Schon während meiner frühesten Kindheit in der Tschechoslowakei weckten die Erzählungen meiner Urgroßmutter Leni (im Wiener Dialekt vorgetragen, den sie bis ins hohe Alter nicht ablegte) eine starke Sehnsucht nach ihrem Geburtsort. Stundenlang konnte sie vom „guten alten Wien“ der Monarchie berichten, vom Duft der Kaffeehäuser, vom Treiben am Naschmarkt und dem Prunk Schönbrunns, wo sie als Kind oft spazierte. Und nicht zuletzt von den vielen unterschiedlichen Menschen, die schon damals in der k. u. k. Hauptstadt harmonisch miteinander lebten. Leider dauerte es – durch den Eisernen Vorhang bedingt – noch viele Jahre, bis ich 1989 endlich nach Wien reisen durfte. Die Uroma hatte nicht zu viel versprochen: Ich war bezaubert. Ein Jahr später zog ich dann endgültig hierher. Im Laufe der Jahre fand ich mich in Wien mehr und mehr als Brückenbauerin wieder: zwischen jung und alt in der geriatrischen Einrichtung, bei der ich arbeite. Zwischen Österreich, Tschechien und der Slowakei durch meine journalistische Tätigkeit. Zwischen Europa und Afrika als Mutter meiner Kinder. Und zwischen den unterschiedlichen Religionen, die in meiner Familie und meinem Freundeskreis vertreten sind.
Tipp: Mit Sohn Schlomi besuche ich gerne den Prater, wo das Wien meiner Vorfahren immer noch lebendig erscheint. Während ich dort in Nostalgie schwelge, begeistert Schlomi sich für die neuesten technischen Attraktionen, die Hochschaubahnen, die schrillen Lichter und Geräusche. Somit ist der Prater ist für uns beide ein Ort, an dem wir zu uns finden können.
- Jana Tchabana-Löwbeer: aufgewachsen in Bratislava, lebt seit 27 Jahren in Wien. Die diplomierte Fachsozialbetreuerin ist im Geriatriebereich tätig, zudem schreibt sie als freiberufliche Journalistin für die Prager jüdische Zeitschrift Maskil. Neben ihren vier leiblichen Kindern (29, 25, 23, 11) zieht sie einen siebenjährigen Pflegesohn auf.
