Öffnung, weitergedacht

1948

Seit 25 Jahren präsentiert sich die Wiener jüdische Gemeinde mit seinem Kulturfestival auch nach außen. Von Alexia Weiss  

  Viel ist passiert in den vergangenen 25 Jahren. 1990, da hatte sich der Eiserne Vorhang gerade gehoben und man blickte in rosigere Zeiten. Die 1990er-Jahren standen ganz im Zeichen des Aufbruchs und wirtschaftlichen Wohlstands, in Europa jedenfalls. Die Kriegsfront im Irak erschien weit weg. Nach der Jahrtausendwende kamen 9/11 und finanzielle Krisenjahre. Das Duell Kommunismus gegen Kapitalismus von einst wurde von einem Kampf der islamischen Welt gegen westliche Werte abgelöst. Und jüdische Gemeinden in vielen Teilen Europas sehen sich mit einem steigenden Antisemitismus konfrontiert, der inzwischen verstärkt statt von rechts von islamistischer Seite kommt, Terror inklusive.

Das Publikum ist über die letzten 25 Jahre stark gewachsen, inzwischen kommen neben den Gemeindemitgliedern auch viele interessierte Nichtmitglieder und Touristen …

Celebrate-Band3-06_14Die Wiener Gemeinde setzt dennoch weiterhin auf Öffnung – doch auch hierzulande haben sich die Rahmenbedingungen stark geändert. Darauf hat man auch bei der Konzeption der Jüdischen Kulturwochen reagiert, die mit dem ersten Straßenfest am 23. Mai 1990 ihren Anfang nahmen. Gefeiert wurde damals in Seitenstetten- und Judengasse sowie am Desider-Friedmann-Platz, und zwar der Jom Jeruschalaim. Mit dabei war die Gruppe Frejlach, die in den folgenden Jahren zu einem Fixpunkt der Straßenfeste wurde. Und für alle Interessierten öffneten sich an diesem Tag die Türen des Wiener Stadttempels. Synagogenführungen erfreuen sich bis heute, inzwischen im Rahmen der von IKG-Präsident Oskar Deutsch forcierten Tage der offenen Türen großer Beliebtheit.

Spürbar familiäre Atmosphäre

Celebrate-Aussteller1-06_14Kulinarisch setzte man 1990 auf Falafel, Pita, Humus und Salat – der Andrang wurde jedoch unterschätzt, und lange vor Ende des Festes ging das Essen aus. „Übrig blieb das Flair einer großen Familie, unterstützt durch ein begeisterungsfähiges Publikum und ausgesucht gute Musiker“, resümierte damals die Austria Presse Agentur. Und die Arbeiter Zeitung berichtete: „Wien vor wenigen Tagen: ein jüdisches Straßenfest in der Inneren Stadt vor dem Tempel. Es wird musiziert. Als Hauptattraktion swingt mit prachtvoller Stimme Chaim Eisenberg, der Oberrabbiner, von der Bühne. Es wird getanzt. Auch die sowjetischen Juden machen mit, die in den letzten Jahren nach Wien gekommen sind. Aus Moskau, aus Taschkent, aus Tiflis. Und ihre Kinder. Sie sprechen schon schönes Wienerisch. Österreichische Eingeborene feierten mit. Ein ausgelassenes, ein wunderbares Fest.“ Auch wenn so manche dieser Formulierungen aus heutiger Sicht satirisch anmuten, wird in diesen Zeilen doch die Atmosphäre von damals spürbar. Die jüdische Gemeinde öffnete sich erstmals nach außen.

DSC07628Möglich gemacht wurde das erst durch die Waldheim-Jahre. Nicht nur die österreichische Regierung, allen voran SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky, hatte hier eine Wende eingeleitet und sich der Verantwortung für die NS-Vergangenheit Österreichs gestellt. „Die Waldheim-Jahre haben ja auch etwas sehr Positives gezeigt“, sagt heute Georg Haber, der mit seiner Frau Elinor viele Jahre maßgeblich an der Organisation der Jüdischen Kulturwochen beteiligt war, „man hat gesehen: Da ist eine neue Generation, die Juden nicht nur vorurteilsfrei gegenübersteht, sondern auch Interesse und Sympathie zeigt.“ Es war auch die Zeit, als Menschen bewusst nach ihren jüdischen Wurzeln zu suchen begannen. In Wien ist die jüdische Großmutter – inzwischen wahrscheinlich schon eher die jüdische Urgroßmutter – tatsächlich ein weit verbreitetes Phänomen. Was Jahrzehnte lang verschwiegen und tabuisiert wurde, durfte wieder an die Oberfläche. Jüdische Folklore kam da gerade recht.

„Das Publikum ist nicht nur gewachsen, es ist auch – was fast undenkbar war – viel unterschiedlicher.“

Der Kultusgemeinde ging es aber nicht nur um einen Brückenschlag, erinnert sich Elinor Haber. Die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion hatte auch viele jüdische Künstler nach Wien gebracht. Die IKG war mit immer mehr Anfragen konfrontiert, ob man im Gemeindezentrum auftreten oder etwas ausstellen könne. „Mit dem Straßenfest und den Kulturwochen konnten wir eine Bühne, ein Forum bieten.“ Der Fokus lag also vor allem auf jüdischen Interpreten und Kulturschaffenden, die in Wien lebten. Neben Frejlech gehörten die Brüder Meirov zu den Fixstartern, ebenso die Gruppe Sholem Alechem, die Tanzgruppe Hava Nagila und Schüler der Jehuda-Halevi-Musikschule. Aber auch der Blick über die Grenze wurde immer wieder gewagt: 1997 gab es beispielsweise einen Abend mit jüdischen Geschichten aus Bosnien – der allerdings nicht den Zulauf brachte, den sich die Organisatoren erhofft hatten. Nach Jahren von Kulturwochen im Frühjahr und im Herbst zwangen engere Budgets die IKG, sich wieder auf die Festivitäten im Frühling zu beschränken. Highlight ist dabei bis heute das Straßenfest, das allerdings mit der Übernahme der Präsidentschaft durch Oskar Deutsch in Let’s celebrate umbenannt wurde. Auch die Kulturwochen laufen inzwischen unter einem anderen Label: Seit 2013 nennt sich die Veranstaltungsreihe Festival der jüdischen Kultur. Benni Gilkarov arbeitete als Ehrenamtlicher seit 1998 beim jährlichen Straßenfest mit, seit 2007 ist er auch Mitglied des Organisationsteams. Viel habe sich in diesen Jahren verändert, erzählt er. Da wäre zum einen die Location. Von der Seitenstettengasse wanderte man ins Palais Liechtenstein, und einmal war man auch am Josefsplatz zur Gast, der sich jedoch als viel zu groß herausstellte. Mit der Neugestaltung des Judenplatzes bot sich schließlich der ideale Spot im öffentlichen Raum und wurde fast schon zur Tradition – wäre da nicht der Kampf mit dem immer wiederkehrenden schlechten Wetter. Nicht nur einmal machten Wind und Regen den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung. „Am Anfang hatten wir ja auch keine Zelte, sondern nur Tische und Sessel“, erinnert sich Georg Haber. Als im Vorjahr die Stadt Wien die Arkaden im Rathaus anbot, schlug die Gemeinde zu: Hier bot sich die Möglichkeit, im Freien zu feiern – und dennoch sind die Stände in den Arkadengängen vor Regen geschützt. So wie der Ort haben sich über die Jahre auch die Gäste verändert: „Das Publikum ist nicht nur sehr stark gewachsen, es ist auch noch – was fast undenkbar war – unterschiedlicher“, sagt Gilkarov, „inzwischen kommen Gemeindemitglieder, Nichtmitglieder, Juden, Nichtjuden, Touristen.“ So aufwändig die Vorarbeiten jedes Jahr auch sind – begonnen wird mit der Planung bereits elf Monate im Voraus –, so sehr ist diese Aufgabe erfüllend, wie Gilkarov betont. „Es macht mir sehr viel Spaß, vor allem wenn man die vielen glücklichen Familien sieht, die die Veranstaltung besuchen.“ Gelungen ist, was in den Anfangsjahren mit dem Fest angestrebt wurde: sich nicht nur nach außen zu öffnen, „sondern auch gemeindeintern Integration zu leben“, wie es Elinor Haber formuliert. Inzwischen ist das sefardisch-aschkenasische Miteinander in Wien selbstverständlicher Alltag, nicht zuletzt vorangetrieben durch die jüdischen Schulen. Möglich sind Großveranstaltungen wie das Straßenfest – heute Let’s celebrate – allerdings nur durch massives ehrenamtliches Engagement. Rechne man alle mit ein, die einen Stand betreuen, sind an diesem Tag (heuer ist es der 21. Juni) an die 100 Freiwilligen involviert, rechnet Gilkarov vor. Auch das stärkt den Zusammenhalt in der Gemeinde.

Über alle Grenzen hinweg

Celebrate-Publikum1-06_14Stichwort Stände: über die Jahre ist nicht nur das gastronomische Angebot massiv gewachsen. Inzwischen präsentieren sich neben Rabbinat und verschiedenen Abteilungen der Kultusgemeinde auch die jüdischen Schulen, unterschiedlichste Vereine, Wohltätigkeits- und Jugendorganisationen, es gibt Bücherstände, Kunsthandwerk und Initiativen wie das Peacecamp-Projekt von Evelyn Böhmer-Laufer. Und natürlich wird auch an die Kinder gedacht: Jedes Jahr wird hier eine andere Attraktion angeboten. Nun bereits das dritte Mal betreut das Kinderprogramm die ungarische Kinderbuchautorin Linda Verö-Ban, deren Bücher zu jüdischen Festen inzwischen sowohl in englischer als auch in deutscher Übersetzung erhältlich sind. Ungarn wählten die Organisatoren auch als erstes Gastland nach der Änderung des Konzepts der Kulturwochen ab 2013. Mit Schwerpunktsetzungen wollte man neue Wege beschreiten. Sonia Feiger, die als Mitglied der Kulturkommission inzwischen maßgeblich mit der Organisation des Festivals betraut ist, formuliert es so: „Wir sind den Weg der Öffnung weitergegangen. Wir zeigen, dass Kultur grenzenlos ist – über Partei- und Ländergrenzen hinweg. Davon profitieren nicht nur Nichtjuden, sondern auch die Gemeindemitglieder. Durch den Austausch öffnen sich auch hier die Grenzen im Kopf. Und wir lernen viel Neues kennen.“ Dass Ungarn als erstes Gastland ausgewählt wurde, kam nicht von ungefähr. „Das hat sich gar nicht so sehr wegen der geografischen Nähe ergeben, sondern auf Grund der politischen Situation. Wir wollten hier Aufmerksamkeit erreichen.“ Hat man 2013 bewusst den Kontakt zur ungarischen Botschaft nicht gesucht, war dies im Vorjahr bereits anders: Der deutsche Botschafter war beim Straßenfest zu Besuch gewesen und zeigte Interesse, 2014 sein Land vorzustellen. So ging man eine Kooperation ein. Ähnlich verhält es sich heuer: Gastland sind die USA, Unterstützung kommt dabei auch von der US-Botschaft – organisatorisch sowie finanziell. Den Auftakt macht am 18. Juni Avraham Fried, der im Stadttempel chassidischen Pop singt. Bei Let’s celebrate am 21. Juni im Rathaus sind die A-Cappella-Band Six13 und der Harmonica-Beatboxer Yuri Lane zu Gast. David Krakauer tritt am 25. Juni im Konzerthaus auf. Der Klarinettist ist sowohl Vertreter des Klezmer als auch der Klassik, das Ergebnis ist sein ganz spezieller Crossover-Stil. Den diesjährigen Festivalreigen beschließen am 30. Juni Daniel Kahn and the Painted Bird im RadioKulturHaus. Deren Musik ist eine Mischung aus Klezmer, Punk, Folk und Singer-Songwriter-Style. Das Literaturcafé, eine weitere Kulturschiene der IKG, wird sich rund um das Festival zudem ebenfalls mit Kultur aus den USA befassen. Durch die internationale Öffnung des Festivals hätten sich auch die Kontakte der Gemeinde zu verschiedenen Botschaften intensiviert, erläutert Feiger einen positiven Nebeneffekt der thematischen Neuausrichtung der Kulturwochen. Anfangs habe es durchaus Kritik gegeben, dass das Festival damit nicht mehr als Bühne für heimische jüdische Interpreten zur Verfügung stehen würde, erinnert sich Feiger. Inzwischen sei das Feedback durch die Bank sehr positiv: „So lernt auch die Wiener Gemeinde Gruppen kennen, die bisher noch nicht in Österreich aufgetreten sind.“ ◗

Titel-FlyerFestival der Jüdischen Kultur 2015:
21. Juni
Im Netz: kultur.ikg-wien.at Auf facebook: Ikg Kultur

Bilder: © IKG-Wien

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