nicht unbedingt zögert, antisemitische Töne auf der Welt zu verurteilen, vor, eine opportunistische Politik in sich wandelnden Zeiten zu betreiben.

Die Braut (Israel) heiratet ihren Bräutigam in der Hoffnung, dass er sich ändert – während der Bräutigam (Deutschland) sich wünscht, dass seine Braut immer so bleibt, wie sie ist.

Das betrifft vor allem den freundlichen Umgang mit Rechtsaußenkräften, die es bereits auf die Regierungsbank geschafft haben, wie in Ungarn, Polen und Tschechien. Oder sich auf dem Weg dorthin befinden, wie in Österreich. Man erinnert sich: Als im Jahr 2000 die FPÖ erstmals in eine Regierung aufgenommen wurde, zog man aus Protest den israelischen Botschafter aus Wien ab. Das wird diesmal nicht passieren. Davon geht man zumindest im Jerusalemer Außenministerium aus.
Tatsache ist, dass all diese Regierungen sich auf einmal proisraelisch gebärden, was immer sie damit verbinden mögen. Da ist die Idee eines vermeintlich gemeinsamen islamischen Feindes, da ist der Versuch, sich öffentlich weißzuwaschen, wie Strache mit seinem jüngsten Besuch in Yad Vashem. Auch die einstige AFD-Vorsitzende Frauke Petry war vergangenes Jahr nach Israel gereist. Allerdings wollte sich niemand offiziell mit ihr treffen, und sie musste sich mit privaten Gesprächen begnügen.
Was aber, wenn nun die AFD, die ja über ein Budget verfügt, das ihr von den Steuerzahlern zur Verfügung steht, in Israel ihre erste politische Stiftung eröffnet? Wer wird eingeladen, wer wird da hingehen, zu welchen Veranstaltungen? Wird Ayelet Shaked dort auftreten, die Justizministerin, die ja eigentlich nichts gegen ethnische Konzepte hat und sich potenzielle Partner bei der Annektierung von Siedlungen erhofft?

Wir leben in komplizierten Zeiten. Sie fördern aber auch idealisierte Vorstellungen zutage, die das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel bisher mit geprägt haben. So verglich ein israelischer Beobachter, im Tel Aviver Biergarten vor seinem Krügel sitzend, dieses Verhältnis mit einer Eheschließung: Die Braut (Israel) heiratet ihren Bräutigam in der Hoffnung, dass er sich ändert – während der Bräutigam (Deutschland) sich wünscht, dass seine Braut immer so bleibt, wie sie ist.
Viele Deutschen wünschen sich, Israel wäre immer noch das von ihnen einst idealisierte Land der Kibbuzim und des Horatanzens und sind heute enttäuscht angesichts all des Wandels. Die Israelis wiederum hoffen auf ein gänzlich verändertes Deutschland und sehen nun, dass doch nicht alles so ganz anders ist.

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