Jugendliche für die dunkelsten Stunden unserer Geschichte sensibilisieren

Vor ihrer ersten Israel-Reise sprach Staatssekretärin Karoline Edtstadler über Antisemitismus, die Bedeutung von Zeitzeugen der NS-Zeit, die FPÖ und ihre Begeisterung für Europa mit Marta S. Halpert.

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© Reinhard Engel

WINA: Sie sind als Staatssekretärin im Innenministerium u. a. auch für die KZ-Gedenkstätte Mauthausen zuständig. Sie haben im März gemeinsam mit dem 104-jährigen Zeitzeugen Marko Feingold eine Schule in Ihrer Heimatstadt Salzburg besucht und dabei angekündigt, dass Sie das Gedenkjahr 2018 auch dazu nutzen möchten, um Jugendliche für die dunkelsten Stunden in unserer Geschichte zu sensibilisieren. Welche Maßnahmen konnten Sie bereits realisieren?

Karoline Edtstadler: Mir ist Marko Feingold schon seit meiner Kindheit bekannt. Das Zeitzeugengespräch mit ihm ist auf ganz großes Interesse gestoßen. Gemeinsam mit den Schülern des Salzburger Borromäum und den Schülerinnen der Kindergartenpädagogikschule sind fast 300 Jugendliche gekommen. Alle waren thematisch sehr gut vorbereitet und von der unglaublich positiven Persönlichkeit Feingolds fasziniert. Meine Mutter, die im Borromäum unterrichtet, hat mir erzählt, dass Schüler und Schülerinnen noch Wochen nach dieser Begegnung beeindruckt waren. Von der Freude, mit der er über sein Leben berichtete, obwohl er so viel Schreckliches erlebt hatte. Genau diese Saat möchte ich bei den jungen Menschen säen, damit sie sich für die Geschichte und ihre dunkelsten Stunden interessieren.

»Es ist doch viel lebendiger,
wenn man Erlebnisse sieht und hört,
als wenn man es nur im Geschichtsbuch liest.«
Karoline Edtstadler

Da gehört ein Besuch in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen dazu?
Ja, genau. Für mich gehört dazu, dass jedem Schüler und jeder Schülerin während der Schulzeit ein Besuch ermöglicht wird. Ich kann und will niemanden dazu zwingen, aber wir müssen es für alle ermöglichen. Daher sind wir mit verschiedenen Unternehmen wie z. B. der ÖBB oder Busgesellschaften in Verhandlungen, um vergünstigte Reisen anbieten zu können. Sobald wir ein günstiges Angebot haben, werden wir das den Schulen gezielt anbieten.

Mir ist wichtig, dass dieses Thema präsent bleibt. Wir hatten noch ein zweites Zeitzeugengespräch in Wr. Neustadt mit Kurt Rosenkranz, der zwei Stunden lang von seiner Jugend erzählt und dann noch viele Fragen beantwortet hat. Als er von seinen Jugendstreichen berichtete, konnten alle herzhaft lachen. Es war die Geschichte eines ganz normalen Buben, der plötzlich, von einem Tag auf den anderen, zum Ausgegrenzten wurde und auf der Eselsbank sitzen musste. Er hat eindrucksvoll geschildert, was das mit ihm gemacht hat. Es ist allerdings eine ganz große Herausforderung, weitere solche Gespräche zu organisieren, nicht zuletzt wegen des Alters der Zeitzeugen.

Wie kann man Jugendlichen in Zukunft auch ohne Zeitzeugen die Schrecken der NS-Zeit verständlich machen?
Einerseits haben wir diese Gespräche glücklicherweise dokumentarisch festgehalten. Diese auch für Facebook und andere Social-media-Formate adaptiert, mit einem Statement von den Zeitzeugen und mir. So können wir in Zukunft diese Berichte in adäquaten Formaten anbieten, so wie es die Jugendlichen heute bereit sind zu konsumieren. Andererseits werden wir den Schulen DVDs zur Verfügung stellen, damit man diese O-Töne in den Unterricht integrieren können. Es ist doch viel lebendiger, wenn man Erlebnisse sieht und hört, als wenn man es nur im Geschichtsbuch liest oder vom Lehrer erzählt bekommt. Wir tun alles, um diese Berichte zu konservieren und somit auch die Stimmung zu transportieren.

»Es muss jede Form des Antisemitismus im Keim erstickt werden. Bei Vorfällen dieser Art muss man ein klares Zeichen setzen, dass es nicht nur nicht geduldet, sondern auch sanktioniert wird.«
Karoline Edtstadler

Was ist aus Ihrem Vorhaben geworden, in Wien eine Außenstelle der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zu etablieren?
Die Bundesanstalt Gedenkstätte KZ-Mauthausen gehört im Bundesministerium für Inneres zu meinem politischen Verantwortungsbereich. Es ist mir ein Anliegen, dass Jugendliche einen Raum zentral in Wien für die pädagogische Vor- und Nachbereitung haben. Dafür wird jetzt ein Haus in der Argentinierstraße im 4. Bezirk adaptiert. Die Bundesanstalt war bisher am Minoritenplatz im 7. Stock des Ministeriums untergebracht, das ist für einen Ort der Begegnung nicht ideal. Jetzt wird es eine Bibliothek mit umfassenden Informationsmaterialien, Videos von Zeitzeugen etc. geben, wo man auch Seminare abhalten kann. So kann man das Thema auch in der Bundeshauptstadt und nicht nur in Mauthausen sichtbar machen.

Gibt es da auch Kontakte zur IKG?
Ich persönlich pflege einen intensiven Austausch mit der IKG und spreche regelmäßig mit dem Präsidenten Oskar Deutsch. Am 14. Oktober fahre ich vier Tage nach Israel, besuche Yad Vashem und in der Folge auch Start-up-Unternehmen in Haifa und Tel Aviv. Gerade im Bereich der Cyber Security können wir unglaublich viel von Israel lernen. Das ist ein Feld, dem ich mich verstärkt widme. Wir können zwar unsere Polizisten und Polizistinnen ausbilden, aber ohne Kontakt zu den Unternehmen stehen wir hier auf verlorenem Posten. Da ist Israel ein ganz großes Vorbild. Ich freue mich ungemein auf diese Reise.

© Reinhard Engel

Die Bundesregierung betont in letzter Zeit öfter die Absicht, gezielt gegen den islamisch motivierten Antisemitismus vorzugehen. Differenzieren Sie auch in diese Richtung beim Kampf gegen den Antisemitismus?
Es muss jede Form des Antisemitismus im Keim erstickt werden. Bei Vorfällen dieser Art muss man ein klares Zeichen setzen, dass es nicht nur nicht geduldet, sondern auch sanktioniert wird. Man muss sofort reagieren. Vor Kurzem gab es in Wien die Konferenz An End to Antisemitism!. Das ist ein schönes Ziel, eine Vision, aber jetzt heißt es, täglich daran zu arbeiten, damit dieses Phänomen nicht größer wird. Dabei ist es weniger wichtig, woher der Antisemitismus kommt: Denjenigen, die es betrifft, ist es ja vom Ergebnis her egal, woher er stammt.

Dennoch wird von der Politik zwischen dem hier „beheimateten“, meist rechten Antisemitismus und dem „importierten“ unterschieden. Oft auch relativiert, was schlimmer und weniger schlimm ist.
Auch hier arbeiten wir mit der IKG zusammen und besprechen das Thema der Zuwanderer, die oft mit einem angelernten Antisemitismus kommen, laufend. Wir sind uns einig, da gegenzusteuern, zu informieren, zu sensibilisieren. Im Regierungsprogramm ist ein klares Bekenntnis Österreichs zu seiner historischen Vergangenheit festgehalten und auch ein klares Bekenntnis der Bundesregierung gegen jede Form des Antisemitismus.

Wir stehen auch in Kontakt mit dem DÖW, wo Seminare für junge Menschen, die zugezogen sind, angeboten werden. Es ist wichtig, das Thema direkt anzusprechen, aufzuklären und präventiv gegen Antisemitismus zu wirken, denn zumeist fehlt vor allem das Wissen. Viele junge Menschen übernehmen oft blind Geschichten, die sie irgendwo gehört haben.

Willy Mernyi, der Vorsitzende des Mauthausen Komitees, hat in einer Dokumentation unter dem Titel Lauter Einzelfälle? viereinhalb Jahre vor der letzten Nationalratswahl insgesamt 68 Einzelfälle von rechtsextremen Aktivitäten von FPÖ-Politikern dokumentiert. Allein im Halbjahr 2018 waren es 38. Kann da von einer Mäßigung der FPÖ als Regierungspartei die Rede sein?
Ich kenne das Buch, das ich von Mernyi persönlich erhalten habe. Wenn es Einzelfälle gibt, muss man sofort darauf reagieren. Die FPÖ hat ein Bekenntnis dazu abgegeben, gegen jede Form des Antisemitismus zu kämpfen. Vizekanzler Strache hat am Akademikerball sehr klare Worte gefunden und auch eine Historikerkommission eingesetzt, um diese Dinge aufzuarbeiten. Das sollte man dem Koalitionspartner auch anrechnen, weil es sich hier nicht nur um ein Lippenbekenntnis handelt. Natürlich ist jeder Einzelfall einer zu viel. Es ist notwendig, hier eindeutig zu reagieren und auch Sanktionen zu setzen.

Ein Diplomat in Brüssel nannte Sie jüngst „Madame EU-Vorsitz“ mit dem Hinweis darauf, dass Sie jüngst Europaminister Blümel öfter im EU-Parlament vertreten haben. Diese Bühne ist Ihnen ja nicht fremd, da Sie vor Ihrer Regierungstätigkeit am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg tätig waren. Macht es Ihnen Freude, das österreichische Gesicht des EU-Ratsvorsitzes zu sein?
Ja, es hat mich gefreut, als Minister Blümel mich lange vor dem Beginn des EU-Ratsvorsitzes gefragt hat, ob ich ein paar Termine für ihn übernehmen könne. Ich habe damals freudig zugestimmt und gar nicht erfasst, wie viel Vorbereitungsarbeit das beinhaltet. Aber ich liebe Straßburg und war unheimlich gerne dort. Ich bin eine glühende Europäerin, denn ich weiß auch, dass wir nur gemeinsam den Weg des Friedens in Zukunft gehen können. Mir ist es ein großes Anliegen, dass wir etwas für die Menschen weiterbringen und sie uns vertrauen. Denn, JA, die EU kann sehr wohl Lösungen zustande bringen, wo die einzelnen Mitgliedsstaaten zu klein dafür sind. Es gibt für mich keine Alternative zur Europäischen Union.

Als Topjuristin sitzen Sie jetzt im Innenministerium. Würde Sie das Justizressort nicht mehr reizen?
Ich bin mit Leib und Seele Staatssekretärin im Innenministerium. Dieses Ministerium hat viele Berührungspunkte mit dem Justizministerium, es gibt zahlreiche Querschnittmaterien. Dazu gehört auch die Verschärfung des Strafrechts bei Delikten gegen Frauen und Kinder. Wir müssen diese Opfergruppen schützen, und im Fall des Falles müssen Täter spüren, dass es ernstzunehmende Sanktionen durch den Staat gibt. Das ist auch eines meiner Ziele, eine derartige Veränderung in unserer Gesellschaft herbeizuführen, dass Opfer auch Opfer bleiben, und nicht die Täter geschützt werden. Ich fühle mich im Ministerium sehr wohl, es gibt noch sehr viel zu tun.

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