Die junge Kaiserin in Tel Aviv

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Tel Aviv feierte diesen Sommer seine siebzehnte und bisher größte Gay Pride Parade. Stolze 180.000 Menschen sollen diesmal dabei gewesen sein. Der Höhepunkt der Veranstaltung war der Auftritt von Conchita Wurst, der bärtigen Diva aus Österreich, die im letzten Jahr zur Siegerin des Eurovision Song Contests erkoren wurde.

Von Daniela Segenreich-Horsky   

„Und man kann versuchen, Vorurteile abzubauen, die Vorurteile über Israel und die Vorurteile über Österreich.“

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„Das ist das Paradies!“
Conchita Wurst war der Stargast bei der 17. Tel Aviv Gay Pride Parade 2015.

Oh my god, das ist das Paradies! Das Meer hier ist wundervoll! Und ich habe noch nie so viele schöne Menschen auf einem Fleck gesehen!“, teilt die vom Conferencier als „the one and only“ angekündigte Conchita ihre ersten Eindrücke von Israel mit dem Publikum. Die oft als „europäische Queen“ betitelte Sängerin folgte der Einladung gerne, als Stargast im einzigen Land im Nahen Osten aufzutreten, das jährlich seine Regenbogenparaden zelebriert: „Mir wird ständig gesagt, wie froh die Menschen hier sind, dass ich gekommen bin, wie viel es ihnen bedeutet. Dass manche Künstler Israel boykottieren, könnte mich nicht weniger tangieren. Ich freue mich, hier als Freundin herzukommen. Ich finde den Boykott unverständlich!“

Der aus der Steiermark stammende Tom Neuwirth hat seit seinem Sieg beim Song Contest 2014 ein intensives Jahr hinter sich. Wie viele Drag Queens hatte er die in ihm schlummernde Persönlichkeit Conchitas erst langsam entdeckt. Im Kapitel Wer bin ich heißt es in seiner/ihrer Biografie: „ Es vergehen die Jahre, und du hast weder ein richtiges Aussehen noch einen Namen. Na komm, halt die Füße still, du kriegst deine Momente des Ruhms […] Nach 23 Jahren auf der Wartebank wirst du plötzlich aufs Spielfeld gebeten. Mit schwarzen langen Haaren, noch längeren Wimpern, in unendlich unbequemen Schuhen und mit einem Bart. Ja, du wirst einen Bart haben, mein Herz […].“ Weiters kann man dort auch lesen, dass Conchita ein Faible für hochhackige Schuhe hat und dass die ausgebildete Modezeichnerin von Modeschöpfer Jean Paul Gautier in Anspielung an ihr Heimatland liebevoll „die junge Kaiserin“ genannt wird. Und als solche liegen ihr wohl auch die Beziehungen zwischen Israel und Österreich besonders am Herzen.

Conchita in Yad Vashem?
Conchita Wurst: Ich, Conchita. Meine Geschichte. We are unstoppable. LangenMüller 2015, 192 S., € 20,60 (A)/20 (D)
Conchita Wurst:
Ich, Conchita.
Meine Geschichte. We are unstoppable.
LangenMüller 2015, 192 S.,
€ 20,60 (A)/20 (D)

Noch am Abend ihrer Ankunft im Heiligen Land gibt Conchita bei einem vom Tourismusministerium für Journalisten aus aller Welt organisierten Dinner im Tel Aviver Gourmet-Treff „Bindella“ eine kleine Pressekonferenz. Was sie dort öffentlich nicht sagt, ist, dass sie vorhat, am nächsten Morgen vor ihrem großen Auftritt auf der Tel Aviver Strandpromenade mit ihrem Team das Holocaust Memorial Yad Vashem in Jerusalem zu besuchen: „Die Geschichte, die diese beiden Länder – Österreich und Israel – miteinander haben, ist eng verknüpft. Man darf die Vergangenheit nicht vergessen, damit so etwas nie wieder passiert. Das ist sehr, sehr wichtig. Und wenn man die Möglichkeit hat, Yad Vashem sehen zu dürfen […] das hat etwas wahnsinnig Ergreifendes für mich. Man kann die Vergangenheit nicht ändern, aber man kann die Zukunft formen“, kommentierte die Sängerin ihre Pläne für WINA: „Und man kann versuchen, Vorurteile abzubauen, die Vorurteile über Israel und die Vorurteile über Österreich.“

Doch die Organisatoren der Parade machten ihrem Stargast einen Strich durch die Rechnung und der geplante Besuch musste abgesagt werden. Es wäre zu riskant gewesen, sie hätte womöglich ihren großen Auftritt versäumen können. Die Straßen rund um die Veranstaltung wurden großräumig abgesperrt und das Risiko, dass Conchita es nicht mehr rechtzeitig zurück ins Hotel zum Umziehen schaffen würde, war zu groß. Außerdem war die zarte Drag Queen eigentlich schon recht erschöpft von der Promotion ihres Erst-Albums und der bereits in sechs Sprachen herausgegebenen Biografie. Und für das aufwendige Schminken müssen ja vor jedem öffentlichen Auftritt zusätzlich jeweils zwei Stunden einberechnet werden.

Geschirrspüler und roter Teppich

Es ist kein leichtes Metier. Und es ist nicht immer einfach, die Privatsphäre der jeweils anderen Persönlichkeit zu bewahren: „Als ich noch Tom war, durfte ich meine weibliche Seite nur am Dachboden im Haus meiner Eltern ausleben“, erzählt Conchita: „Heute muss ich die Privacy von Tom verteidigen, ich hüte mein Privatleben wie einen Schatz. Ich brauche das Alltägliche: den Geschirrspüler ausräumen, die Wäsche machen, einkaufen gehen […]. Aber ich will auch den roten Teppich, die Auftritte und Interviews!“ In Österreich kann es schon mal vorkommen, dass Tom als solcher erkannt wird, aber zu den Auftritten ins Ausland reist eigentlich nur Conchita, sein Alter Ego, wenn er auch zugibt: „Ich reise meist nicht ‚in drag‘, das ist zu unbequem. Ich bin verhüllt und mit Sonnenbrillen getarnt in Israel eingereist.“ In Tel Aviv gab es dann aber nur noch die Diva Conchita Wurst.

„Man kann die Vergangenheit nicht ändern, aber man kann die Zukunft formen.“

Israel ist, was die Akzeptanz und Gesetze für Gays betrifft, weit vorne, und Tel Aviv hat sich mittlerweile bei der internationalen LGBT-Gemeinde als Geheimtipp etabliert. In der Woche der Tel Aviv Gay Pride Parade gab es, wie immer, beinahe nonstop Aktivitäten, Performances und Feste und auch diesmal wieder eine Messe mit einschlägigen Produkten und Informationsständen für die Gäste vom Fach. 30.000 Touristen sollen heuer für das Event angereist sein, die Hotels der Küstenmetropole waren voll ausgebucht, einige Zebrastreifen an den zur Strandpromenade führenden Straßen wurden in Regenbogenfarben gefärbt, die Häuser und Geschäfte im Zentrum mit Fähnchen geschmückt.

Die jährlich im August stattfindende Gay Parade in Jerusalem ist dagegen um vieles kleiner, ruhiger und dezenter, denn dort muss auf die religiösen Gemeinden Rücksicht genommen werden. Und auch bei den meisten arabischen Bewohnern wird Homosexualität noch immer als ein Verbrechen angesehen. Aber für die Heilige Stadt ist auch der kleinere Umzug, der jedes Jahr vor der Knesset, dem israelischen Parlament, endet, schon eine große Errungenschaft.

Dennoch: Tel Avivs langjähriger Bürgermeister Ron Huldai, der es sich auch diesmal nicht nehmen ließ, die Parade seiner Stadt stolz zu eröffnen, meinte in seiner Rede, dass es, was gleichgeschlechtliche Ehen und verwandte Themen betrifft, bei der Gesetzgebung noch einiges zu verbessern gäbe. Oder, um es mit den Worten von Conchita Wurst zu sagen: „Es ist wichtig, sichtbar zu sein und für unsere Rechte und für das, woran wir glauben, zu kämpfen.“ ◗

Coverbild: © Guy Yechiely
Das andere Bild: © Abir Sultan / picturedesk.com

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