Mein ist die Rache

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Was wie ein Mafiathriller beginnt und ein Krimi sein könnte, ist natürlich ein echter Meir Shalev, eben eine Familiensaga, die Generationen umspannt. Zwei Bärinnen – eine Geschichte von Schuld und Sühne, Liebe und Rache aus der Welt der Gründerväter, in der das Israel von heute so gar keine Rolle spielt. Von Anita Pollak

Im Schatten eines Johannisbrotbaums in einem abgeschiedenen Wadi, wo wilde Blumen blühen, fließt Blut und das gleich mehrmals. Irgendwo auf einer menschenleeren Anhöhe im Negev lauert eine Schlange auf ihr Opfer. Und in der scheinbaren Dorfidylle, in der alle alles über alle wissen und schweigen, ist vor Jahrzehnten ein Neugeborenes ermordet worden.

In der Welt der Bibel und der Welt der Pflanzen ist Meir Shalev zu Haus, aus ihnen schöpft er seine Bilder und Gleichnisse.

Seit drei Generationen betreibt die Familie Tavori eine blühende Gärtnerei. Großvater Seev, Patriarch und Mitgründer in einer Moschawa des Baron Rothschild, hat dort Bäume gepflanzt, deren Früchte seine Nachkommen genießen. Es ist eine chauvenistische Männergesellschaft, in die eine junge Wissenschaftlerin aus der Stadt kommt, um gerade hier „Gender-Fragen“ zu erforschen. Und nicht von ungefähr ist ihre Quelle gerade die Bibellehrerin Ruta Tavori aus der Enkelgeneration, die Erzählerin der ausufernden Geschichte. In der Welt der Bibel und der Welt der Pflanzen ist Meir Shalev zu Haus, aus ihnen schöpft er seine Bilder und Gleichnisse, da weiß er Bescheid, obwohl er weder religiös noch landwirtschaftlich tätig ist.

Schicksalhaftes Erbe
Meir Shalev:  Zwei Bärinnen.  Aus dem Hebräi-schen von Ruth Achlama; Diogenes Verlag, 416 S., € 23,60
Meir Shalev:
Zwei Bärinnen.
Aus dem Hebräi-schen von Ruth Achlama;
Diogenes Verlag,
416 S., € 23,60

Seine Figuren sind verwurzelt in der Natur, in den Traditionen, in ihren Familien; sie sind Erben, mit ihrem Erbe schicksalhaft verbunden. So wird mit einem alten Mausergewehr auch das Motiv der Rache weitervererbt, Mörder werden ermordet, Schuld grausam gesühnt. Polizisten spielen in diesem System der Selbstjustiz keine Rolle, sie können sichtlich keine Spuren lesen und werden erfolgreich getäuscht. Und das war offenbar schon im Jahr 1930 so, als in der Moschawa drei Männer Selbstmord begangen haben sollen, woran Seevs Mauser nicht ganz unschuldig war. Und auch die Schlange wird erschlagen, deren Biss Großvater Seevs Urenkel tötet. „Das war Rache“, weiß Ruta, die Mutter des Jungen. Und „Es ist Rache“ wird ihr Mann sagen, wenn am Ende wieder das Mausergewehr zum finalen Einsatz kommt.

Es ist nicht ohne Risiko, in einem Roman aus Israel derart auf das Rachemotiv zu setzen, denn fast reflexhaft wird, wie übrigens bereits am Cover, „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ in den Besprechungen des Romans zitiert werden.

In seinen journalistischen Kolumnen ist Meir Shalev durchaus mit der aktuellen Realität Israels befasst, seine Romane sind jedoch in einer archai-schen Zeitlosigkeit angesiedelt, in der die Gegenwart nur selten spürbar wird. Zwei Bärinnen – die Doppelbödigkeit des Titels im hebräischen Original Schtaim Dubim ist übrigens unübersetzbar – ist eine altmodisch erzählte, reich fabulierende Saga und erinnert nochmals an die Epoche der „mannhaften Männer“, die erst mit dem Patriarchen zu Grabe getragen wird.

Meir Shalev 1948 in Nahalal geboren, ist Meir Shalev so alt wie der Staat Israel, zu dessen bekanntesten Autoren er mit seinen Werken wie Ein russischer Roman und Judiths Liebe, aber auch Kinder- und Sachbüchern zählt. Er studierte Psychologie, arbeitete lange journalistisch und schreibt regelmäßig kritische Kolumnen für Yedioth Ahronot. Er ist der Cousin der Schriftstellerin Zeruya Shalev und lebt in Jerusalem und Nordisrael.

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