Louise Fleck. Filmpionierin.

Louise Fleck gilt als die erste österreichische Regisseurin und Filmproduzentin und, nach der Französin Alice Guy-Blaché, als zweite weltweit. Ihr Leben ist mit dem österreichischen Kino eng verflochten, sie erlebt die ersten bewegten Bilder im väterlichen Stadtpanoptikum, prägt die Stummfilmära mit, flieht mit ihrem jüdischen Ehemann ins Exil, wird nach 1945 vergessen. Wer war diese Frau?

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Der Pfarrer von Kirchfeld. 1937 drehten Louise und Jakob Fleck den letzten unabhängigen österreichischen Film vor dem „Anschluss“. © Georg Kolm

Sommer 2016. Dreharbeiten für die Fernsehdokumentation Lieder für die Ewigkeit über einen österreichischen Textdichter. Das Filmteam drängt sich in einem kleinen Schneideraum des Österreichischen Filmmuseums, Interviewpartner ist der Filmhistoriker Günter Krenn. Wir sprechen über die filmhistorisch interessante Produktion Der Pfarrer von Kirchfeld aus dem Jahr 1937. Als die Aufnahme schließlich im Kasten ist, meint Günter Krenn: „Das Regiepaar dieses Films, Jakob und Louise Fleck, sollten Sie sich einmal genauer ansehen. Vor allem Louise Fleck, über sie wurde bisher so gut wie nichts publiziert!“ Louise wer? Louise Fleck. Nie gehört. Eine erste schnelle Recherche im Internet: ein paar Fotos, auf denen eine kleine, resolute Frau zu sehen ist, wenige Einträge in filmhistorischen Publikationen, eine Diplomarbeit. Louise als Ehefrau zunächst von Anton Kolm, dann von Jakob Fleck. Diverse biografische Hinweise.

»Louise Fleck soll Dutzende Drehbücher
geschrieben und Regie bei rund 150 Filmen
geführt haben.«

Geboren wird Louise als Aloisia Veltée am 1. August 1873. Die Familie stammt aus Lyon, der Großvater lässt sich um 1830 in Wien nieder, arbeitet als Kunstfeuerwerker und Schausteller. Auch Louises Vater Louis ist in diesem Gewerbe tätig, 1886 gründet er das Stadtpanoptikum am Kohlmarkt in der Wiener Innenstadt. Louise und ihr älterer Bruder Claudius kommen schon früh mit der Kinematografie in Berührung. 1893 heiratet Louise den Bankbeamten und leidenschaftlichen Fotografen Anton Kolm (1865–1922). Wenig später wird ein Fotoatelier eröffnet, der junge Schauspieler Jakob Fleck (1881–1953) kommt dazu, arbeitet zunächst als Retoucheur. Als die Brüder Lumière ihre ersten Filme in Wien vorführen, reift auch in Louise, Anton und Jakob der Wunsch, selbst zu filmen. Eine Kamera wird angeschafft, mit der im Jahr 1908 – so die Legende – der Film Von Stufe zu Stufe gedreht wird. Die Quellenlage ist mehr als dürftig, es ist fraglich, ob es diesen Film tatsächlich gegeben hat. Und doch ist es der Beginn des österreichischen Kinos.

Drehpause. Mitarbeiter und Darsteller bei einer Drehpause anno 1914. © Georg Kolm

Louise Fleck soll Dutzende Drehbücher geschrieben und Regie bei rund 150 Filmen geführt haben. Der erste Weg führt daher ins Filmarchiv Austria, wo ein Teil der erhaltenen Filme gelagert wird. Frühe Dokumentarfilme, so genannte Aktualitäten, wie Der Trauerzug Sr. Exzellenz des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger (1910), der älteste erhaltene österreichische Spielfilm Der Müller und sein Kind (1911), der stumme Musikfilm Johann Strauß an der schönen blauen Donau (1913), monarchistische Propagandafilme wie Der Traum eines österreichischen Reservisten (1915), Literaturverfilmungen wie Die Ahnfrau (1919) und zwei Verfilmungen von Ludwig Anzengrubers Der Pfarrer von Kirchfeld (1914 und 1937). Obwohl Österreich anderen Ländern in Sachen Filmproduktion von Beginn an weit hinterherhinkte, haben Louise und Anton Kolm gemeinsam mit Jakob Fleck wichtige Pionierarbeit geleistet. Doch können wir aus diesen Filmen etwas über die Persönlichkeit Louises herauslesen?
Dazu bedarf es weiterer Recherchen und zwar im Zeitschriftenarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Wo sonst wird der Alltag so gut abgebildet wie in zeitgenössischen Artikeln, Glossen und Kommentaren. Die Suche erweist sich als gar nicht so einfach, die Nachnamen Veltée, Kolm und Fleck werden mit den Vornamen Louise, Luise oder schlicht L. kombiniert. Jakob Fleck findet man zuweilen unter seinem zweiten Namen Julius, und Anton Kolm ist an vielen Stellen schlicht der Herr Direktor. Filmografien werden verglichen und ergänzt. Nach und nach ergibt sich ein zeithistorisches Panorama: Louise Fleck hat Sozialdramen genauso inszeniert wie Literaturverfilmungen, Kriminalgeschichten oder Kaiserpropaganda. Sie hat mit den wichtigsten Playern ihrer Zeit zusammengearbeitet. Und wenn man in den zeitgenössischen Filmzeitschriften zwischen den Zeilen liest und die dazugehörigen (Set-)Fotos interpretiert, die eine, meist im Mittelpunkt des Bildes stehende und stets die Aufmerksamkeit auf sich ziehende, leise lächelnde Louise zeigen, so war sie offenbar die Seele der Produktionsgesellschaften, denen sie gemeinsam mit ihrem Mann Anton und Jakob Fleck vorstand.

»Sie hatte Humor und Charme, Geist und Verstand.
Sie ist oft gescheitert und hat doch die Hoffnung nie verloren.«

Künstlerische Verbindung. Langsam beginnt die Figur zu leben. Doch noch immer fehlen Puzzleteile, es wird Zeit, tiefer in die Familiengeschichte hineinzufragen. Im Nachlass von Louises Sohn Walter Kolm-Veltée (1910–1999) finden sich einige Dokumente und Fotografien, die vor allem Louises Leben nach dem Tod ihres ersten Mannes Anton im Jahr 1922 betreffen. Zu dieser Zeit hat Louise gemeinsam mit Jakob Fleck bereits bei mehr als 100 Filmen Regie geführt. Die beiden ergänzen sich schließlich nicht nur künstlerisch, sie heiraten 1924. Jakob ist jüdisch, wie so viele Filmschaffende damals. Als Regiepaar verlassen Flecks Österreich zwei Jahre später, arbeiten in Deutschland. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten, dann geht es wieder retour nach Wien. Doch die Arbeitsbedingungen werden immer schwieriger, 1937 drehen Louise und Jakob Fleck den letzten unabhängigen österreichischen Film vor dem „Anschluss“: Es ist Der Pfarrer von Kirchfeld. Das Drehbuch schreibt Friedrich Torberg unter dem Pseudonym Hubert Frohn, die Produktion übernimmt Siegfried Lemberger, hinter der Kamera steht Ernst Mühlrad, auch die weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind großteils jüdisch. Lemberger und Mühlrad werden später im KZ Auschwitz ermordet, andere schaffen es ins Exil. Jakob wird in Dachau und Buchenwald interniert, doch schließlich gelingt Louise und Jakob Fleck die Flucht nach Shanghai. Im Nachlass Walter Kolm-Veltées ist ein Brief vom 1. September 1940 erhalten, in dem Louise ihrer Nichte Elli heiter schreibt, dass ihr Koch sogar „Vanillikipferl“ im Repertoire habe und dass man vor der unsäglichen Hitze nur ins klimatisierte Kino entkommen könne. Flecks drehen sogar einen Film gemeinsam mit dem chinesischen Produzenten Fei Mu (Kinder der Welt, 1941). Dann erreicht der Krieg auch Shanghai. Ein späterer Brief vom Dezember 1945 zeichnet ein dramatisches Bild: „Was wir durchgemacht haben, können Worte kaum schildern“, schreiben Louise und Jakob an ihre Freunde Charlotte und William Dieterle in den USA. 1947 kehrt das Ehepaar Fleck nach Österreich zurück.

Eine der seltenen Aufnahmen. Louise und Jakob Fleck im Jahr 1928 in Karlsbad. © Monika Kolussi

Frau mit Prinzipien. Gibt es in Wien noch Menschen, die sich an Louise Fleck erinnern? Zwei Enkelkinder leben hier, der Enkelsohn Georg wurde erst nach dem Tod der Großmutter geboren, er kennt die Anekdoten nur von seinem Vater Walter Kolm-Veltée. Etwa diese: Bei einem Faschingsfest soll sich Louise als Automat verkleidet haben. Nach dem Einwurf einer Münze habe man durch eine Klappe ein Stück Mehlspeise bekommen. Sie sei eine lustige Person gewesen, immer zu Schabernack aufgelegt.
Und dann ist da noch die Enkeltochter Monika, geboren 1941, am 1. August – dem Geburtstag ihrer Großmutter. Die heute 77-Jährige erinnert sich lebhaft und liebevoll an Louise, an Ausflüge in den Wienerwald genauso wie an Urlaube in St. Gilgen. Mit ihrer Großmutter Louise habe sie eine innige Zuneigung verbunden, auch vom Wesen her seien sie einander ähnlich, außerdem, so erzählt die Enkeltochter schmunzelnd, habe sie die Rechtschreibschwäche der Großmutter geerbt. Sie hat nur wenige Fotografien, auf einem sind Louise und Jakob Fleck zu sehen. Aufgenommen wurde das Bild im Jahr 1928 in Karlsbad. Louise trägt einen Mantel mit Pelzbesatz, dazu eine passende Cloche, Jakob hat sich bei ihr eingehängt, den Hut trägt er in der Hand.

Überfahrt.
Louise Fleck bei der Rückkehr von Shanghai nach Österreich an Bord eines Passagierdampfers. © Georg Kolm

An einem heißen Sommernachmittag öffnet sich in den Büroräumlichkeiten des Enkelsohnes die Tür zu einer Abstellkammer voller Schachteln und Kisten. Da liegen, versteckt und ganz oben, zwei Pappkartons, in denen früher Filmrollen aufbewahrt wurden, mit Paketschnur verschnürt. Einmal geöffnet, ergießt sich das Leben von Louise Veltée/Kolm/Fleck über den Tisch. Louise als Kind mit dem großen Bruder, verschmitzt lächelnd. Die kleine Louise in Faschingsverkleidung. Louise als junge Frau und Fotomodell ihres ersten Mannes Anton Kolm, scheu und doch kokett blickt sie in die Kamera. Louise auf einem Familienfoto – sie ist nicht auf den ersten Blick zu sehen, liegt sie doch halb unter dem Tisch auf einem Schaffell am Boden. Louise bei Ausflügen nach Bad Ischl. Louise mit Jakob Fleck in Shanghai, sie posieren weiß gekleidet am Hafen. Louise bei der Rückkehr nach Österreich, sie steht an Bord des Passagierdampfers, Zuversicht liegt in ihren Augen. Louise mit ihrer Enkelin Monika, sie sitzen auf einer Bank am Ufer des Wolfgangsees, eng umschlungen.

Uli Jürgens: Louise, Licht
und Schatten. Mandelbaum Verlag, ab Februar 2019

Louise Fleck war die erste Regisseurin und Filmproduzentin Österreichs. Sie war eine Filmpionierin. Aber sie war vor allem eine außergewöhnliche Frau, die ihre Prinzipien nicht verleugnete und sich dennoch weiterentwickelte. Die ihren ersten Mann in allem unterstützte, ihren zweiten Mann ins Exil begleitete, aber stets sie selbst blieb. Sie hatte Humor und Charme, Geist und Verstand. Sie ist oft gescheitert und hat doch die Hoffnung nie verloren. Louise Fleck starb am 15. März 1950, vergessen von der Öffentlichkeit.

Der Verein FC Gloria – Frauen Vernetzung Film hat am 4. Dezember 2018 zum ersten Mal den Louise-Fleck-Preis verliehen. Der Name der ersten Preisträgerin lautet Caroline Bobek. Bobek ist Kamerafrau und arbeitet im Spiel- und Dokumentarfilmbereich für Kino und TV. Ziel des Nachwuchspreises ist es, das filmische Schaffen von Frauen unter 40 zu würdigen. Der Verein setzt sich seit 2010 für Geschlechtergerechtigkeit in der österreichischen Filmbranche ein. fc-gloria.at

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