„Konzerte als psychoanalytische Veranstaltung“

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Das kulturelle Schaffen von Edek Bartz kennt viele Facetten, Musik spielte aber immer eine besondere Rolle. Mit der Platte A Haymish Groove, die er gemeinsam mit Albert Misak unter dem Alias Geduldig und Thimann vor 23 Jahren veröffentlichte, konnte er sich seinen Platz in der österreichischen Pophistorie sichern. Für April ist ein Re-Release der Platte geplant, die mit ihrer musikalischen Vielfältigkeit einige Rückschlüsse auf die Person Edek Bartz erlaubt.

Interview: Thomas Kiebl
Fotos: Daniel Shaked

WINA: Wenn Sie sich zurückerinnern: Wie charakterisieren Sie die Begleitumstände Ihrer ersten musikalischen Veröffentlichungen?

Edek Bartz: Unsere ersten Platten sind Mitte der Sechzigerjahre erschienen. Allerdings nicht unter Geduldig und Thimann, sondern als Les Sabres. Auf der ersten EP Schalom Alechem! sang Marika Lichter bei uns. Sie war damals erst um die 14 Jahre alt, hatte aber bereits eine sehr gute Stimme. Schalom Alechem! wurde als Schallplatte veröffentlicht, womit wir zu den ersten Bands in Wien damals gehörten. Auf die EP folgte unsere erste LP Everybody Loves Saturday Night, die wir ebenfalls noch unter Les Sabres veröffentlichten. Allerdings erweiterten wir da­rauf unser Repertoire: Beinhaltete die erste EP nur jüdische und israelische Lieder, waren auf der LP internationale Titel vertreten. Die Folk-Welle der Sechzigerjahre mit Künstlern wie Bob Dylan, Joan Baez oder Theodor Bikel ging nicht spurlos an uns vorbei. Allerdings haben wir danach schnell entschieden, in Zukunft nur noch jüdische Sachen zu machen.

„Die Idee war, aus diesen alten Liedern etwas zu schaffen, was für die moderne Zeit Gültigkeit hat.“ Edek Bartz

Les Sabres als Bandname ist ein Statement.

❙ Wir kamen auf den Namen, weil unser Bandmitglied Willie Weigel Israeli war. Wir wollten einen Bandnamen, der auf unsere musikalische Richtung hinweist, ohne das explizit im Titel anzusprechen. Mitte der Sechzigerjahre hatten wir viele Auftritte, wir wurden zum Inbegriff einer jüdischen Band. Obwohl die Menschen in Österreich damals gar nicht so recht wussten, was jüdisch bedeutet. Wir sind in Arbeiterheimen oder im katholischen Umfeld aufgetreten, viele der Konzertbesucher verstanden unsere Sprache nicht und hatten keine Ahnung, wovon wir singen. Was uns, wegen der komischen Situation in Österreich zu der Zeit, manchmal gar nicht Unrecht war: Für viele Österreicher waren wir die ersten Juden, die sie zu Gesicht bekamen. Wir hatten einen exotischen Touch. Zudem waren wir gut aussehende Burschen, die mit dem antisemitischen Bild, das in vielen Köpfen noch präsent war, brachen. Diese Schablone war nicht auf uns übertragbar. Die Leute zeigten sich deswegen sehr überrascht, wie sie uns auch mitgeteilt haben. Da ereigneten sich einige absurde Situationen, etwa bei einem Konzert in einem Innsbrucker Lokal, wo ein Besucher zwar übel über Juden schimpfte, zugleich aber unsere Musik und unser Konzert super fand. Also ein Antisemit, der uns trotzdem mochte. Diese Stimmung war im Österreich jener Jahre oft vorzufinden: Die Leute hatten ihre Vorbehalte gegenüber Juden, aber unsere Musik mochten sie. Darin lag das Erfolgsgeheimnis der Band.

Sahen Sie in der Musik eine Möglichkeit, eine Selbstreflexion in der österreichischen Bevölkerung über ihre vorhandenen antisemitischen Vorstellungen anzustoßen?

❙ Das war schon unser Ziel, welches wir mit unseren Mitteln, der Musik, erreichen wollten. Und wir waren der Meinung, dass uns das gelungen ist. Da viele Leute zum ersten Mal mit Juden konfrontiert waren, setzte ein Denkprozess ein. Die mussten nicht einmal antisemitische Gefühle haben, viele wussten mit Juden einfach nichts anzufangen. Und durch die Begegnung mit uns begannen sie nachzudenken. Aber das passte in diese schräge Zeit, in der die Leute nach den Konzerten zu uns kamen, um ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Das wurde mit der Zeit immer extremer und war einer der Gründe, warum ich dann mit Geduldig und Thimann aufgehört habe. Die Konzerte wurden zu psychoanalytischen Veranstaltungen. Einmal musste ich ein Konzert sogar unterbrechen, weil eine Frau in der ersten Reihe ununterbrochen geweint hat. Der Umgang mit solchen Situatio­nen gestaltete sich immer schwieriger, weil zeitgleich mit unserer Popularität eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Österreichs einsetzte. Mit der Waldheim-Affäre als Höhepunkt, wo jede Äußerung als politisches Statement gewertet wurde. Dabei wollten wir einfach nur Musik machen! Wir waren schließlich eine Unterhaltungsband.

Bedeutete Ihre Musik für Ihr Publikum quasi eine unfreiwillige Konfrontation mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit, die viele nur verdrängen wollten?

❙ Das kann man so sehen. Auch weil Juden im Alltagsleben nicht mehr präsent waren. Die „Jewish Community“ hat sich damals total versteckt und lebte nach der Devise „Ruhig bleiben, nicht auffallen“. Wir aber machten das Gegenteil, was uns einige Kritik seitens der jüdischen Gemeinschaft einbrachte. Ein einschneidendes Erlebnis war unser Konzert auf einer Hochzeit in einem koscheren Restaurant. Wir wussten nicht, was uns dort erwartet, Umgangsformen wie eine Geschlechtertrennung kannten wir nicht. Wir wurden dann die Hochzeitsband und lernten das dortige Repertoire kennen. Aber diese Hochzeit war ein Schockerlebnis, weil wir zuvor noch nie einen Chassiden mit Bart in Wien gesehen haben. Über das Musizieren kamen wir mit dem Ganzen in Berührung.

Welche Impulse für Ihre Musik brachte das Kennenlernen der Welt der Chassiden mit sich?

❙ Für uns war das ganz, ganz wichtig. Zuerst haben wir „International Folk“, dann jüdische Lieder gemacht. Das haben wir sehr ernst genommen und uns ausgiebig damit befasst. Es gab niemanden, der so etwas sonst gemacht hat: Wir waren die erste jüdische Band, gefolgt von der deutschen Folk-Band Zupfgeigenhansl. Den Zugang zu vielen Liedern ermöglichten uns die Konzerte, bei denen Menschen uns ihre Schellacks gaben. Oder die Auftritte in Altersheimen, in denen alte Juden Lieder für uns sangen. Wir haben so sehr viele Lieder kennengelernt. Und dann kamen die Chassiden, und das war wirklich eine neue Welt. Wir hatten in der Folge immer eine Verbindung in unserer Musik zwischen jüdischen Liedern und chassidischen Niguns. Das hatte sonst keiner. Und die meisten Bands, die danach chassidische Niguns gespielt haben, orientierten sich an uns. Weil wir die ersten waren, die das rausgebracht haben.

Wie war die Verbindung zur Musikszene in Wien, die noch relativ klein war Anfang der Siebzigerjahre?

❙ Die Szene war sehr klein. Es gab zwar Folk-Bands wie Die Schmetterlinge, aber der Popbereich war nicht wirklich existent. Das war alles ganz am Anfang. Aber ich muss eines sagen: Wir wurden in den ganzen Jahren immer sehr positiv aufgenommen, wir erlebten über all die Jahrzehnte nichts Negatives. Keinerlei Beschimpfungen, obwohl wir uns sehr weit herausgewagt haben. Was nichts heißt, aber uns dennoch überrascht hat, dass wir in einem Land wie Österreich, mit starker antisemitischer Prägung, nichts Derartiges erleben mussten.

Wie ging es dann mit Les Sabres weiter?

❙ Wir haben mit Les Sabres bald aufgehört, weil die Band sauschlecht war. Wir boten zwar gutes Entertainment, aber die Musik selbst war grausam. Und damals sind die Bands immer besser geworden. Wir haben einmal ein Konzert mitgeschnitten und konnten uns das nicht anhören. Wir pausierten dann für einige Zeit, um zu lernen. Wir haben uns weitergebildet, verbesserten uns im Umgang mit den Instrumenten und im Schreiben der Texte. Und dann haben wir angefangen, an der neuen Platte zu arbeiten. Die hat uns André Heller ermöglicht, indem er uns auf sein Label Mandragora nahm.

Welchen Einfluss nahm Heller auf die musikalischen Arrangements?

❙ Die Arrangements kamen alle von unseren Leuten, weil wir auch ganz andere Sachen benötigten. Für uns war Authentizität das Wichtigste. Wir stellten uns die Frage, wie authentische jüdische Musik klingen soll. Damals, in der Zeit nach dem Krieg, war jüdische Musik ausschließlich schwermütig und depressiv – mit Hinblick auf den historischen Kontext auch logisch. Und dann haben wir eine Platte von Theodor Bikel gehört. Das war sehr verblüffend, denn obwohl Bikel die gleichen Lieder spielte, lachten die Leute bei seinen Konzerten, während sie bei anderen Musikern weinten. Bikel hatte die Fähigkeit, durch Mimik und Gestik die Lieder auf eine humorvolle Weise zu interpretieren. Und genau das hat uns interessiert. Denn wir wollten auch lustige Versionen aus den alten Liedern machen. Wichtig für die weitere Entwicklung unserer Musik war der Film Yidl Mitn Fidl von Joseph Green. In diesem Film gibt es eine Sequenz mit einer Hochzeitsband. Nachdem wir das Auftreten dieser Band mit alten Fotos verglichen hatten, war klar, dass es sich dabei um eine „Klezmer“-Band handelte, eine fahrende jüdische Band. Im Film wurde diese Band auch als „Klezmer“ bezeichnet. Bei uns wusste zunächst aber keiner, was sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt. Ende der Sechzigerjahre war das Wort „Klezmer“ ausgestorben. Auf der Platte hatten wir dann ein „Klezmer-Medley“, und so kam das Wort zurück in den Sprachgebrauch. Und heute wird „Klezmer“ für alles verwendet, obwohl es sich ursprünglich nur um Instrumentalmusik handelte: „Klezmer“ war immer eine Mischung aus Musik der Roma, Sinti und Juden. Und die haben meistens auf Hochzeiten und Bar Mitzwas gespielt. Diese Musik ging später verloren, auch durch die Emigration nach Amerika, und wurde erst Jahrzehnte später wiederentdeckt. Aber bei hunderten jüdischen Platten, bis in die Siebzigerjahre hinein, taucht das Wort nicht mehr auf. „Klezmer“ kam erst durch die Radical Jewish Music zu einem Revival. Dort waren auch nur Instrumentalisten tätig. Die nahmen sich den alten Sachen an und brachten neue Facetten hinein. Vor der A Haymish Groove waren wir mit unserem musikalischen Schaffen schon zu Ende. Einzig die Idee, aus diesen alten Liedern etwas zu schaffen, was für die moderne Zeit Gültigkeit hat, blieb uns noch übrig. Das war unser großes Ziel. Wir sind in die USA gegangen, haben mit Musikern darüber gesprochen und waren enttäuscht über die zurückhaltenden Reaktionen. Es war natürlich klar, warum: Die Juden in den USA lebten in einem ganz anderen gesellschaftlichen Kontext, für die war das keine Besonderheit. Monate später kamen aber positive Rückmeldungen, die Thematik hat sie dann doch interessiert. Auch, weil John Zorn mittlerweile dieselbe Idee hatte. Deswegen kam das Thema wieder auf. In Österreich wurde das leider kaum beachtet, in den USA gibt es immer noch Debatten, bei denen wir genannt werden.

Für April ist eine Neuveröffentlichung von „A Haymish Groove“ geplant. Was sind die Gründe dafür?

❙ Die Neuveröffentlichung erfolgt aus mehreren Gründen: Der erste Grund ist, dass ich letztes Jahr zum ersten Mal seit langer Zeit zufällig wieder die Platte gehört habe. Also, eigentlich nur die Nummer des Violinisten Mark Feldman, wobei ich zunächst gar nicht mehr wusste, dass der Titel auf unserer Platte ist. Dann habe ich mir die ganze A Haymish Groove angehört und finde sie heute sogar besser als zur damaligen Zeit. Zudem wollten wir gerne eine Schallplatte daraus machen, weil ursprünglich erschien A Haymish Groove nur auf CD. Und 2016 hat sich angeboten, weil wir bei der Ausstellung Stars of David. Wien – New York – Hollywood dabei sind und unser Bandarchiv der Wienbibliothek schenkten, welches am 21. April präsentiert wird.

Wie kam die Idee mit dem Crowd Funding?

❙ Heute ist es sehr, sehr schwierig, eine Schallplatte zu machen, wenn diese nicht auf Hitpotenzial getrimmt ist. Eine CD kostet in der Herstellung wenig, eine Schallplatte ist deutlich aufwendiger. Und dann hat die Plattenfirma Monkey Music – für uns eine große Ehre, dass sie das machen wollten, weil sie sonst ein anderes Programm haben – uns das vorgeschlagen. Sie meinten auch, dass das Crowd-Funding ein wichtiges Tool zur Verbreitung einer Platte ist. Dadurch kamen wir auf die Idee, nach unseren Schallplatten zu suchen: Wir waren dann wirklich überrascht, wie weit verstreut unsere Platten waren, quer durch Österreich. Die Platten tauchten an ganz ungewöhnlichen Orten auf.

Sie haben auch als DJ gearbeitet. Wie stehen Sie zu dem inflationären Gebrauch des Begriffes in der Gegenwart, in der sich jeder mit Laptop und dem passenden Computerprogramm als solcher bezeichnet?

Das ist ähnlich wie bei der Kategorisierung von Bands, die jüdische Musik machen, als „Klezmer“-Band. Das ist heutzutage Standard geworden, dass man solche Schubladen benötigt und man nicht mehr groß unterscheidet. Aber prinzipiell finde ich die „DJ Culture“ sehr interessant. Für mich ist das die einzige wirkliche Innovation in der Musik der letzten 15 Jahren. Auch aus dem jüdischen Bereich kommt viel elektronische Musik, die sehr spannend ist. Generell finde ich die Musik, die momentan aus Israel kommt, sehr interessant.

Wie war Ihr Zugang zum „Jiddischen“?

❙ Wir haben das Jiddische von zuhause gekannt, mussten das aber noch verfeinern. Wir hatten zwar den Sound drauf und auch einen guten Sprachschatz, aber in den Liedern kamen Sachen vor wie „Grene Kusine“: Amerikanismen, deren Bedeutung du erst erlernen musst. Das Jiddische hatte einfach viele interessante Adaptionen, Worte wurden geschaffen, die noch nicht existierten. So entstanden bemerkenswerte Konglomerate.

Wie stehen Sie zum gegenwärtigen Gebrauch des Jiddischen in der deutschen Sprache?

❙ Wenn es unreflektiert verwendet wird, macht mich das nicht froh. Ich höre zwar Begriffe wie „Chuzpe“ dauernd, aber selten setzt sich wer mit dem Ursprung der Wörter auseinander. Das wird einfach gebraucht. Ich habe das nicht so gerne, genauso wie Fritz Muliar mit seinen jüdischen Witzen. Da zeigte sich auch ein Generationsunterscheid. Viele fanden das Jiddeln von Muliar lustig, aber wir lehnten es ab. Wir wollten nicht, dass die Leute darüber lachen, nur weil das lustig klingt. Wir wollten, dass die Sprache als Schönheit verstanden wird. Natürlich hat es Muliar wahnsinnig populär gemacht. Aber dennoch habe ich das nicht gerne.

Sie haben sich seit jeher mit unterschiedlichsten musikalischen Genres auseinandergesetzt. Auf welche Weise flossen andere Musikrichtungen in die Geduldig-und-Thimann-Projekte ein?

❙ Auf eine sehr starke Weise. Geduldig und Thimann war zwar immer eine offensichtlich jüdische Band, die ganz klar jüdische Musik gemacht hat. Dennoch war unsere Einstellung zur Musik immer eine offene, eine weltmusikalische. Damals gab es das Wort „Weltmusik“ noch nicht, aber für unser Schaffen ließen wir Musik aus unterschiedlichsten Weltregionen einfließen. Für uns war das sehr wichtig. Auch für Kollaborationen waren wir offen, der Hansi Dujmic hat zum Beispiel mit uns gespielt, der kam aus einem ganz anderen Bereich. Wir haben als Band ein gewisses Gefühl vermittelt, so dass er gerne mit uns aufgetreten ist. Unsere Musik war auch deswegen immer anders, weil sie immer offen war.

AUSSTELLUNGSTIPP
Stars of David Der Sound des 20. Jahrhunderts
13.4. bis 2.10.2016
Jüdisches Museum Wien , jmw.at
Am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine wechselseitige Beeinflussung der Unterhaltungsmusik in den USA und in Europa, die sich durch die Emigration vieler jüdischer Künstler während der NS-Zeit in den angloamerikanischen Raum verschoben hat. Die meisten, die mittlerweile in Hollywood erfolgreich waren, kehrten nicht mehr nach Europa zurück. Ihre Musik hingegen schon. Neben den internationalen Stars wird in dieser Ausstellung u. a. auch die Wiener Szene beleuchtet:  Die Sabres um Edek Bartz, Geduldig und Thimann oder Arik und Timna Brauer …

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