Jüdische Religionspädagogen für eine interkulturelle Zukunft

Unter der Leitung von Awi Blumenfeld und in Kooperation mit der IKG Wien sowie der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule entsteht ein Ausbildungszentrum für Religionslehrer für den deutschsprachigen Raum.

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© Reinhard Engel

Interview mit Awi Blumenfeld

WINA: Sie sind Gründungsdirektor des Rabbiner Dr. David Feuchtwang* Kompetenzzentrums jüdische Religions-, Hebräisch/Iwrit- und jüdische Studienpädagogik für den deutschsprachigen Raum, also Österreich, Deutschland und der Schweiz. Sie arbeiten derzeit an der Fertigstellung des Curriculums für dieses neue Zentrum, das ab dem nächsten Studienjahr gestartet werden soll. Wessen Idee war das?

Awi Blumenfeld: Es existiert die Vorgabe des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, die Ausbildung für jüdische Religionslehrer nach aktuellen akademischen Standards in die Wege zu leiten. Dabei sollen unter anderem interreligiöse und interkulturelle Aspekte berücksichtigt werden. Zur Realisierung dieses Vorhabens konnte auch die IKG gewonnen werden, die nun auf der Plattform der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems ein gemeinsame Konzept der Grund- und Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer erarbeitet, um sie für ihre pädagogischen und religionsspezifischen Berufsfelder bestmöglich zu qualifizieren und zu professionalisieren.

Welche Aufgabe fällt dabei der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule zu?
Sie ist Österreichs größte private pädagogische Hochschule mit sechs Standorten. Die KPH Wien/Krems ist sozusagen ein Kind der Erzdiözese Wien. Sie fördert und vertritt im Sinne einer ökumenischen Perspektive die sieben an der Hochschule vertretenen christlichen Kirchen bei gleichzeitiger Wahrung der jeweiligen Identität. Zusätzlich kooperiert sie in der Ausbildung von Religionslehrerinnen und -lehrern mit der islamischen Glaubensgemeinschaft, der alevitischen Glaubensgemeinschaft und der israelitischen Religionsgesellschaft. In diesem Verbund soll die Ausbildung des Lehrkörpers für jüdische Religion erfolgen, dabei dennoch unabhängig und der jüdischen Tradition verhaftet sowie den staatlichen Normen und Voraussetzungen entsprechend.

An welche Zielgruppe richtet sich diese Ausbildung?
Unsere Zielgruppe sind alle Schulabgänger, die den Berufsstand des Lehrers erreichen wollen. Sie können sowohl einen Bachelor als auch einen Master erwerben und nicht nur Schülerinnen und Schüler im deutschsprachigen Raum unterrichten, sondern in allen Staaten, die das Universitätsabkommen im Rahmen des Bologna-Vertrages unterzeichnet haben. Das Institut richtet sich auch an jüdische Lehrerinnen und Lehrer sowie allgemein an Pädagogen jüdischer Bildungseinrichtungen, die bereits spezifisch im jüdischen Religions-, Geschichts-, Philosophie- oder Hebräischunterricht aktiv sind. Außerdem richtet sich unser Angebot auch an jenen nicht-jüdischen Lehrköper, der die Bedeutung der Themenbereiche Juden, Judentum, Israel und Schoah bei der allgemeinen Vermittlung von Werten berücksichtigt.

„Unsere Zielgruppe sind alle Schulabgänger, die den Berufsstand des Lehrers erreichen wollen, jüdische Lehrerinnen und Lehrer sowie allgemein Pädagogen jüdischer Bildungseinrichtungen.“
Awi Blumenfeld

In den jüdischen Schulen ist der Religionsunterricht ein integraler Bestandteil. Wo werden heute jüdische Religionslehrer benötigt?
Es gibt den so genannten zentralen Religionsunterricht, der wird zum Beispiel im Lycée Français oder an anderen fremdsprachigen Schulen abgehalten. Zusätzlich dazu wird in den Räumen der IKG der Religionsunterricht für andere Schultypen angeboten.

Wird die zukünftige Lehrerschaft für das Fach Religion in Deutschland und der Schweiz dann hier ausgebildet?
Wir werden aktiv für unsere Institution werben. Aufgrund der klassisch modernen Ausrichtung der IKG sehen wir viele Vorteile für unseren attraktiven Standort. Die Nachfrage nach Religionslehrern ist in Deutschland und der Schweiz sehr groß. Bisher gibt es für den deutschsprachigen Raum nur die Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg. Denn an allen anderen Institutionen, wie z. B. dem Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam, werden nur Rabbiner ausgebildet.

Werden alle deutschsprachigen Länder das gleiche Unterrichtsmaterial verwenden?
Nein, es wird für die drei Länder nicht nur ein Curriculum geben. Es gibt zwar thematische Schnittmengen, wie die jüdische Geschichte der Antike, aber die Behandlung der jüdischen Geschichte Wiens und Österreichs bedarf eines anderen Lehrplans als jene in Deutschland oder der Schweiz. Allerdings existieren auch wichtige Fragen zur Brit Mila, dem Schächten, der Rolle des Mannes und der Frau im Judentum, die natürlich nicht ortsgebunden sind. Dabei kann man sich dann absprechen und Materialien schaffen, die überall universal einsetzbar sind.

Sie haben viel Erfahrung in der Vermittlung von jüdischem Wissen, sowohl aus dem Bereich der Religion, der Geschichte, aber auch der praktischen Pädagogik. Bekommen Sie internationale Unterstützung bei der Erstellung des Lehrplans?
Ich arbeite mit dem Oberrabbinat in Wien zusammen und ich nutze meine Kontakte zur Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan und der Yeshiva University in New York. Wir wollen gemeinsam mit jüdischen Bildungsinstitutionen in Israel und den USA sowie jüdischen Schwerpunktzentren in Europa ein hochprofessionelles Kompetenzzentrum für deutschsprachige jüdische Bildung, Religionsunterricht sowie Wissensvermittlung über Juden schaffen. Da sich die jüdische Kultur über alle Lebensbereiche erstreckt und sich sowohl als Religion, Kultur, Ethnie, Nation und Gemeinschaft versteht, soll den Lehrenden aller Konfessionen die Vielfalt jüdischen Lebens nahegebracht werden.

Wie weit beziehen Sie die kleinen und im jüdischen Wissen eher „ausgehungerten“ Gemeinden in Ungarn, Tschechien und der Slowakei in Ihre Pläne ein?
Selbstverständlich haben wir auch das angedacht. Aber im Moment fehlt es noch an finanziellen Mitteln, um so ein Projekt konkret anzugehen.

Wichtig ist, daran zu erinnern, dass das Judentum in Europa und ganz speziell in Zentraleuropa seit der Schoah an einem riesigen Manko an Lehrmitteln leidet. Es gibt eine Menge Bücher über das Judentum, aber sehr wenige Sammlungen von professionellen pädagogischen Lehrmitteln, die man den Schülerinnen und Schülern anbieten könnte. Diese Lücke wollen wir füllen. Nach meinem heutigen Wissensstand werden uns die IKG und der österreichische Staat bei diesem Vorhaben unterstützen.

* David Feuchtwang (1864–1936) war ab 1902 Kurator der israelitisch-theologischen Lehranstalt und des jüdischen Lehrerseminars. 1927 wurde er Nachfolger von Oberrabbiner Dr. Zwi Perez Chajes der IKG Wien. Er war Mitredakteur der Monumenta Judaica und ein Doyen jüdisch-pädagogischer Bildung und Didaktik.


Awi Blumenfeld wurde als Sohn zweier Schoah-Überlebender in München geboren. Studien in München und Wien; Forschung und Lehre am Joseph Carlebach Institute for Research into Religious Jewish Thought in Germany an der Bar-Ilan University in Ramat Gan, Israel. Er war im Vorstand der Conference on Jewish Material Claims against Germany und ist seit 2011 Mitarbeiter im israelischen Ministerium für Diaspora. Blumenfeld fungierte sowohl als Berater der Gemeinde in Duisburg als auch der IKG Wien im Rahmen des Wiener Wiesenthal-Instituts für Holocaust-Studien und des Herzl Institute for Jewish Policy and Community Research. Er ist Permanent Scholar in Residence im Bund traditioneller Juden Deutschlands und Mitentwickler von LIKRAT, das 2015 auf seine Initiative auch in Österreich eingeführt wurde. Er engagiert sich im Bereich der jüdischen Jugend- und Erwachsenenbildung wie auch im Jewish Community Planning in Tel Aviv und in der Diaspora (Europa & USA).

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