Leichen im Wachauer Keller

Von der Arisierung eines jüdischen Weinguts in Krems erzählt der dokumentarische Roman Wein des Vergessens. Über Recherchen und Reaktionen berichtet das Autorenduo Bernhard Herrman und Robert Streibel im Gespräch mit Wina.

1898
Vergessene Geschichte. Bernhard Herrman (li.) fand im Nachlass seiner Cousine Unterlagen zur Arisierung eines der berühmtesten Weingüter der Wachau. Die Geschichte hat er nun mit dem Historiker Robert Streibel aufgearbeitet. Foto: Agentur Wunderworld

Initialzündung war eine kleine versperrte Metallkassette im Nachlass seiner Cousine. Ingrid Herzog war offenbar ein Messie gewesen und hatte alles gehortet. Unzählige Dokumente, Briefe und Fotos fielen dem Erben Bernhard Herrman entgegen, als er den Minitresor öffnete, und erst nach und nach dämmerte dem Historiker, was er da gefunden hatte. Es waren nicht nur die Zeugnisse einer homosexuellen Liebesbeziehung, nicht nur private Familiendokumente, sondern darüber hinaus die Geschichte der Arisierung eines der berühmtesten Weingüter der Wachau. Diese vergessene Geschichte musste ans Licht kommen, das war Herrman klar, und er lud den bewährten Kremser Historiker Robert Streibel zur Mitarbeit ein.

In ihrem gut recherchierten Band Wein des Vergessens schildern die beiden nun, wie aus der Kremser „Sandgrube 13″ des jüdischen Eigentümers Paul Robitschek im Frühsommer 1938 die „Winzergenossenschaft Krems“ wurde und wie diese noch fast 70 Jahre danach jede Aufarbeitung ihrer Geschichte vehement ablehnte.

„Wir wollten das ursprünglich gemeinsam mit ihnen machen, aber die Reaktion war sehr brüsk. Der Geschäftsführer der Winzergenossenschaft, Franz Ehrenleitner, wollte uns nicht einmal sehen.“ Auch von der Stadt Krems habe es keinerlei Unterstützung für die längst überfällige Aufarbeitung gegeben. Bis diese schließlich anlässlich der Buchpräsentation Mitte September „einknickte“, wie die Autoren gesprächsweise berichten, doch davon später.

Liebes- und Geschäftsbeziehungen. „95 Prozent der geschilderten Geschehnisse basieren auf den Akten, da ist nichts dazu erfunden“, betont Herrman den faktischen Charakter des Romans, in dem es auch um die Liebe zwischen Paul Robitschek und August Rieger ging, von dem in der Familie Herrman noch lange als „Baron Rieger“ geschwärmt wurde.

„Der Mann meiner Tante, Albert Herzog, war der Dritte im homoerotischen Dreieck gewesen, und ich wusste auch, dass es da ein Weingut gegeben hatte, aber mehr nicht.“ Herzog hatte die Riede „Sandgrube 13″ lange Zeit als Vertrauter des Paares geführt.

Auch die oft romanhaft anmutende Liebesgeschichte beruhe größtenteils auf Tatsachen, betont Herrman, denn neben dem penibel geführten Tagebuch Robitscheks gab es noch „sechs Büroordner voll, Liebesbriefe, Unterlagen“.

Bei seiner Flucht aus Österreich 1938 überließ Robitschek das Weingut seinem Partner Rieger, der aber als denunzierter „Bettknabe des Juden“ im Nationalsozialismus quasi entrechtet war, was die vehement betriebene Arisierung erleichterte.

»Unglaublich, dass das so lange unter
der Tuchent geblieben ist.«
Robert Streibel

„Baron“ Rieger, eine glamouröse Erscheinung, führte ein höchst elegantes Gesellschaftsleben. Prominente Burg-schauspieler wie Raoul Aslan und Alma Seidler gingen in seiner Wohnung in der Praterstraße aus und ein. Geschäftlich agierte er aber höchst glücklos, und Robitschek musste ihn immer wieder auffangen.

Bei weiteren Recherchen stieß Herrman schließlich auf Nachfahren, einen Neffen und die in Caracas lebende Nichte Robitscheks, Kinder von dessen Bruder Leo. „Wir haben ihnen erst ihre Familiengeschichte erzählt, von der sie überhaupt keine Ahnung hatten.“

Finanzielle Ansprüche hatte die Familie nicht gestellt, schließlich war es 1948 zu einem Vergleich zwischen dem damals in Caracas lebenden Paul Robitschek und der Winzergenossenschaft gekommen, die Unterlagen dazu sind allerdings bis heute unauffindbar.

In einem Band über die Geschichte der Kremser Weinkultur von Hans Frühwirth aus dem Jahr 2005, in dem das Wort „Nationalsozialismus“ allerdings nie vorkommt, ist dieser Vergleich bereits erwähnt, unterschwellig wird dabei aber Robitscheks „jüdische Gier“ suggeriert.

„Dunkle Zeiten“. Für den geborenen Kremser Robert Streibel, der in die NS-Vergangenheit der Stadt bereits in mehreren Publikationen tief eingetaucht ist, war der Fall der Winzergenossenschaft neu. „Unglaublich, dass das so lange unter der Tuchent geblieben ist, nachdem die Akteure in den 50er-Jahre gestorben waren. Krems war aber diesbezüglich immer eine besondere Stadt. Bereits 1933 gab es dort den ersten Nazibürgermeister von ganz Österreich, und zu dieser Zeit war auch der spätere Ariseur Franz Aigner schon im Gemeinderat.“

Bernhard Herrman, Robert Streibel: Der Wein des Vergessens. Residenz Verlag, 251 S., € 24

Und heute? „Die Stadt nähert sich in Trippelschritten einer richtigen Haltung, aber wenn ich ihnen nicht auf den Geist geh, wird gar nichts. Bis heute gibt es kein Gedenken an Widerstandskämpfer und die mitten in der Stadt erschossenen Deserteure. Man reagiert nur schrittweise auf den Druck der Recherchen“, meint Streibel.

Dieser Druck scheint auch bei der Präsentation des Bandes wirksam geworden zu sein, zu der auf Betreiben der Autoren Pauls Nichte Anita Robitschek aus Caracas und eine ihrer Cousinen aus Haifa angereist waren.

„Herr Ehrenleitner hat sie nicht eingeladen, aber dann bei einem Empfang in der Sandgrube einen Brief verlesen, in dem versprochen wird, das Andenken an Paul Robitschek zu wahren und die Geschichte aufzuarbeiten. Sie reden dabei stets über die ‚dunklen Zeiten‘ und verwenden nie das Wort ‚Nationalsozialismus‘“, so Streibel.

Die älteren Damen waren dennoch „very moved“, dass es zumindest zu einer verbalen Anerkennung des Unrechts kam. Anita Robitschek lebt übrigens in Caracas noch immer mit den Originalmöbeln und Bildern, die nach dem Krieg mit einem so genannte „Lift“ von Wien nach Südamerika transportiert wurden, quasi in einer Art Wien-Museum. Streibel will sich bemühen, das zu dokumentieren und dieses Ensemble wieder nach Österreich zu bringen.

Eine Art Historikerkommission unter Mitwirkung von Brigitte Bailer-Galanda steht für die Zukunft im Raum, die wissenschaftliche Arbeit soll aber weiter das Autorenduo durchführen. Die wird ihnen nicht so bald ausgehen, denn in den tiefen Weinkellern der Wachau scheinen noch einige Leichen zu liegen.

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