Nichts ist in Beton gegossen

Die geopolitische Lage Israels im Spannungsfeld zwischen Iran, Syrien, Russland und Saudi-Arabien – und den amerikanischen Kongresswahlen.

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Benjamin Netanjahu fuhr im vergangenen Jahr fast jeden Monat einmal nach Moskau, um abzusprechen, inwieweit die israelische Luftwaffe gegen iranische Ziele in Syrien vorgehen konnte. © flash 90

Wer sich – zwei Jahre, nachdem Donald Trump ins Weiße Haus gewählt wurde – einen Überblick über die geopolitischen Herausforderungen Israels verschaffen möchte, schaut am besten in ein Dokument des Jerusalemer Außenministeriums. Die Arbeitsziele sind dort nach Prioritäten aufgelistet. Da ist zunächst einmal vom Iran die Rede. Nach dem von Trump aufgekündigten Atomdeal, den Israel eh nie mochte, geht es für die Diplomaten nun darum, auf ein Abkommen mit Teheran hinzuwirken, in dem die früheren Fehler korrigiert werden. Weiterhin sei der Dialog mit der internationalen Gemeinschaft in Sachen Syrien notwendig, so dass der „Iran und seine Handlanger in der Region von allen künftigen Einigungen ausgenommen“ blieben, auch was den Wiederaufbau des Landes anbelangt. Es geht darum, die iranische Präsenz im Nachbarland einzudämmen und vor allem dauerhaft von der Grenze im Norden fernzuhalten. Deshalb soll auch die „Liste all jener, auf die wir angewiesen sind, einschließlich der Verbindungen zu Russland“, ausgeweitet werden.

Über die Zukunft Syriens, wo ein Ende des blutigen Bürgerkriegs mit einem Sieg Assads naht, wird tatsächlich vor allem Vladimir Putin mit entscheiden. Benjamin Netanjahu fuhr im vergangenen Jahr fast jeden Monat einmal nach Moskau, um auszutesten oder abzusprechen, inwieweit die israelische Luftwaffe gegen iranische Ziele in Syrien vorgehen konnte, ohne eine Eskalation zu riskieren. Von 200 Angriffen war bisher die Rede. Doch der Abschuss eines russischen Flugzeugs über Syrien Ende September, das der Sprecher der russischen Armee Israel angelastet hat, zeigt, wie schnell sich der Wind drehen kann.

Israel will die Iraner aus Syrien verdrängen, Russland wiederum braucht den Iran dort, um Assad zu stabilisieren. Zugleich will Moskau Teherans hegemonische Ambitionen deckeln.

Denn die Interessenlagen sind nicht unbedingt deckungsgleich: Israel will die Iraner aus Syrien verdrängen, Russland wiederum braucht den Iran dort, um Assad zu stabilisieren. Zugleich will Moskau Teherans hegemonische Ambitionen in der Region auch deckeln – allein das schon ein Drahtseilakt und Grund dafür, dass Russland Israel lange Zeit hat währen lassen. Aber seit dem Abschuss der Maschine hat Israel keine Angriffe auf syrischem Territorium mehr geflogen.

Fakt bleibt: Netanjahu ist derzeit wohl der einzige Staatsmann auf der Welt, der mit beiden kann – Putin und Trump. Wobei Letzerer ihm zweifellos näher steht. In ihrer Einschätzung des Iran als expansionistische Macht befinden sich beide ganz auf einer Linie. Außerdem hat Trump die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegt, lässt den Staat Israel entschieden gegen dessen chronisch unfaire Behandlung in den Vereinten Nationen verteidigen und hat der palästinensischen Flüchtlingsorganisation UNWRA, die das palästinensische Flüchtlingsproblem perpeturieren statt lösen soll, den Geldhahn zugedreht. Mehr hätte sich Netanjahus Anhängerschaft auch im ganz rechten Flügel nicht wünschen können. Dabei steht allerdings weniger das gemeinsame demokratische Erbe im Vordergrund der amerikanisch-israelischen Beziehungen als die Sicht auf eine Welt, in der man stark sein muss.

Fraglich ist, ob Trumps Strategie tatsächlich aufgeht und er die Palästinenser so an den Verhandlungstisch mit Israel zurückbringt. Fest steht nur, dass der Palästina-Konflikt unter seiner Ägide in der arabischen Welt an Bedeutung verloren hat, weil sich Interessen verschoben haben. In dieser neuen Konstellation spielt Saudi-Arabien, wo man sich vor dem Iran nicht weniger fürchtet als in Israel, die Hauptrolle. Aber auch hier ließ gerade ein Zwischenfall plötzlich ein Fragezeichen in der Liaison zwischen den Vereinigten Staaten und dem saudischen Machthaber aufkommen: der Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in Riads Konsulat in Istanbul. Selbst für Trump, für den in der Außenpolitik demokratische Wertvorstellungen nie eine wichtige Rolle gespielt hatten, war damit erst einmal eine rote Linie überschritten.

Fakt bleibt: Netanjahu ist derzeit wohl der einzige Staatsmann auf der Welt, der mit beiden kann – Putin und Trump. Wobei Letzerer ihm zweifellos näher steht.

Über den Stellenwert von Demokratie gibt es aber – spätestens seit dem neuen Nationalstaatsgesetz – auch in Israel kontroverse Diskussionen. Justizministerin Ayelet Shaked vom Jüdischen Haus nennt es ein „Ausbalancieren zwischen zionistischen und universalen Werten“. Dabei hat sie sich das Oberste Gericht des Landes als Zielscheibe ihrer Kritik ausgesucht. Statt einer „Volksregierung haben wir eine Regierung der liberalen Richter“, lautet ihr Vorwurf. Sie will deshalb das Staatsschiff wieder auf den richtigen Kurs bringen und die Machtbefugnisse des Obersten Gerichts einschränken. Sie fordert „altmodischere Richter“, die sich weniger einmischen und der Politik der Regierenden näher stehen – wie in den Vereinigten Staaten.

Shaked hat aber nicht unbedingt recht, wenn sie darauf insistiert, dass die Entscheidungen der Knesset jeweils im allgemeinen Interesse lägen. Denn die Mehrheit der israelischen Wähler ist eher in der Mitte verortet. Sie ist gegen den Siedlungsbau außerhalb der großen Blöcke, sie ist gegen die Wehrdienstbefreiung von ultraorthodoxen Männern und gegen das Verbot, am Schabbat wichtige Bauarbeiten zur Verbesserung der Infrastruktur des Transportsystems vorzunehmen. Das weiß natürlich auch Shaked. Sie fürchtet nämlich um ihre Wählerschaft. Ihr Argument: Netanjahu könnte bei der nächsten Wahl mehr Mandate denn je bekommen, und das auf Kosten ihrer Partei. Statt mit dem Jüdischen Haus, warnt sie, könnte er sich beim nächsten Mal mit der Opposition links von ihm zusammentun.

Wie man sieht: Nichts ist in Beton gegossen.

Da es auch bei den anstehenden Kongresswahlen in Amerika zu einer anderen Gewichtung kommen könnte, verwies das Jerusalemer Außenministerium auf die Notwendigkeit, die Beziehungen zur demokratischen Partei in den USA zu stärken. Da Netanjahu äußerst unpopulär bei den Demokraten ist, wie Umfragen zeigen, fürchte man ansonsten einen Backlash. 

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