Der Liveticker vom Sarona- Attentat

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Wenn die Liebsten zur falschen Zeit am falschen Ort sind.

 Von Iris Lanchiano

Die mobile Nachrichtenapplikation WhatsApp ist in Israel sehr beliebt. Es werden Chat-Gruppen für jede mögliche Konstellation gegründet. Neben dem Familien-Chat gibt es den Arbeitskollegen-Chat, den Arbeitskollegen-AfterWorkDrink-Chat, den Arbeitskollegen-Sport-Chat, den Unikollegen-Chat, den Mitbewohner-Chat, den „geheimen“ Chat für die Überraschungsparty des Bruders des Nachbarn deiner besten Freundin … Ich gebe zu, diese Gruppen sind ungemein nervig, aber nützlich, wenn eine Information schnell an viele Freunde gleichzeitig verschickt werden soll.

„Es gab eine Schießerei.“ –
„Ich habe Angst.“ –
„Ist es schon vorbei?“

Es war ein anstrengender Mittwoch. Unerträgliche Hitze, nervende Kunden. Das Handy klingelte pausenlos. Wie fast täglich fand sich nach der Arbeit eine Gruppe von Kollegen zusammen, um den Abend bei einem netten Bier ausklingen zu lassen. Der Sarona-Markt liegt nur fünf Gehminuten vom Büro entfernt und ist somit ein beliebtes AfterWorkDrink-Ziel.

Ich ging an diesem Tag direkt nach Hause. Auf dem Weg gehe ich meistens noch beim Supermarkt vorbei, so auch an diesem Tag. Ich schrieb meiner Mitbewohnerin eine kurze Nachricht, ob ich ihr etwas mitnehmen solle. Sie antwortet mir mit nein und sagte, dass sie heute nach der Arbeit im Restaurant Benedict im Sarona-Markt verabredet wäre.

tlvMit meinen Einkäufen fertig, machte ich mich auf den Weg nachhause. Ich machte es mir auf der Couch vor dem Fernseher gemütlich. Da ich in der Nähe vom Ihilov-Krankenhaus wohne, sind Krankenwagen-Sirenen nichts Ungewöhnliches für mich, doch diesmal waren es viele, und sie hörten nicht auf. Die Schreckensnachricht kam dann blitzschnell: Terroranschlag im Sarona-Markt, die Täter sind noch nicht gefasst. Meine Mitbewohnerin war dort und meine Arbeitskollegen auch. Während ich meine Mitbewohnerin nicht erreichte, bekam ich schon Nachrichten von meinen Arbeitskollegen, die sich im und um den Sarona-Markt befanden:

„Wir haben Sirenen gehört.“ – „Wir haben Schüsse gehört.“– „Wo seid ihr?“ – „Wir wissen nicht, was passiert ist, aber wir sind gelaufen.“ – „Eva, wo bist du?“ – „Wir sind im Keller des Lokals und verstecken uns dort.“ – „Es gab eine Schießerei.“ – „Ich habe Angst.“ – „Ist es schon vorbei?“ – „Kann ich wieder raus?“ – „Bleib, wo du bist!“ – „Kati, Marie, seid ihr auch ok?!“ – Ja, wir sind ok!“ – „Jan, du?“ – „Ja, ich bin auch ok.“

Diejenigen, die nicht vor Ort waren, versuchten einander zu beruhigen und mit Information aus TV-Nachrichten und Internet auf dem Laufenden zu halten. Noch war nicht klar, was passiert war und wo genau die Schüsse gefallen waren. Doch auf den ersten Fotos sah man Blut im Restaurant Benedict und in der Bar Max Brenner. Wilde Gedanken kreisten im Kopf. Und die Hoffnung. Meine Mitbewohnerin hob endlich das Telefon ab: „Ich bin hier an der Stelle des Attentats und versorge Verletzte. Sorry, dass ich nicht so schnell geantwortet habe.“

Ein riesen Stein fiel mir vom Herzen, und es war noch nie so schön, ihre Stimme zu hören: „Mach dir keine Sorgen um mich, ich komme bald nach Hause!“

In der Zwischenzeit wurden die Terroristen gefasst und TV-Stationen berichteten vor Ort. Der Horror war vorbei, die Verletzten wurden versorgt. Die Nachricht über vier Todesopfer flimmerte über den Bildschirm. Sie hatten keine Zeit mehr, sich von ihren Liebsten in ihren AfterWorkDrink-, Familien- und Freundesgruppen-Chats zu verabschieden.

Als meine Mitbewohnerin endlich zuhause in der Tür stand, umarmten wir uns ganz fest. Sie erzählte von Massenpanik und Schüssen, aber auch von Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt.

Bild: © Flash 90

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