Kaum Rückkehrer

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Österreich hat die vertriebene Intelligenz aus dem Ausland nicht zurückgerufen. Das gilt auch für die Ökonomen – nur wenige kamen nach Kriegsende wieder.  Von Reinhard Engel

Johannes Feichtinger findet klare Worte: „Die Remigrationsforschung hat gezeigt, dass nur wenige emigrierte Wissenschaftler zurückgeholt und für den Wiederaufbau eingesetzt wurden. Die verhinderte Zurückholung der ‚vertriebenen Vernunft‘ hat der österreichischen Wissenschaftslandschaft den Weg in die ‚Provinzialität‘ geebnet.“ Feichtinger ist Senior Research Associate am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften und lehrt Wissens- und Wissenschaftsgeschichte an der Universität Wien. Er war der erste von zahlreichen Referenten einer internationalen Konferenz der Akademie der Wissenschaften im April 2015 zum Thema „Exil und Rückkehr von Sozialwissenschaftlern“.

„Die ModernisierungÖsterreichs ist immervon außen angestoßenworden.“ Raoul Kneucker

Eduard März flüchtete in die USA und war nach seiner Rückkehr nach Österreich Mitbegründer der Sozialpartnerschaft.
Eduard März flüchtete in die USA und war nach seiner Rückkehr nach Österreich Mitbegründer der Sozialpartnerschaft.

Natürlich spielte der Anschluss an das deutsche Reich die entscheidende Rolle für Flucht und Auswanderung der Intelligenz, vorrangig der jüdischen. Feichtinger: „Mit dem ‚Anschluss‘ wurde nicht nur die universitäre, sondern auch die außeruniversitäre Wissens- und Wissenschaftskultur, die Wiens exzellenten Ruf als Wissenschaftsstandort mitbegründet hatte, nachhaltig zerschlagen.“ Doch der Forscher sieht den „Brain Drain“ Österreichs in einem etwas größeren historischen Kontext: Juden wurden schon in der Ersten Republik von den Unis ferngehalten oder verdrängt und bekamen kaum Lehrstühle, nach dem Krieg holte sie niemand zurück. Laut Feichtinger konnte im Nachkriegsdeutschland jeder fünfte vertriebene Wissenschaftler wieder eine Stelle bekommen, an der Universität Wien war es höchstens jeder zehnte.

Auch der Grazer Soziologe Christian Fleck spricht von einer „Selbstprovinzialisierung“ der österreichischen Wissenschaft. Und Feichtinger weiter: „Die Jahre des Wiederaufbaus waren verlorene Jahre. Die Remigration ist keine Erfolgsgeschichte.“ Dennoch: „Unter den wenigen Rückkehrern sind solche, die zur Modernisierung Österreichs beigetragen haben, ihre Rolle ist allerdings noch nicht genug erforscht.“

Kahlschlag für die Nationalökonomie
Friedrich August Hayek unterrichtete in den 1940er-Jahren an der London School of Economics. Er gilt als Vater des Neoliberalismus und erhielt 1974 den Nobelpreis.
Friedrich August Hayek unterrichtete in den 1940er-Jahren an der London School of Economics. Er gilt als Vater des Neoliberalismus und erhielt 1974 den Nobelpreis.

Eine Gruppe, an der sich das besonders gut zeigen lässt, ist jene der Ökonomen. Laut dem Grazer Universitätsprofessor für Soziologie Manfred Prisching war Österreich im 20. Jahrhundert „eine wirtschaftspolitische Großmacht“ – in den verschiedenen Schulen. Aber schon während der Zwischenkriegszeit spielte sich vieles davon außerhalb der – konservativen, engstirnigen und judenfeindlichen – Universitäten ab. Prisching erwähnt etwa den bedeutenden fächerübergreifenden Kreis von Ludwig Mises, den dieser in seinem Büro in der Wiener Handelskammer um sich versammelte.

Die Emigration bedeutete für die österreichische Nationalökonomie einen wahren Kahlschlag. Laut Günther Chaloupek, den ehemaligen Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der Arbeiterkammer, verließen etwa 100 Ökonomen vor und nach 1938 das Land, mehr als die Hälfte davon zog in die USA, etwa ein Drittel nach England, der kleine Rest in andere Länder wie Kanada oder China. Die überwiegende Zahl von ihnen war jüdisch – mit wenigen Ausnahmen wie etwa Friedrich August Hayek oder Oskar Morgenstern. Und sie waren mehr oder weniger klar nach Schulen oder politischen Lagern getrennt – den Vertretern der liberalen österreichischen Schule der Nationalökonomie standen die Marxisten, Sozialisten und Keynesianer gegenüber.

Entsprechend teilten sich auch die meisten Exilströme auf: Die rechteren Ökonomen tendierten eher in die USA, die linkeren nach England. Doch auch das sollte nicht immer optimal funktionieren. Denn die Laissez-faire-Haltung hatte in den USA der 1930er-Jahre massiv an Einfluss verloren, Franklin D. Roosevelt bekämpfte mit den staatlichen Mitteln des New Deal Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise. Die Folge davon war, dass die Vertreter der österreichischen Schule eher an Universitäten zu finden waren und nur ganz wenig politischen Einfluss geltend machen konnten. Die sozialistisch orientierten Ökonomen wiederum hatten an den US-Colleges kaum eine Möglichkeit auf akademische Karrieren – anders als in England. Chaloupek: „Die britischen Universitäten boten Ökonomen, die mit keynesianischen oder sozialistischen Ideen sympathisierten, eine Chance, ihre Studien weiter zu betreiben.“ In England dominierten daher die linken ausgewanderten Ökonomen deutlich jene aus der liberal-konservativen Schule.

Maria Szécsi (mit Jura Soyfer) Anfang der 1930er-Jahre.
Maria Szécsi
(mit Jura Soyfer)
Anfang der
1930er-Jahre.

Es waren dann auch linke oder keynesianische Wirtschaftswissenschaftler, die vor allem aus England nach Österreich zurückkehrten, um hier am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitzuarbeiten. „Zehn von 21 nach England emigrierten Ökonomen kamen wieder“, erzählt Chaloupek, „aber nur fünf von 58 aus den USA“. Das hatte einerseits damit zu tun, dass die linken „Engländer“ Beziehungen zu den sozialistischen oder kommunistischen Parteien in Österreich gepflegt hatten, andererseits mit den vergleichsweise guten Bedingungen an den amerikanischen Universitäten, mit denen die österreichischen nicht mithalten konnten. „Warum sollte jemand aus Princeton weggehen?“, fragt der Soziologe Fleck. Und schließlich zogen die hiesigen, oft mediokren Lehrstuhlinhaber alle Register gegen eine gefährliche Konkurrenz aus dem Ausland, von Insider-Bestellungen bis zu bürokratischen Hürden, etwa der Forderung, die US-Staatsbürgerschaft aufzugeben, noch ehe man sich in Wien bewarb. Das Klima fasst der ehemalige Wissenschaftssektionschef Raoul Kneucker mit dem Zitat eines damaligen hohen Beamten gegenüber einem Remigranten zusammen: „Sie haben im Ausland Karriere gemacht, während wir hier die Arbeit gemacht haben.“

So gelang auch nur wenigen – selbst renommierten – Ökonomen der Wiedereinstieg in das österreichische akademische Leben, etwa Kurt Rothschild, der eine ordentliche Professur in Linz erhielt. Meist gab es nur kurze Episoden als Gastprofessoren, selbst für den damals schon bekannten Hayek an der Uni Salzburg. Oskar Morgenstern, Begründer der Spieltheorie, den man laut dem Soziologen Fleck „hätte haben können“ – aber es kam keine Einladung aus Wien, im Gegensatz zu Städten wie Kiel oder Berlin –, leitete kurzzeitig das neu gegründete außeruniversitäre Ford-Institut, das heutige Institut für Höhere Studien, ehe er Wien wieder verließ.

Die Rolle der Rückkehrer

Den größten Einfluss auf wirtschaftspolitische Entwicklungen nahmen Remigranten in den sozialpartnerschaftlichen Institutionen, in der Arbeiterkammer, im Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen, teils auch im Wirtschaftsforschungsinstitut. Dabei handelte sich sich um Linke, die in England oder in den USA moderne ökonomische Theorien und Methoden gelernt hatten, auch dass man ohne kommunistischen Systemwandel erfolgreich für die Arbeitnehmer aktiv werden könne. Zu dieser Gruppe von Ökonomen gehörten etwa Stefan Wirlandner, Philipp Rieger, Theodor Prager, Eduard März oder Maria Szécsi. Zwar ging es anfangs noch um vorwiegend etatistische Modelle – im Vordergrund standen Investitionen in die Infrastruktur und das Wiederbeleben der Wirtschaft mit Hilfe großer staatlicher Unternehmen. Aber bald fanden auch auf der Arbeitnehmerseite neue Themen den Weg in die Diskussion, etwa der Konsumentenschutz oder das in den USA seit Langem präsente Wettbewerbsthema und der Kampf gegen Kartelle und Monopole. Ex-Sektionsschef Kneucker fasst knapp zusammen: „Die Modernisierung Österreichs ist immer von außen angestoßen worden“ – ob im 19. Jahrhundert von Zuwanderern, ob im 20. von Remigranten oder ob zuletzt von der EU.

Bilder: © picturedesk.com

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