„Österreich ohne Juden wäre nicht mehr das Österreich, das wir kennen und schätzen“‏

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Über verstärkte Sicherheit für jüdische Einrichtungen, Bedrohung durch Dschihadisten sowie Initiativen im Kampf gegen Antisemitismus und Terrorismus – ein WINA-Gespräch mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.

WINA: Frau Bundesminister, Sie haben auf eigenen Wunsch vor Kurzem im Wiener Stadttempel an einem Freitagabend-Gottesdienst teilgenommen. Warum?

Johanna Mikl-Leitner: Ich habe mich gefreut, das mitzuerleben, denn die jüdische Gemeinde ist ein wichtiger Bestandteil Österreichs, ein wichtiger Bestandteil Europas. Österreich ohne Juden wäre nicht mehr das Österreich, das wir kennen und schätzen. Und Europa ohne Juden wäre nicht Europa. Daher ist es mir auch als Innenministerin ein besonderes Anliegen, dass sich unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger in unserem gemeinsamen Österreich sicher und daheim fühlen. Jüdisches Leben in Europa muss ohne Sorge möglich sein.

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Apropos Sorge: Bei der letzten aktuellen Stunde im Parlament zum Thema „Gemeinsam gegen den Terror“ haben Sie die „Bedrohungslage als ernst und besorgniserregend“ bezeichnet. Worauf haben Sie sich da konkret bezogen? 

❙ Wenn man sich Anschläge der letzten Monate anschaut, muss man angesichts der Situation Sorge haben, aber sicher nicht in Angst und Panik verfallen. In Österreich haben wir den Terrorismus schon seit Jahren auf dem Radar und deshalb auch in den letzten Jahren und auch Monaten sehr viele Maßnahmen zu dessen Bekämpfung gesetzt. Mit einigen Gesetzesnovellierungen, zum Beispiel bei der Grenzkontrolle, der Staatsbürgerschaft, dem Verbot von Symbolen, insbesondere jenen der IS, haben wir klare Signale gesetzt. Mit IS-Symbolen darf man nicht werben, denn Derartiges hat in unserer demokratischen Gesellschaft nichts verloren.

Welche erhöhten Sicherheitsmaßnahmen wurden in Österreich im Zuge der Attentate von Paris und Kopenhagen speziell für jüdische Bürgerinnen und Bürger gesetzt?

❙ Wir haben den Personen- und Objektschutz nach dem Anschlag in Paris, der nicht nur Christen und Muslime betraf, sondern insbesondere gegen Juden gerichtet war, bei allen jüdischen Institutionen verstärkt. Hier gibt es wirklich eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen der IKG und dem Innenministerium. IKG-Präsident Oskar Deutsch betont auch immer wieder, dass das ein europäisches Best-practice-Modell ist.
Insgesamt haben wir ein Sicherheitspaket geschnürt, das drei Bereiche umfasst: erst die Prävention, zweitens die Technik und die Ausstattung sowie drittens ein qualifiziertes Personalpaket, vor allem mit Experten mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund.

Hat sich insbesondere für die jüdische Gemeinschaft in Hinblick auf diese Bedrohungslage etwas verändert?

❙ Die gute Zusammenarbeit zwischen der IKG und dem Innenministerium ist auch ein Grund dafür, dass sich die jüdische Gemeinde hier bei uns in Sicherheit und auch daheim fühlen kann. Und das im Gegensatz zu Frankreich, wo wir es mit einer Auswanderungswelle von Jüdinnen und Juden zu tun haben. Gerade heuer, wo wir ein wichtiges Gedenkjahr zur Befreiung von KZ-Häftlingen begehen, muss es uns auch zu denken geben, dass immer mehr Juden Europa verlassen. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sage – eine neue Angst geht um. Und dem müssen wir entschlossen entgegentreten.

Denken Sie da an mehr als nur sichtbare Schutzmaßnahmen?

Freundschaftlicher Empfang. Johanna Mikl-Leitner bei ihrem Besuch in der Wiener Synagoge.
Freundschaftlicher Empfang. Johanna Mikl-Leitner bei ihrem Besuch in der Wiener Synagoge.

❙ Unser vorrangiges Ziel und unsere Pflicht muss es sein, die jüdische Gemeinde in Europa zu schützen, genauso wie wir unsere Freiheitsrechte, unsere Grundwerte in Europa schützen müssen – das ist untrennbar miteinander verbunden. Und ein Instrumentarium dafür kann eine europäische Kommunikationsstrategie sein. Eine Kommunikationsstrategie, mit der wir uns gezielt an jene Menschen wenden, die noch nicht verstehen, welche Vorteile die europäischen Grund- und Freiheitsrechte für sie persönlich bringen. Und wo wir auch klar kommunizieren, dass es ohne Meinungsfreiheit auch keine Religionsfreiheit gibt.

Ich bin überzeugt, die Wertschätzung unserer Freiheitsrechte durch jeden Einzelnen ist die stärkste Waffe gegen die Intoleranz, den Antisemitismus, die Radikalisierung und damit letztlich gegen den Terror.

Unser klares Ziel muss es sein, die Vielfalt unserer Gesellschaft und Menschen aller Überzeugungen und Glaubensrichtungen zu schützen. Der Kampf gegen den Antisemitismus muss dabei zu einem europäischen Thema werden.

Kann man diese Anschläge auch als Weckruf für eine verbesserte, intensivere europäische und internationale Zusammenarbeit sehen? 

❙ Den Kampf gegen Extremismus und Terrorismus kann man heute nur mit einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene führen. Daher müssen in Zukunft europäische Institutionen wie Europol noch stärker einbezogen werden.

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Sie forderten in diesem Zusammenhang erweiterte Befugnisse für das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Sie sehen es als Problem, dass auch beim Beobachten eines mutmaßlichen Dschihadisten die entsprechenden Daten derzeit nach neun Monaten wieder gelöscht werden müssen.

Johanna Mikl- Leitner im Gespräch mit WINA-Redakteurin Marta S. Halpert in den Amtsräumen des Innenministeriums.
Johanna Mikl-Leitner im Gespräch mit WINA-Redakteurin Marta S. Halpert in den Amtsräumen des Innenministeriums.

❙ Wir haben schon vor den Anschlägen in Paris in unserem Regierungsprogramm vereinbart, dass wir ein neues Staatsschutzgesetz benötigen. Dabei geht es auch darum, was sich die österreichische Bevölkerung von ihrem Staatsschutz erwartet. Nach einer intensiven und umfassenden Diskussion mit allen im Parlament vertretenen Parteien stehen wir kurz vor dem Beschluss. Aufgrund der Bedrohungen, mit denen wir es heute zu tun haben, sei es Cyberkriminalität, Terrorismus, Extremismus, brauchen wir entsprechende Befugnisse für die Beamten im Staatsschutz. Wenn wir z. B. einen Dschihadisten verfolgen und Informationen sammeln, müssen wir nach neun Monaten diese Daten löschen, wenn diese Person noch keine konkrete Straftat gesetzt hat. Wenn der mutmaßliche Dschihadist erst nach 15 Monaten eine Tat setzt, sind alle Informationen gelöscht. Das erschwert die Ermittlungsarbeit und viele Beweismaterialen sind damit verloren. Hätte beim Attentat in Paris ein Zusammenhang mit Österreich bestanden, wäre vieles dazu aus Mangel an Informationen einfach nicht mehr nachvollziehbar. Gerade im Bereich des Terrorismus muss man dem Staatsschutz die Möglichkeit geben, Daten länger zu speichern. Natürlich verbunden mit Rechtsschutz für die Betroffenen; hier gilt es, beim Staatsschutz die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden.

Ist die Ablehnung einer Vorratsdatenspeicherung nicht ein falscher oder naiver Reflex?

❙ Die Vorratsdatenspeicherung ist kein Bestandteil des Staatsschutzes, sondern generell eine europäische Debatte. Wir respektieren natürlich die Urteile des EuGH und des Verfassungsgerichtes, aber die Ermittlungsarbeit wird dadurch schwieriger. Die Frage ist dann, kann ich nach einem Attentat Kommunikationsspuren sichern, um die Hintermänner aufzudecken? Wenn ich diese Spuren – die ja ohnehin von der Kommunikationsindustrie gespeichert werden – nicht sichern darf, kann ich keine dahinterliegenden Netzwerke aufdecken und damit auch keine möglichen zukünftigen Anschläge verhindern.

FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache ortet ein hochgradiges Sicherheitsrisiko für die österreichische Bevölkerung durch „Dschihad-Rückkehrer“. Er fordert den Entzug der Staatsbürgerschaft, auch wenn es sich nicht um Doppelstaatsbürger handelt, sowie auch eine Schutzverwahrung der Rückkehrer. Wie sehen Sie das?

❙ Die Dschihadisten im Fokus zu haben, ist natürlich eine zentrale und sehr wichtige Aufgabe, ob sie sich in Österreich befinden oder hierher zurückkommen.

Mit den Änderungen im Staatsbürgerschaftsgesetz ist es künftig möglich, jemandem, der eine zweite Staatbürgerschaft hat, die österreichische zu entziehen, gerade wenn er sich einer terroristischen Organisation anschließt bzw. eine solche unterstützt.

Wenn jemand aber nur die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, ist es auf Grund internationaler völkerrechtlicher Abkommen nicht möglich, weil Staatenlosigkeit verhindert werden sollen. Außenminister Kurz hat hier die Initiative übernommen, bei den Mitgliedsstaaten die Überlegung anzustoßen, das zu überdenken.

Das heißt, die Person wird zum Ausländer und man kann sie leichter „loswerden“?

❙ Er ist dann ein Fremder und hat nicht mehr die gleichen Rechte wie ein Österreicher – wie zum Beispiel das Wahlrecht.

Sie plädierten unlängst für die bessere Schulung der Grenzbehörden, um unerkannte Ein- und Ausreisen von gewaltbereiten Extremisten zu verhindern. Dachten Sie da an die Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien, die Sie erst kürzlich zu einer Konferenz mit dem Titel „Tackling Jihadism Together“ geladen hatten?

❙ Außenminister Kurz und ich haben erstmals zu einer Westbalkankonferenz eingeladen, an der sowohl Innen- als auch Außenminister teilgenommen haben. Wir wissen, dass die Bedrohung nicht nur eine Sache der inneren, sondern auch der äußeren Sicherheit ist. Das ist für Österreich so wichtig, weil es Verbindungen zwischen den Westbalkanstaaten und den Extremisten hier bei uns gibt und unsere Länder auch auf der Route der Dschihadisten liegen. Deswegen ist die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten so wichtig, um die Grenzen zu sichern und den Informationsaustausch zu verstärken. In Zukunft werden sich auch die Westbalkanstaaten in die Europol-Datenbank einwählen können, um die Lagebilder, was die Gefährdung betrifft, besser einschätzen zu können.

Das dschihadistische Netzwerk in Bosnien gilt mit seinen engen Verbindungen nach Österreich als das wichtigste Rekrutierungs- und Radikalisierungsinstrument für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Angeblich haben sich zwischen Sarajevo und Wien Terroranwerber etabliert, die aus den umliegenden Ländern junge Menschen für den Dschihad in Syrien und im Irak rekrutieren. Stimmt das?

❙ Jedes Westbalkanland ist ein Gefahrenherd, weil sich nach dem Krieg eine gewisse Community angesiedelt hat und dort eben auch Zentren der Radikalisierung entstanden sind, die mit unseren hier in Verbindung stehen – aber ja: In Bosnien gibt es dabei besondere Herausforderungen.

Wie bewährt sich die im Vorjahr eingerichtete „Beratungsstelle Extremismus“, an die sich Eltern von sich radikalisierenden Kindern wenden können?

❙ Wir haben diese Anlaufstelle gemeinsam mit dem Familienministerium eingerichtet, damit Familienangehörige, die merken, dass sich ihre Kinder verändern oder radikalisieren, hier erste Hilfe bekommen können. Denn Radikalisierung findet nicht im Stillen statt: Wichtig ist, die Signale richtig zu deuten und sofort Maßnahmen zu setzen. Wir haben insgesamt schon 200 Kontakte registriert, wo es zu Anfragen bzw. Beratungsgesprächen gekommen ist.

Wie beim Kampf gegen den Antisemitismus muss man auch hier auf europäischer Ebene ein gemeinsames Instrumentarium der Bewusstseinsbildung ausarbeiten, das leicht verständlich und praktikabel ist. Die Initiative für diese Kommunikationsstrategie kommt aus Österreich und hinterfragt, wie man Extremismus und Radikalisierung hintanhalten kann. Wie bringt man es in die Köpfe der Jugendlichen aus anderen Kulturkreisen, dass diese Grundfreiheitsrechte die beste Basis für ein gegenseitiges Verständnis bilden? Denn Aufklärung ist die stärkste Waffe.

Johanna Mikl-Leitner wurde 1964 in Hollabrunn, Niederösterreich, geboren. Sie studierte Wirtschaftspädagogik in Wien, übernahm 1995 die Marketingleitung der Volkspartei Niederösterreich, vertrat die ÖVP von 1999 bis 2003 im Nationalrat, war von 2003 bis 2011 Landesrätin in Niederösterreich und ist seit 2011 österreichische Innenministerin. Johanna Mikl-Leitner ist geschäftsführende Bundesobfrau des Österreichischen Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbundes, verheiratet und Mutter zweier Töchter.

Bilder: © Reinhard Engel; Alexander TUMA

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