Nancy Amendt-Lyon: „Das Buch hat mich geschrieben“

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Den schwierigen Weg einer jüdischen Amerikanerin zur Wahlwienerin beschreibt Nancy Amendt-Lyon in ihrem Buch Case Unclosable und im Gespräch mit Marta S. Halpert.

wina: Sie haben als Psychotherapeutin zahlreiche Fachbücher und Gestalttherapeutische Beiträge verfasst. Ihren ersten Roman, „Case Unclosable“, widmen Sie Ihrem Vater und bauen seine Romanfragmente aus dem Jahr 1970 in Ihre persönlichen Erlebnisstränge ein. Wie kam es dazu?

Nancy Amendt-Lyon: Eigentlich hat das Buch mich geschrieben, mich gefunden. Denn ich habe darin versucht, persönliche Erfahrungen literarisch zu verarbeiten. Mein Vater, der ein engagierter Gewerkschafter und Anwalt in New York war, ist 1978 gestorben. Knapp vor dem 25. Jahrestag seines Todes plagten mich Albträume, in denen mein Vater ständig vorkam. Ich habe das nicht verstanden, das war neu und traumatisierend für mich. Als er starb, war ich schwanger und bereits in Österreich und nicht bei ihm. Ich habe das als Botschaft dahingehend interpretiert, dass ich irgendetwas noch nicht abgeschlossen habe. Ich besaß ein Roman-fragment von ihm und wollte das mit einer persönlichen Einleitung publizieren. Dem Verlag gefiel mein Text und er animierte mich, mehr zu schreiben. So wurde es zu einem work in progress über zehn Jahre. Ich bereue nicht, dass es so lange gedauert hat, denn es hat mich verwandelt.

In welcher Weise verwandelt?

Ich konnte intensiver darüber reflektieren, warum ich als Amerikanerin in Österreich  bin, was das mit meiner Lebensgeschichte zu tun hat. Ich stamme aus einer aschkenasischen Familie, die zum Glück schon lange vor der Schoa aus Odessa, Kiew, Moskau und Łodz in die USA ausgewandert war. Das ist irgendwie kein Zufall, dass es mich hierher verschlagen hat.

In Ihrem Buch bezeichnen Sie sich selbst als „naiv“, was den anfänglichen Zugang zum Leben in Österreich  betrifft. Und Sie ziehen Parallelen zu den Lebensphasen Ihres Vaters?

Marvin, der Protagonist im Romanfragment meines Vaters, glaubte ganz blauäugig, in Francos Spanien locker leben und agieren zu können. Er hat nicht gemerkt, dass er unter einem Diktator lebt, der noch mit Hitler kooperiert hat. Mein Vater versuchte seinen Mandanten, einen Vietnamveteran, der in einem polnischen DP-Camp geboren war, wegen eines Drogendelikts nach westlichem Standard zu befreien – und ihm die Augen zu öffnen. Ähnlich naiv war ich, als ich erstmals 1972 und ab 1974 permanent nach Österreich gekommen bin. Damals war die Stimmung, vor allem in Graz, ziemlich antisemitisch und äußerst fremdenfeindlich. Über die Rolle Österreichs im Zweiten Weltkrieg lag eine Decke der Verleugnung.

Wie schwer ist Ihnen die Integration als jüdische Amerikanerin gefallen?

Nancy B. Amendt-Lyon: Case Unclosable. CreateSpace Independent Publishing Platform;  187 S. 14,36 EUR
Nancy B.
Amendt-Lyon:
Case Unclosable. CreateSpace Independent Publishing Platform;
187 S. 14,36 EUR

Ich wurde immer als exotischer Vogel betrachtet. Wenn Freunde oder Studienkollegen in Graz erfahren haben, dass ich Jüdin bin, haben sie sich bemüßigt gefühlt, mir irgendwelche Judenwitze zu erzählen. Sie dachten, dass ich mich dann vielleicht zuhause fühle, wenn sie mir ihre provinziellen, schlecht erzählten Judenwitze servierten.
Das Judentum bedeutet für mich eine wichtige Tradition und Kultur. Ich bin nicht strenggläubig, aber seit ich in Österreich bin, hat mich der Antisemitismus zur bewussten Jüdin gemacht. Ich bin nie diskriminiert worden, weil ich Amerikanerin bin, aber sehr wohl als Jüdin, wenn es eine Rolle gespielt hat.

Sind Ihre Albträume jetzt vorbei?

Die Albträume waren vorbei, als ich beschlossen hatte, das Buch zu schreiben. Das Faszinierende bei dieser Arbeit war, dass ich mir selbst bewusst werden musste, wie auch ich mit den Haltungen und Botschaften von einer Generation zur anderen umgehe. Jetzt freue ich mich, in Europa zu leben und bin als Wahlwienerin sehr zufrieden.

ZUR PERSON
Nancy Amendt-Lyon, geboren in N. Y.,  Psychotherapeutin in freier Praxis, Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Vereinigung für Gestalttherapie. Zahlreiche Artikel zu Themen der Gestalttherapie, über Gender und soziopolitisch relevante Fragen.
amendt-lyon-gestalttherapie.at

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