„Man muss den Mut haben, Haltung zu zeigen“

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Über die jüdische Mischung in seiner Familie, seinen Entdecker Gerhard Bronner und seine Liebe zur Klezmer-Musik spricht der beliebte Kabarettist und Schauspieler Erwin Steinhauer mit Marta S. Halpert.

Wina: Herr Steinhauer, Sie sind als scharfzüngiger Kabarettist, vielseitiger Bühnen- und Filmschauspieler und auch als Regisseur ein Begriff. Seit einigen Jahren widmen Sie sich wieder verstärkt Ihren Musikprogrammen. Das überrascht nicht, weiß man doch, dass Sie Ihre ersten Jazzmessen mit Gitarre und Gesang schon als Zehnjähriger in der Lichtentaler Kirche vor Publikum absolviert haben. Dennoch, beim Festival der jüdischen Kultur präsentieren Sie das Programm Klezmer, reloaded, extended. Wie haben Sie die jüdische, die Klezmer-Musik entdeckt?

Erwin Steinhauer: Ich bin mit der Klezmer-Musik aufgewachsen, durch meinen Vater war mir diese Musik immer schon ein Begriff. Beim Begräbnis meines Vaters hat auch eine Klezmer-Band gespielt.

Gab es auch jüdische Mitglieder in Ihrer Familie?

Ja, das kann man wohl sagen: Mein Urgroßvater Eduard Just kam als 18-Jähriger aus Rumänien über Ofen (alter Name für das heutige Buda, Anm.) nach Wien. Er wurde später nach Theresienstadt deportiert, doch zum Glück befreit. Ich habe ihn noch kennengelernt, denn er hat bis 1954 gelebt, da war ich drei Jahre alt. Er hat mich Ofenstierer genannt, weil ich beim Kamintürl alles hinein und heraus geräumt habe.

Die erste prägende Persönlichkeit in Ihrem Leben war Ihre Großmutter Emmi, das Ergebnis einer katholisch-jüdischen Beziehung?

Erwin Steinhauer (sitzend) und Seine Lieben: Joe Pinkl, Peter Georg Graf und Peter Rosmanith.

Ja, das war meine Großmutter. Wir haben gemeinsam im neunten Bezirk gelebt, und da meine Eltern arbeiten gegangen sind, war Emmi die Chefin im Haus. Sie überlebte die NS-Zeit, weil sie in Schwechat im Keller eines Lebensmittelgeschäfts versteckt war. Mein Urgroßvater (genannt Papaa) und mein Vater waren in einem Schrebergarten in Meidling versteckt, sind aber verraten worden: Meinem Vater, einem „Mischling ersten Grades“, hat „der Führer noch eine Chance gegeben“, wie das so schön geheißen hat. Er konnte zwischen der SS und der Wehrmacht wählen. Da ist mein Vater mit sechzehn Jahren an die Front gegangen, ist sehr früh verletzt worden, und damit war der Krieg gleich aus für ihn. Der Papaa ging über den Umweg Morzinplatz nach Theresienstadt.

Hat die legendäre Emmi, Mutter Ihres Vaters Wolfgang, den berüchtigten Wiener Antisemitismus zu spüren bekommen?

Ja, Großmutter Emmi hat wirklich sehr gelitten. Es gab ein traumatisches Erlebnis am Vorabend des Einmarsches 1938: Da kam ein junger Mann, der immer bei uns in der Wohnung die „Politische“ kassierte, so nannte man den geheimen Mitgliedsbeitrag für die SPÖ. Als mein Vater am nächsten Tag aus der Schule gekommen ist, sah er seine Mutter, die Emmi, kniend am Gehsteig beim „Putzen“ – und daneben stand der junge Mann, der am Vorabend die „Politische“ kassiert hatte, in seiner SA-Uniform. Mein Vater hat die Welt nicht mehr verstanden. Das war ein sehr prägendes Erlebnis für ihn.

Ihr Vater war die wichtigste Bezugsperson bei Ihrer politischen Sozialisierung in jungen Jahren, aber auch später. Erzählen Sie uns davon?

Also die Emmi hat das Meiste in unserer Familie bestimmt, so auch, dass ich in ein katholisches Gymnasium gehen soll. „Man weiß ja nie, was noch kommt“, hat sie gesagt, „das ist g,scheiter.“ Mein Vater hat klein beigegeben. Dann kam ich plötzlich mit 14 Jahren, am ersten Tag des neuen Schuljahres, von der Schule nach Hause und erklärte meinem Vater, dass man mich in der Schule nicht mehr haben will. Mein Vater ist gleich in die Schule gelaufen und hat nachgefragt: „Das geht gar nicht, dass Ihr Sohn in der Schule erzählt, dass er ständig am jüdischen Friedhof bei seinen Verwandten am 4. Tor ist!“ Das war bitte, 1965! Daraufhin hat mein Vater zur Großmutter gesagt, „jetzt nehme ich die Geschichte in die Hand“: Von diesem Moment an hat er begonnen, mich zu politisieren. Er hat mir Einschlägiges zu lesen gegeben und mir auch zum ersten Mal unsere komplizierte Familiengeschichte erzählt. Bis zu diesem magischen Punkt, bis zu meinem 14. Lebensjahr hatte die Familie geschwiegen. Diese neue enge Bindung zu meinem Vater hat dann bis zu seinem Tod bestanden.

Wo sind Sie dann in die Schule gegangen?

Er hat mich im zweiten Bezirk in ein öffentliches Gymnasium gesteckt, dort habe ich dann maturiert. Das war im Stuwerviertel beim Prater, das war eine herrliche Zeit.

Sie gelten als einer der Pioniere des neuen österreichischen Kabaretts. Wie kam es dazu?

Ich bin mit 23 Jahren von Gerhard Bronner entdeckt worden. 1974 gründete ich gemeinsam mit Wolfgang A. Teuschl, Erich Demmer, Alfred Rubatschek und Erich Bernhardt das Kabarett Keif. Felix Rotholz, der Mann und Manager von Brigitte Neumeister, hat mich dort gesehen und den Gerhard gedrängt, mich anzuschauen. Bronner hat mich in der Folge in seine Radiosendung Schlager für Fortgeschrittene eingeladen und später ins Fernsehen, in seine Sendung Showfenster; viele Jahre war ich auch im Team des sonntäglichen Gugelhupf.

Beim Festival der jüdischen Kultur 2017 präsentieren Sie unter dem Titel Ich bin ein Durchschnitts-Wiener fast ausschließlich Lieder von Hermann Leopoldi. Wie kam es dazu?

Gerhard hat immer gesagt, „hör dir den Hermann Leopoldi genau an. Er vertonte wunderbare Texte!“ Mir war Leopoldi nur ein Begriff von seinen Gassenhauern Schön ist so ein Ringelspiel oder Schnucki, ach Schnucki. Erst viel später, als wir mit Peter Rosmanith und unserer Band überlegt haben, was wir machen könnten, sind wir wieder auf Leopoldi gekommen und auf unglaublich tolle Texte gestoßen. Das wollen wir einer jüngeren Generation näherbringen, weil es so schade wäre, wenn das verschwindet.

Hätte Hermann Leopoldi als Hersch Kohn auch so einen Erfolg gehabt?

Wahrscheinlich nicht. Die Namensänderung hat schon sein Vater 1911 vorgenommen, und er hat sicher Recht gehabt. Leopoldi war ja im KZ Dachau und wurde später von den Eltern seiner ersten Frau, die bereits in den USA waren, „freigekauft“. Er feierte in den USA Riesenerfolge, füllte Hallen mit drei- bis viertausend Zuschauern. Leopoldi passte sein Repertoire an die neue Sprache an: Mit I am a quiet Drinker oder A Little Café Down the Street trat er in New York, Ohio und Pittsburgh auf. Seine Texte waren so melodisch gehalten, dass wir es mit Klezmer probieren wollten. Sascha Shevchenko (Akkordeon) und Maciej Golebiowski (Klarinette) haben sich intensiv damit beschäftigt, und so sind praktisch neue Lieder entstanden. Wir haben seine Texte verziert, die Basis natürlich erkennbar gelassen, aber jetzt kommt der Leopoldi stark Klezmer-betont daher.

„Man muss sich gegen den rechten Zeitgeist wehren, man muss Farbe bekennen, Zivilcourage haben – und man muss den Mut haben, diese Haltung auch zu zeigen.“

Sie haben erst unlängst im Wiener Konzerthaus sehr bewegende Texte im Rahmen des Gedenkkonzerts Defiant Requiem – Verdi in Terezin gelesen. Sie nehmen oft an Benefizveranstaltungen teil, die gegen das Vergessen gerichtet sind. Haben Sie ähnlich wie Ihr Vater Ihren Kindern auch ein gesellschaftspolitisches Bewusstsein weitergegeben?

Ich habe meiner Tochter und meinen beiden Söhnen sehr früh alles über unsere familiäre Mischung erzählt. Sie sind auch alle stolz darauf, ohne es groß nach außen zu publizieren. Ich denke, dass mein Sohn Matthias, der auch am Theater in der Josefstadt spielt, auch in dieser Beziehung in meine Fußstapfen treten wird. Er ist sicher bereit, sich zu engagieren, wenn er gefragt wird. Sogar mein 17-jähriger Sohn Stanislaus kennt seine Wurzeln, denn das ist das Allerwichtigste, man muss wissen, woher man kommt.

Wie sehen Sie die Welt heute aus Ihrer Erfahrung: Kann man noch irgendetwas Positives bewirken?

Wenn ich es nicht glauben würde, würde ich es nicht versuchen. Man muss sich gegen den rechten Zeitgeist wehren, man muss Farbe bekennen, Zivilcourage haben – und man muss den Mut haben, diese Haltung auch zu zeigen. Es ist ganz wichtig, sich zu positionieren, das sage ich auch meinen Kindern, das ist das einzige, das Sinn macht.

Kommt das bei der Jugend an?

Es muss uns gelingen, den Kindern zu vermitteln, dass sie nicht auf die Populisten und deren einfache Antworten hereinfallen. Wir müssen uns um Lösungen und Menschlichkeit bemühen. Denn die Demokratie hat den Nachteil, dass auch jene Kräfte, die sie zerstören wollen, gleich behandelt werden. Wenn wir gewisse Leute an die Macht lassen, dürfen wir uns nicht wundern, dass sie Schritt für Schritt über neue Gesetze die Demokratie aushebeln. Wie man an der Türkei sieht, geht das ganz schnell, und man befindet sich plötzlich in einem System mit autoritären Strukturen.

Wie sehen Ihre beruflichen Pläne aus? Sehen wir Sie bald wieder im Theater? Oder bleiben Sie vorerst bei der Musik?

Jetzt arbeite ich mit Fritz Schindlecker an unserem dritten gemeinsamen Buch, das wird Schöne Weihn-Achterln heißen. Bisher haben wir schon Sissi, Stones und Sonnenkönig, Geschichten unserer Jugend gemacht und zuletzt Wir sind SUPER! … Die österreichische Psycherl-Analyse. Mitte Mai gastieren wir mit Flieger grüß mir die Sonne im Wiener Konzerthaus: ein Text von H. C. Artmann, musikalisch umrahmt von meiner Band, den Lieben. Wir haben diese wunderbare Erzählung schon 2012 im Mandelbaum Verlag als Hörbuch herausgebracht und uns wegen des großen Erfolgs zu einer Bühnenfassung entschlossen.

Wann sehen wir Sie im Fernsehen?

Derzeit verhandeln wir über einen Tatort; außerdem drehe ich mit Florian Teichtmeister zwei weitere TV-Krimis für die Serie Die Toten von Salzburg. Im Spätherbst arbeite ich wieder am Theater in der Josefstadt für eine Uraufführung von Peter Turrini.

Ihr Vater war in seiner Freizeit Schüler bei Josef Dobrowsky an der Akademie der bildenden Künste. Er malte in Öl und Aquarelle. Haben Sie auch diese Neigung zur Malerei?

Nein, ich leider nicht, aber mein Sohn Matthias hat das Talent geerbt. Als mein Vater gestorben ist, hat er als Reaktion auf seinen Tod unbedingt Malerei studieren wollen. Aber dann kann das Bundesheer, und danach wollte er sich nur mehr der Schauspielerei und dem Drehbuchschreiben widmen.

Waren Sie schon einmal in Israel?

Ja, mit meinem Vater, der öfter Israel besucht hat. 1990 ist er mit mir nach Jerusalem gefahren, weil er unbedingt wollte, dass ich die Gedenkstätte Yad Vashem sehe. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Erwin Steinhauer wurde 1951 in Wien geboren. Nach der Matura wollte er das Reinhardt-Seminar besuchen und Schauspieler werden, begann aber 1969 auf Wunsch des Vaters ein Studium (Germanistik und Geschichte), das er vor der Dissertation abbrach.
Als Kabarettist begann er 1974 im Keif, spielte später auch im Simpl. Von 1982 bis 1988 war er Ensemblemitglied des Burgtheaters und begeisterte u. a. in der Rolle des Herrn Karl; am Theater in der Josefstadt war und ist er als Schauspieler und Regisseur erfolgreich tätig.
Als freischaffender Künstler schrieb er Lieder und Texte sowie mehrere Bücher. Steinhauer wirkte außerdem in mehr als 50 Hörspielen und über einhundert Film- und Fernsehproduktionen mit.


Bilder: © Nancy Horowitz

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