Lektionen der Geschichte

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Marine Le Pen ruft nach Verzicht jüdischer Eigenheiten, um gegen den Islam in Frankreich vorzugehen. Die Hetze gegen den anderen ist auf den politischen Bühnen wieder en vogue. Doch Assimilation war noch nie die Lösung.

Von Doron Rabinovici

Marine Le Pen wollte freundlich wirken. Sie gab dem israelischen Sender Arutz Sheva ein Interview. Was sie sagte, schockierte. Französisch-israelische Doppelstaatsbürgerschaften würde sie als Präsidentin nicht mehr tolerieren. Die Juden müssten sich gefälligst entscheiden. Doppelte Nationalitäten wolle sie nur für Bürger eines anderen Landes der Europäischen Union erlauben. Und für jene Russlands. Die Nation ihres Förderers Putin gehöre zu Europa, meinte die Führerin des Front National. Die Juden hingegen sollten in der Öffentlichkeit auf die Kippa verzichten, um dem Kampf gegen den Islamismus zu unterstützen. Ein Hut täte es doch auch …

WIR SELBST DÜRFEN NICHT DEM VORHERRSCHENDEN ZEITGEIST VERFALLEN, JENE UNTER UNS AUSZUGRENZEN, DIE ANDERS DENKEN ODER LEBEN.

Die Hetze gegen den anderen ist heutzutage en vogue. Was noch vor wenigen Jahren tabu gewesen wäre, geht nun im Klima des allgemeinen Hasses unter. Dabei wäre es zu einfach, bloß von den rechtsextremen Populisten zu reden. Nein, die Wahrheit ist komplizierter. Der Wunsch, die verschiedenen Gebräuche von Minderheiten zu verbieten, gewinnt an Kraft. Nicht nur bei traditionellen Rassisten. Auch manche Linke, die Gleichheit anstreben, machen gegen das Schächten und die Beschneidung der Vorhaut mobil.

Die Schechita, die seit jeher vom Gedanken geleitet ist, dem Lebewesen Respekt zu zollen und ihm so wenig Schmerz wie möglich zuzufügen, wird als Tierquälerei verdammt, als würden die Tiere in den Massenschlachtfabriken leidensfrei und durch bloßes Zureden in den Tod überführt werden. Die Wissenschaft mag die Vorteile der verschiedenen Praktiken noch erforschen, doch die Fundamentalisten der vorgeblichen Aufklärung sind sich einig.

Wen wundert’s da noch, wie heftig es zugehen kann, wenn es um die Beschneidung geht. Ja, das ist kein Streit um des Kaisers Bart, sondern das eigentliche Organ jeden Mannes. Das Verbot wird gefordert. Selbst die einzelnen nationalen Ärzteverbände kommen bei diesem Thema zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dort, wo die Beschneidung beliebt ist, etwa in den Vereinigten Staaten, meint die pädiatrische Vereinigung, die Vorteile einer frühen Zirkumzision würden überwiegen, während in jenen Ländern, in denen die Beschneidung traditionell auf Ablehnung stößt, Mediziner den Eingriff bei Neugeborenen anders beurteilen.

In allen diesen Debatten fällt vor allem eines auf: Sie zielen gegen die Außenseiter. Marine Le Pen sagt es ja ganz deutlich: Um gegen den Islam vorzugehen, sollen die Juden auf ihre Eigenheit verzichten. Die Geschichte lehrt, was von solchen Ansinnen zu halten ist. Dem Juden wird die Assimilation auferlegt, um ihm hernach vorzuwerfen, er verstelle sich nur. Im Innersten sei er ein Andersartiger geblieben. Die Lehre, die wir daraus ziehen können, ist klar: Es ist sinnlos, dem Ressentiment durch Anpassung entgehen zu wollen. Nur selbstbewusstes Auftreten kann helfen.

Aber die zweite Lektion ist nicht minder wichtig: Wir selbst dürfen nicht dem vorherrschenden Zeitgeist verfallen, jene unter uns auszugrenzen, die anders denken oder leben. Solange der andere meine Freiheit nicht bedroht, sollte ich seine nicht einschränken. Wenn jede Eigenheit unter Verdacht steht, wird es unmöglich, ein Individuum zu sein und ein Mensch zu bleiben.

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