Jagdszenen aus Israel

1934

Ja darf er denn das? Ein deutscher Bestsellerautor schaut sich im Nahen Osten um, schreibt einen Agententhriller rund um Ariel Scharon und die Geschichte Israels und ist dabei eindeutig nicht auf Seiten der Palästinenser. Von Anita Pollak

Ihren Ausgang nimmt die Story im Afghanistan des Jahres 2008, wo der deutsche Hardcore-Krisenreporter Tom Hagen, einem Taliban-Kidnapping auf der Spur, in jeder Hinsicht abstürzt und dabei noch den Tod von vier Menschen verschuldet. Drei Jahre danach wittert der tief gefallene einstige Starjournalist seine Chance für ein Comeback mit einem tollen Knüller ausgerechnet in Israel. Da werden ihm CDs mit angeblich heißem Material des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet auf abenteuerliche Weise zugespielt und damit eröffnet sich für den Roman eine neue Perspektive, die zunächst weit in die Vergangenheit führt.

Es ist nicht das erste Mal, dass die legendären israelischen Geheimdienste Mossad und Schin Bet literarische Fantasien beflügeln.

Eine Zeitmaschine sei nötig, um dem Nahostkonflikt auf den Grund zu gehen, hat Schätzing in einem Interview gemeint, und offenbar war genau das der Anspruch seiner gleichzeitig in die Breite und Tiefe gehenden Recherchen, bei denen er sich in die komplexe Materie geradezu verbissen hat. Und so blendet er zurück bis in die Frühzeit des Zionismus und die späten 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, als in einem Moschaw der kleine Arik Scheinermann gemeinsam mit einem ungleichen Zwillingsbrüderpaar aufwächst. Im Schicksal dieser drei Freunde spiegelt Schätzing die Geschichte des Staates samt seiner Konflikte bis fast zur Gegenwart.

Agententhriller
Frank Schätzing: Breaking News. Kiepenheuer & Witsch 2014; 976 S.,  EUR27,80
Frank Schätzing: Breaking News. Kiepenheuer & Witsch 2014;
976 S., EUR 27,80

Aus Arik wird der spätere Kriegsheld und Premierminister Scharon, dessen umstrittene Persönlichkeit den Autor sichtlich fasziniert hat. Um ihn und dessen Koma, aus dem er nicht mehr erwachen sollte, baut Schätzing seinen Geheimdienstthriller, in dem er reichlich Fakten mit reichlich Spekulationen und Fiktionen zu einem Romanhybrid vermengt. Frei erfunden ist das Brüderpaar Jehuda und Benjamin Kahn, der eine wird ein liberaler Siedler, der andere ein nationalreligiöser Rabbi, der im Hintergrund geheimdienstlich aktiv ist. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die legendären israelischen Geheimdienste Mossad und Schin Bet literarische Fantasien beflügeln, doch diesmal bewegt sich die präsentierte Verschwörungstheorie teilweise sogar im Rahmen des Vorstellbaren.

In Scharons Koma und dessen, wie der Autor vorsorglich anmerkt, fiktiven Ursachen führt Schätzing nach rund 600 Seiten endlich seine bis dahin nebeneinander laufenden Handlungsstränge zusammen und zwar in Gestalt der jungen Ärztin Yael Kahn, die quasi als Angelpunkt des Plots viel zu tragen hat. Ihr Vater Uri, Jehudas Sohn, hat nicht verwinden können, was er als Soldat beim Massaker von Sabra und Schatila gesehen hat, und nimmt sich das Leben. Ein Schlag, für den Uris Familie, insbesondere dessen Mutter, Jehudas engen Jugendfreund Scharon letztlich verantwortlich macht.Yaels doppelt tragische Rolle als Opfer und Täterin zugleich reflektiert wie in einem Brennglas auch die Situation ihres Landes.

Minutiös recherchiert

Die berührende, episch erzählte Familiensaga ist dabei eher Mittel zum Zweck, und der scheint neben der möglichst spannenden Agentenstory Israel selbst zu sein.Verblüffend minutiös, genau bis in kleinste Details, beispielsweise bis hin zum tatsächlichen Muster der Tischtücher in einem Lokal, das man wiedererkennt, wenn man es kennt, bildet Schätzing unter anderen vieles aus Geografie, Topografie, Geschichte und der problembeladenen Gegenwart Israels ab. Kriegstraumata der Soldaten, Konflikte mit Siedlern und Orthodoxen, ideologische Spaltungen der Gesellschaft, Bibi und die Palästinenser, you name it. Respekt!

Freilich geht derlei, erörtert in seitenlangen Reflexionen und Diskussionen, zuweilen auf Kosten des Action-Tempos. Mal im Zeitraffer, mal in Zeitlupe, mal im filmischen Breitwandpanorama, mal im Close-up jagt Schätzing seinen armen Tom Hagen und mit ihm den geduldigen Leser durchs wilde Israel. Wenn es nicht wahr ist, so ist es doch meist gut erfunden. Wer Geschichte als Dokuthriller servieren will, kann es eben nicht immer allen recht machen.

ZUR PERSON
Dem 1957 geborenen Kölner Autor Frank Schätzing gelang mit seinem Wissenschaftsthriller Der Schwarm 2004 ein sensationeller Bestseller. Das Buch verkaufte sich rund vier Millionen Mal. Davor hatte der studierte Kommunikationswissenschaftler in der Werbebranche gearbeitet. 2009 warb der gutaussehende Autor sogar für Unterwäsche. Für Breaking News recherchierte Schätzing jahrelang im Nahen Osten.

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