„Ist das ‚mein‘ Weg?“

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Hannan Ishay/ © Eizinger Alexandra/WB

Der junge israelische Regisseur Hannan Ishay über Leben und Arbeiten in Wien im wina-Gespräch mit Angela Heide.

wina: Sie sind in Tel Aviv aufgewachsen. Welchen Bezug haben Sie heute zu dieser Stadt?

Hannan Ishay: Mein Bezug zu Tel Aviv verändert sich in unterschiedlichen Lebensabschnitten. Im Moment lebe ich eine Phase, in der mich die Stadt bei meinen Besuchen eher abstößt als anzieht. Tel Aviv ist im Grunde ein riesiges Agglomerat von kleineren Vorstädten, die sich immer in Beziehung zur „Großstadt Tel Aviv“ setzen. Man hat immer das Gefühl, nicht im Zentrum zu leben. Es scheint mir auch ein Spezifikum dieser Stadt zu sein, dass sie sich immer als Provinzstadt sieht. Irgendwie hat das Wien auch und ähnelt in dieser Hinsicht Tel Aviv sehr: Es gibt immer diesen Bezug zu den anderen Orten und Dingen und das starke Bewusstsein, dass die Welt größer ist als die eigene Stadt. Das ist auch ein Gefühl, das ich für ganz Israel erkenne, ein sehr kleines Land, in dem aber, wenn man dort aufwächst, die Orte andere Distanzen zu haben scheinen. Wenn man etwa nach Haifa fährt, sagt man: „Wow, wir fahren nach Haifa! Was für eine Fahrt! Da bereite ich mich zwei Wochen vor.“

„Für Theater brauche ich einen Ort und zwei, drei, vier Menschen ... und kann etwas erreichen.“

wina: Ihre Schulausbildung hatten Sie in Ramat Gan?

HI: Die Volksschule ja, doch ab dem 14. Lebensjahr besuchte ich die Thelma Yellin High School of the Arts mit Schwerpunkt Theater, die in einem anderen dieser vielen Vororte lag, der jedoch topografisch wie auch im Kopf näher zum „Zentrum“ lag. Die Wahl, so früh schon in Richtung Bühne zu gehen, kam ganz aus mir allein. Meine Eltern kommen überhaupt nicht aus der Kunst- oder Kulturbranche, haben mich und meinen Bruder, der sich ebenfalls schon früh für eine Karriere im Filmbereich interessierte, jedoch von Beginn an unterstützt und unsere Laufbahnen bis heute mit viel Interesse begleitet. An der Thelma-Yellin-Schule habe ich eigentlich alles gelernt über „das Biest Theater“. Was es will, was es kann, was es ist. Sie ist bis heute die größte und wichtigste Schule, die ich je besucht habe.

wina: Nach Ihrer Matura absolvierten Sie ab 2001 den Militärdienst?

HI: Man kann nur weggehen, gesundheitliche Gründe finden, um den Dienst nicht zu absolvieren, oder ‒ was sehr selten, aber doch der Fall ist, sich aus pazifistischen Gründen dagegen wehren und sogar dafür ins Gefängnis gehen. Die meisten versuchen Aufgaben zu bekommen, die zwar nicht das Gewissen erleichtern, aber den eigenen Weg, da es sehr viele Bereiche gibt, die dem hiesigen Zivildienst stark ähneln. Ich selbst war drei Jahre lang in einer Kommandoeinheit, die hauptsächlich mit Hunden gearbeitet hat, hatte jedoch keinen festen Standort, sondern wurde an unterschiedlichste Orte in Israel geschickt.

wina: Konnten Sie gleich nach Ende des Militärdienstes wieder an Ihre begonnene Theaterlaufbahn anschließen?

HI: Ja. Ich bin mit meinen 21 Jahren endlich ins „Zentrum“ der Stadt gezogen, habe meine damalige Freundin –und heutige Frau – kennen gelernt, als Bühnenbeleuchter zu arbeiten begonnen und mir gedacht: „Ich schnupper’ wieder in den Theaterbetrieb hinein und schau’, was ich mit meinem weiteren Leben anfangen kann.“ Der nächste Schritt war, mit Freunden und ehemaligen Schulkollegen eine Gruppe zusammenzustellen, die gemeinsam Theater macht. Wie haben Performances organisiert, bei denen die Genres und Gattungen zusammengeworfen wurden. Die Gruppe hat nicht lange zusammengehalten, da wir alle unsere eigenen Wege gesucht haben, war aber für mich sehr wichtig. Auf der anderen Seite war ich um 2006 plötzlich in einer Rolle in Yossef Cedars oscarnominiertem Film Beaufort und musste mich fragen: „Ist das ‚mein‘ Weg? Will ich den gehen?“ Mir wurde klar, dass es das Theater und im Speziellen die Regie sind, die mich interessieren und wo ich meinen Weg sehe. Und dass ich im israelischen Theater noch viel zu tun und zu erreichen sehe. Also: Theater und nicht Film; Regie und nicht Schauspiel; und: ins Ausland gehen und nicht da bleiben, wo man alles kennt und jeder jeden kennt.

wina: Waren Wien und das Reinhardt-Seminar also das große nächste Ziel?

HI: Nein, der nächste Schritt war Berlin. Ich wusste, dass ich weiterstudieren will und dass ich das woanders machen will. Und es war mir klar, dass ich das nicht in England machen will, weil sich das englische und das israelische Thea­ter zu sehr ähneln. Ich wollte Neues, anderes lernen, meinen Horizont erweitern. Und so gingen meine Freundin und ich gemeinsam nach Berlin, um dort zum einen die Ausbildung fortzusetzen und zum anderen die Sprache zu erlernen.

wina: Sie hatten also bis dahin nicht Deutsch gesprochen?

HI: Nein. Deutsch war bei uns immer die Sprache, die meine Großeltern konnten und die man sprach, wenn man nicht wollte, dass wir Kinder etwas verstehen; mehr war es nicht. Heute freut sich meine Oma wahnsinnig, dass ich mit ihr Deutsch spreche!

wina: Warum dann von Berlin nach Wien?

HI: In dem knappen Jahr, in dem wir in Berlin gelebt haben, waren acht Monate dem Deutsch-Studium gewidmet; parallel dazu die Suche nach einer geeigneten Schule. Unter anderem habe ich es an der Busch-Schule versucht, konnte zu diesem Zeitpunkt aber noch zu wenig Deutsch. Meine Recherchen zum Reinhardt-Seminar waren dann schon wesentlich genauer; und nachdem ich aufgenommen wurde, bin ich hierher gezogen ‒ und hier geblieben. Doch so gerne ich hier studiert habe, muss ich doch sagen, dass andere Schulen international mehr können und mehr anbieten; und wenn ich damals in Berlin noch intensiver recherchiert hätte, wäre ich wohl an eine andere Schule und in eine andere Stadt gegangen.

wina: Studium in Wien, der Geburtsstadt Ihrer Großmutter, die 1938 kurz nach dem „Anschluss“ mit ihren Eltern nach Israel emigriert war: Wie stark empfanden Sie den Unterschied zwischen Wien und Tel Aviv bei Ihren ersten Besuchen?

HI: Schon der Schritt von Tel Aviv nach Berlin bedeutete eine enorme Umstellung. Die Leute bleiben bei Rot an der Kreuzung stehen; und die Supermärkte sperren um 8 Uhr zu, und man kann nicht um 2 Uhr früh einkaufen gehen. Aber der Umstieg nach Wien war schon „traumatisch“. Wenn in Wien ein Lokal eröffnet, heißt es nach 10 Jahren immer noch: „das neue Lokal an der Ecke“; wenn es in Tel Aviv etwas schafft, auch nur 2 Jahre an einem Ort zu bleiben, ist das ungeheuer! Man arbeitet 25 Stunden am Tag und verbrennt. Nur im Theaterbereich sitzen auch in Tel Aviv dieselben Menschen wie vor dreißig Jahren.

wina: Sie leben heute im 15. Wiener Gemeindebezirk, einem der vielstimmigsten Bezirke dieser Stadt, der jedoch trotz seiner Qualitäten noch nicht sehr in das allgemeine Interesse gerückt zu sein scheint. Eine bewusste Entscheidung?

HI: Als ich zum ersten Mal hier war, hatte ich eine lange Liste meiner Oma, welche Plätze ich besuchen sollte. Gibt das noch oder jenes, steht dieses Haus noch? Ihr Geburtsort ist an der Gumpendorfer Straße, also eigentlich nahe der Gegend, wo ich heute lebe; aber an der Stelle ihres Geburtshauses steht heute ein Neubau. Meine Frau und ich haben zuerst auch im 6. Bezirk, in der Wallgasse beim Raimund-Theater, gewohnt, sind jedoch umgezogen, da durch die Geburt unserer Tochter eine größere Wohnung notwendig wurde. Aber eigentlich haben wir ja nur die Seite am Gürtel gewechselt und wohnen heute in der Nähe des ehemaligen Turnertempels. So klischeehaft das klingt, aber dieses multinationale Leben macht die Gegend, in der ich heute wohne, internationaler als etwa den 6. Bezirk, obwohl ich dort vielleicht auf der Straße mit mehr Menschen und schneller ins Gespräch gekommen bin.

wina: Sie werden im Juni mit der Inszenierung von Die Ballade von El Muerto im Rahmen der Wiener Festwochen mit dem Hundsturm Wien kooperieren. Was sind die nächsten Ziele?

„Für mich ist nicht wichtig, dass ‚Ishay‘ über einer Inszenierung steht. Ich will, egal wo, das Publikum erreichen.“

HI: Wenn ich auf das Theater in Tel Aviv zurückschaue, sehe ich ein Thea­ter, das Peter Brook als „totes Theater“ bezeichnet hat. Das aufzubrechen, ist eines meiner Ziele, und ich halte es für wahnsinnig wichtig, dass wir das in Israel schaffen. Ich will Theater machen, das den Menschen etwas sagt und das sich mit der Gesellschaft auseinandersetzt.

Zur Person

Hannan Ishay wurde 1983 in Tel Aviv geboren, besuchte dort die Thelma Yellin High School of the Arts und studierte nach Abschluss seines dreijährigen Militärdienstes Regie am Wiener Max-Reinhardt-Seminar; 2005 und 2008 Regiearbeiten im Salon 5; 2009 Georgia von Nino Haratischwilis beim Theaterfestival ZORN!; 2010 Diplom mit RRR nach Shakespeares Richard III. und Der schlanke Soldat von Hanoch Levin im Rahmen der Salzburger Young Actors Week; 2011 Anywhere but here auf Schloss Wartholz (Internationale Sommerakademie PragWienBudapest); zuletzt im Jänner 2013 MOSKAU – PETUŠKI im Palais Kabelwerk. Hannan Ishay lebt in Wien, ist verheiratet und Vater einer kleinen Tochter.

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