„Die jüngeren Österreicher finden Israel cool“

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Anfang November tritt Botschafter Martin Weiss seinen Posten in Tel Aviv an. Über seine Erwartungen und Pläne sprach er mit Marta S. Halpert.

WINA: Mit welchen Erwartungen treten Sie Anfang November Ihren Botschafterposten in Tel Aviv an?

Martin Weiss: Ich freue mich sehr auf meine Aufgabe, denn ich beobachte großes Interesse auf beiden Seiten. Allein in den letzten zwei Monaten des Jahres 2015 werden wir vier hochrangige Besuche in Israel verzeichnen können. Schon das zeigt, wie intensiv der Gedankenaustausch stattfindet, und das finde ich extrem gut.

„Steine werfen ist keine Kleinigkeit, Steine sind Waffen, das wird auch jeder österreichische Polizist bestätigen.“

Das letzte Jahr war bereits von einer regen Besuchspolitik zwischen Österreich und Israel geprägt. Wer fährt jetzt aus Österreich nach Israel und mit welcher Agenda?

❙ Außenminister Sebastian Kurz macht Ende Oktober einen Arbeitsbesuch bei seinem Amtskollegen, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der derzeit auch Außenminister ist, und er wird dabei auch ein Kulturabkommen unterzeichnen, um damit die bilateralen Beziehungen noch weiter zu stärken. Dieses Abkommen soll die Basis für eine stärkere künftige Zusammenarbeit in vielen Bereichen sein, wie z. B. der Museumskooperation, dem Film, der bildenden Kunst etc. Dazu gehört auch ein verstärkter Jugendaustausch. Das ist, finde ich, besonders wichtig, denn wir wissen noch viel zu wenig voneinander. Aber was es reichlich gibt, und das habe ich bei vielen Gesprächen gesehen, ist die Neugier aufeinander – und das ist schon einmal ein sehr guter Ausgangspunkt. Beim Besuch von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner wird es um die Bereiche Wissenschaft und Forschung gehen sowie um die Start-up-Szene, denn da hat Israel ja wirklich viel zu bieten. Der Besuch von Ministerin Heinisch-Hosek widmet sich dann dem Thema Bildung und Ausbildung, und Landeshauptmann Josef Pühringer kommt im Dezember, um das Friedenslicht aus Bethlehem zu holen.

Wo sehen Sie die heiklen Punkte in den bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Israel? Israel kritisierte mehrfach das Abstimmungsverhalten Österreichs in internationalen Gremien, und auch das in Wien ausgehandelte Atomabkommen mit dem Iran wurde kritisch gesehen.

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Botschafter Weiss möchte, dass noch mehr ÖsterreicherInnen einen anderen Blick auf Israel bekommen.

❙ Man wird nie in allen Punkten immer übereinstimmen. Trotzdem war z. B. das Ergebnis der Verhandlungen mit dem Iran, die von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, der EU, China, Russland und den USA geführt wurden, aus österreichischer Sicht ein erster und richtiger Schritt. Das ist aber kein österreichisch-israelisches Thema. Wie sich das weiterentwickelt, wird man sehen; Wachsamkeit ist da sicher notwendig. Natürlich wird Israel mit unserem Abstimmungsverhalten, auch in der UNO, nicht immer hundertprozentig glücklich sein, das gilt aber natürlich auch umgekehrt. Wichtig ist jedoch zu verstehen, woher die Besorgnis der anderen Seite kommt, wo der Schuh drückt. Dazu, glaube ich, dienen unsere regelmäßigen Kontakte; und daher war es auch so wichtig, dass Minister Kurz mehrfach mit Ministerpräsident Netanjahu direkt gesprochen und sein Wissen nicht nur aus den Medien bezogen hat. Es war wichtig, im direkten Gespräch zu erfahren, was die Bedenken sind, wo konkrete Sorgen bestehen. Auch in der Politik kommen die Menschen durch das Reden zusammen. Wichtig ist es, im fortgesetzten Dialog aufeinander zu hören.

Die EU ist in Israel nicht sehr beliebt. Glauben Sie, dass Österreich da besonders beobachtet wird?

❙ Unsere Botschafter werden in Israel sicher als Österreicher, aber auch als Vertreter der EU gesehen, und beides ist richtig und wichtig. Denn viele außenpolitische Positionen werden heute ja gesamteuropäisch abgestimmt. Österreichs Außenpolitik hat sich so gesehen natürlich gewandelt, wir sind heuer 20 Jahre Mitglied in der Europäischen Union. Und gerade deshalb muss Israel auch mit den einzelnen EU-Partnern den Dia­log führen, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Wenn man mit etwas nicht einverstanden ist, sollte man nicht nur in Brüssel selbst ansetzen. Man muss dann auch mit den einzelnen Staaten direkt reden. Österreich tut das auch, wenn wir ein bestimmtes Anliegen haben.

Dennoch ist in Israel die Kreisky’sche Nahostpolitik noch nicht ganz vergessen.

❙ Da hat sich in den letzten 20 Jahren schon einiges gewandelt, vor allem in der öffentlichen Meinung, aber auch in der österreichischen Medienlandschaft. Die Berichterstattung über den Nahen Osten, über Israel ist meiner Meinung nach schon viel ausgewogener geworden, als sie das in der Vergangenheit war. Diese hatte früher sicher eine starke Schlagseite, jetzt versuchen aber auch die Boulevardmedien, differenzierter zu berichten. Das reflektiert auch die Meinung der Österreicherinnen und Österreicher, die nicht mehr so einseitig – pro oder kontra – reagieren, weil sie mehr und mehr die Komplexität sehen und nicht mehr in gleichem Maße bereit sind, der einen oder anderen Seite einfach die alleinige Schuld zuzuschieben. Das ist eine gute Basis, auf der man aufbauen kann, noch dazu, wo viele in der jüngeren Generation hierzulande Israel cool finden und das Land als interessant und dynamisch wahrnehmen.

Die jüdische Bevölkerung in Österreich empfindet nicht, dass Israel hier so viele Freunde hat.

❙ Für Israel ist es auch schwierig: Einer meiner Freunde hat an einem Programm in Israel teilgenommen und erzählt, dass man ihm dort ein großes Foto gezeigt hat, auf dem Jugendliche gegen einen Panzer Steine werfen. Und der Israeli sagte dazu: „Wir versuchen zu erklären, dass der Panzer das Opfer ist.“ Das zeigt ganz gut, wie schwierig es oft ist, Verständnis für Israels Position zu gewinnen. Steine werfen ist keine Kleinigkeit, Steine sind Waffen, das wird auch jeder österreichische Polizist bestätigen.

Sehen Sie Chancen für einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, oder haben österreichische Firmen noch immer Angst vor dem arabischen Boykott?

❙ Ich höre von unserem Handelsdelegierten in Tel Aviv, dass es großes gegenseitiges Interesse an neuen Kooperationen gibt. Derzeit produziert z. B. eine österreichische Firma erhebliche Mengen an koscherer Schokolade für den israelischen Markt. Es gibt Interesse an österreichischer Technologie auf dem Gebiet der Infrastruktur, auch durch den Nachholbedarf beim öffentlichen Verkehr in Israel, vor allem im Bahn- und Busbereich. Staatssekretär Harald Mahrer war bereits mehrmals in Israel, weil es dort viel zu lernen gibt, wie man es z. B. mit viel brain power, aber ohne großartige natürliche Ressourcen schafft, sehr erfolgreich zu sein. Aber all das funktioniert nur, wenn beide Seiten daran Interesse haben und in einer Kooperation Vorteile sehen.

„80 Prozent der Diplomatie wird von der Geografie bestimmt: Wenn man im Fall von Israel das Land gesehen hat, verändert sich auch der Blickwinkel.“

Österreich pflegt über Jahre hinweg den Kontakt zu den betagten ehemaligen Österreichern in Israel. Wie sieht es mit jüngeren Ansprechpartnern aus?

❙ Die Beziehung zu den Altösterreichern ist ganz wichtig, und man darf diese auf keinen Fall vernachlässigen. Auch der Einsatz von vielen jungen und extrem engagierten Gedenkdienern in Israel ist unschätzbar. Aber die Arbeit eines Diplomaten sehe ich auch darin, wie ein Trüffelhund andauernd nach neuen Möglichkeiten in der Kooperation zwischen zwei Ländern zu suchen. Aus meiner Erfahrung in Los Angeles weiß ich z. B., wie erfolgreich die israelische Filmbranche ist. Israelische Filme werden regelmäßig für die Oscars nominiert und auch in Österreich ist diese Szene stark im Aufwind begriffen. Ich würde z. B. sehr gerne Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky nach Tel Aviv bringen, damit er dort von seiner Arbeit erzählt und Kontakte knüpft.

Ich glaube auch, dass es im Bereich der jungen elektronischen Musik und des Sports noch viele Chancen gibt, etwas gemeinsam aufzubauen und auf ein höheres Niveau zu heben, als es das jetzt schon ist. Es ist mir wichtig, immer Partner vor Ort zu finden, die ein Projekt gleichermaßen interessant finden. Es bringt nichts, wenn ich einsam eine Ausstellung in der österreichischen Botschaft plane. Nur wenn man mit einem lokalen Partner eine breitere Öffentlichkeit erreicht, bringt es etwas.

Was möchten Sie in Ihrer Zeit als Botschafter erreichen?

Das Schönste, das man als Botschafter erreichen kann, ist, wenn man sagen kann, dies oder jenes ist nur deshalb passiert, weil ich es mir in den Kopf gesetzt habe. Ich werde etwas geschafft haben, wenn wir auf vielen Ebene ein noch freundschaftlicheres, engeres Verhältnis haben: Noch viel mehr Österreicher Israel kennen gelernt haben und einen anderen Blick auf Israel haben. In der Diplomatie sagt man, achtzig Prozent der Diplomatie wird von der Geografie bestimmt: Wenn man im Fall von Israel das Land gesehen hat, verändert sich auch der Blickwinkel, das Mittelmeer ist auf ‚der anderen‘ Seite, man realisiert, wie schmal und eng dieses Land ist. Und es sollten noch mehr Israelis nach Österreich kommen, damit wir einander besser kennen lernen und noch viel mehr von einander erfahren. Wenn z. B. ein neues Filmprojekt entsteht, das es ohne den Anstoß der österreichischen Botschaft nie gegeben hätte, wenn ein neues Wirtschaftsprojekt realisiert wird, wenn israelische Züge in Zukunft auf österreichischen Schienen fahren: Das wären Erfolge, wie ich sie mir wünschen würde.

Haben Sie bereits mit dem Hebräisch-Studium begonnen?

❙ Ja, ich lerne zurzeit hauptsächlich online, denn das passt zu meinem jetzigen Rhythmus; so kann ich auch in der Nacht lernen. Die Aussprache finde ich nicht sehr schwer, das Vokabular ist da schon deutlich schwieriger, weil man sich an keiner anderen Sprache anlehnen kann. Mir macht es extrem viel Spaß, und ich würde gerne am Ende meiner Amtszeit ein Interview auf Hebräisch geben können.

Wie stehen Ihre Frau und Ihre Kinder zum „Abenteuer Israel“?

❙ Zum ersten Mal gehen wir ohne Kinder auf einen Posten: Unser Sohn studiert Wirtschaftsinformatik in Wien, meine Tochter Design in Mailand. Meine Frau freut sich sehr, denn wir haben Israel schon von unserem Posten in Zypern aus besucht. Wir haben beide das Gefühl mitgenommen: Das, was das Leben in Israel auszeichnet, ist diese starke, lebendige Dynamik.

Botschafter Martin Weiss,
geboren 1962, ist Jurist und hat in Österreich und den USA (University of Virginia) studiert. Von 2012 bis zum Antritt seines Postens in Tel Aviv war er Leiter der Presseabteilung des Außenministeriums. Diese Funktion hatte er bereits von 2001 bis 2004 inne. Weiss war zuletzt österreichischer Botschafter in Zypern (2009–2012), davor österreichischer Generalkonsul in Los Angeles (2004–2009).

Bilder: © Reinhard Engel

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