Jerusalem BAUEN

Über Adina Hoffmans Monografie Till We Have Built Jerusalem: Architects of a New City: eine außergewöhnliche Hommage, eine außergewöhnlich geglückte Spurensuche.

1652

Eine Stadt. Drei Architekten. Einer immer noch bekannt, ja berühmt. Der zweite ein Verschollener. Der dritte ein Phantom, von dem nur hie und da kaum Greifbares zu finden ist. Alle drei bauten in Jerusalem, während die Briten Mandatsmacht waren, in den 1920er- und 1930er-Jahren. Von ihnen handelt das neue Buch der 1967 geborenen Amerikanerin Adina Hoffman, das exzellent ist und aus der Flut von Jerusalem-Büchern herausragt.
Sie erzählt von sehr Vergänglichem, von Staub und Mörtel, Stadtumbau und Häuserplanung, von schwierigen Auftraggebern und politischen Motiven, von Religion, Ehrgeiz, Enttäuschung und Überheblichkeiten. Der eine Baumeister war ein ostpreußischer Jude, der in Berlin zu Ruhm, Glanz und architektonischem Gloria kam – Erich Mendelssohn. Der zweite war der große, schmale Engländer Austen St. Barbe Harrison, asketisch, zurückgezogen, psychologisch auf sehr englische Weise austariert. Und der Letzte dürfte selbst ausgewiesenen Kennern der Historie Jerusalems kein Begriff sein – Spyro G. Houris. Diesen Namen fand Hoffman an drei Häusern eingemeißelt, dazu das französische Wort „architecte“.
Über Jerusalem schrieb Hoffman, die seit einem Vierteljahrhundert hier lebt, bereits das autobiografisch akzentuierte Buch House of Windows: Portraits from a Jerusalem Neighborhood. Ihren zweiten Wohnsitz hat die Autorin in der US-amerikanischen Universitätsstadt New Haven, Connecticut, da ihr Mann Peter Cole Professor an der dortigen Yale University ist. Mit ihm hat sie auch das überaus lesenswerte Buch Sacred Trash: The Lost and Found World of the Cairo Geniza verfasst.

1933 war Mendelssohn aus Berlin nach England geflohen. Ab dem Folgejahr plante er Bauten in Britisch-Palästina, etwa ein Labor für Chaim Weizmann, vor allem aber für den Kaufhausbesitzer und Verleger Salman Schocken, für den er in Deutschland nicht weniges gebaut hatte (und der bald Haaretz kaufen sollte). Schocken wollte ein neues Haus und eine Bibliothek. Daneben plante Mendelssohn das Hadassah-Krankenhaus auf dem Scopusberg. Mendelssohn war äußerst selbstbewusst und forderte seine Mitarbeiter bis zum Extrem. Er war ein manischer Perfektionist, dann wieder charmant und umgänglich. Ihm schwebte vor, zum Generalplaner des gesamten Landes berufen zu werden, und aktivierte hierfür Kontakte und Beziehungen. Doch genau dies, das Gerufen werden, war am Ende der übergroße Stolperstein, an dem alle seine Hoffnungen zerschellen sollten. 1941 verließ Mendelssohn enttäuscht Palästina und zog in die USA, wo er bis zu seinem Tod 1953 im Großraum San Francisco Syna­gogen und Spitäler entwarf.

Alle diese so unterschiedlichen Leben
bettet sie klug und kundig in die politischen,
sozialen, gesellschaftlichen Vorgänge
zwischen 1917 und 1940 ein.

Adina Hoffman: Till We Have Built Jerusalem. Architects of a New City. Verlag Farrar, Straus and Giroux 2016; 356 S., € 27

Hoffman zeichnet ein subtiles, umfassendes Charakterbild des Architekten, über den es bis heute keine große Biografie gibt (auch wenn sich 2009 eine Stiftung konstituiert hat, die sich seinem Wirken, Bauen und Leben verschrieben hat). Ohnehin zeichnet Hoffman eine große Fähigkeit zur Empathie und für Atmosphäre aus. Allein die wenigen Seiten über die Berliner Bohème-Dichterin Else Lasker-Schüler, die ab 1940 als albtraumartige Erscheinung, halb Nachtvogel, halb uralte Squaw, in bitterster Armut durch Jerusalem geistert – sie konnte sich nur ein winziges Zimmer leisten, in dem sie auf dem Boden schlief, weil sie sich ein Bett nicht leisten konnte –, sind großartig, vor allem die Szene, in der sie schildert, wie die Poetin in der Schocken Library eine von Kerzen illuminierte rhapsodische Lesung gab. Dies so zu Papier zu bringen, intensiv, mitfühlend und analytisch, detailliert und erzählerisch, hat der Rezensent in noch keinem anderen Buch über diese Lyrikerin gefunden.
Den beiden anderen – dem ruhigen Ästheten Harrison (der 1937, angewidert von der eskalierenden Gewalt, geräusch- und abschiedslos erst nach Zypern, dann nach Athen weiterzog, wo er 1976 im Alter von 85 Jahren starb) und dem kaum Spuren hinterlassenden Spyro Houris – setzt sie noch schönere Porträtdenkmäler. Harrison entwarf das Central Post House in der Sderot Yerushalayim, das Rockefeller Museum, das bei der Eröffnung noch Palestine Archeological Museum hieß, sowie das Government House, die Residenz des High Commissioner, die heute von den Vereinten Nationen genutzt wird (hier erlebt Hoffman bei der Führung durch das Haus, wie ausgeprägt das Geschichtswissen der dort Tätigen ist – denn: Wann wurde Israel nochmal gegründet? 1952?). Houris widmete sich Villen und Wohnhäusern, war dabei pluralistisch in der Gestaltung und verwendete doch fast überall Fliesen an den Fassaden (was einen schönen Exkurs zum armenischen Keramiker David Ohannessian nötig macht). Alle diese so unterschiedlichen Leben bettet sie klug und kundig in die politischen, sozialen, gesellschaftlichen Vorgänge zwischen 1917 und 1940 ein.
Geschmeidig schreibt Hoffman, anekdotenreich, psychologisch feinsinnig. Im Schlussdrittel geht man mit ihr tatsächlich auf eine detektivische Schnitzeljagd, die durch diverse Archive und Bib­liothekslesesäle führt, um dann in eine ganz unerwartete, glückliche Auflösung zu münden. Hier allerdings schreibt sie auch etwas zu wertend-einseitig über Politik und die politische wie zivilgesellschaftliche Lage in Jerusalem. Nicht immer will man da mit ihr d’accord gehen.
Mit Till We Have Built Jerusalem hat Adina Hoffman ein außergewöhnliches, ein außergewöhnlich gelungenes Buch geschrieben.

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