Party, aber nicht für alle‏

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Die ungarische Wirtschaft wächst nach einigen schwierigen Jahren wieder. Doch über der langfristigen Entwicklung hängen Fragezeichen.

Text & Fotos: Reinhard Engel 

Es ist ein ganz normaler Montagabend und die Lokale sind berstend voll. Im Budapester Bermudadreieck zwischen Károly Körút, Király utca und Dob utca drängen sich die jungen Frauen und Männer zwischen Barstühlen und Grilltheken, sie genießen große, bunte Cocktails und gar nicht so billigen ungarischen Flaschenwein. Manche Pubs bieten Livemusik, andere machen auf Shabby Chic mit unverputzten Ziegelmauern und wild zusammengestoppeltem Mobiliar, das ein wenig nach Sperrmüll aussieht. Das vieltönige Stimmengewirr will bis in die Nacht hinein nicht enden, die Gastrobranche darf hier wohl kaum jammern, wie sie das anderswo gewohnt ist.

Dieser lockere Umgang mit dem Geld steht freilich auf einer realen Basis. Die ungarische Wirtschaft ist schon im Vorjahr nach einer harten Dürreperiode wieder kräftig gewachsen, um mehr als drei Prozent, und auch heuer stehen die Zeichen auf Aufschwung. „Die Menschen haben mehr freies Einkommen zur Verfügung“, weiß auch Erika Teoman-Brenner, die österreichische Wirtschaftsdelegierte in Budapest. „Und das geben sie aus, ob sie nun Möbel kaufen, oder ob sie sich wieder öfter Restaurantbesuche leisten.“

Armut2EngelWoher kommt nun dieses zusätzliche Konsumvolumen? Die ungarische Mitte-rechts-Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán hat dazu mit mehreren in westlichen Unternehmenskreisen nicht gerade populären Maßnahmen beigetragen: Erst wurden die Banken – ausländische und auch ungarische – gezwungen, einen Großteil der weit verbreiteten Fremdwährungskredite für Wohnungen zu einem für die Schuldner günstigeren Kurs wieder in Forint umzuwandeln. Die Banken, die diese Kredite zuerst aggressiv verkauft hatten, mussten damit kräftige Verluste einstecken. Und dann dekretierte die Regierung, dass die Strom-, Gas- und Wärmeversorger gleich mehrmals ihre Rechnungen reduzieren mussten, die Differenz verblieb den Kunden auf ihren Konten.

„Das war kurzfristig sicher eine populäre Maßnahme“, analysiert Miklós Szanyi, stellvertretender Direktor am Institut für Weltwirtschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. „Die Folgen wird man erst später merken. Natürlich investieren die Versorger jetzt nichts mehr, nicht einmal in Instandhaltung. Das wird früher oder später durchschlagen – bis hin zu Stromausfällen.“ Aber die positive Konsumkonjunktur geht nicht nur auf nationalistische Aktionen der Fidesz-geführten Regierung zurück, ganz im Gegenteil. Trotz deren rot-weiß-grüner Rhetorik und heftiger Polemik gegen Brüssel wie gegen internationale Konzerne tragen gerade diese beiden Gruppen erheblich zum ungarischen Wohlstand bei.

Erika Teoman-Brenner, österreichische Wirtschaftsdelegierte in Budapest
Erika Teoman-Brenner, österreichische Wirtschaftsdelegierte in Budapest

„Ich schätze, dass mehr als 70 Prozent der aktuellen Infrastrukturinvestitionen mit EU-Geldern finanziert werden“, meint der Ökonom Szanyi. Und was an neuen U-Bahn-Garnituren, modernen Regionalstrecken der Eisenbahn oder Sanierung öffentlicher Gebäude in der Hauptstadt Budapest passiert, wirkt sich natürlich positiv auf den Arbeitsmarkt und auf die Kaufkraft aus. Der größte Wachstumstreiber kommt aber nach wie vor von den Exporten. Und diese haben eine dominante Struktur: Internationale Konzerne, besonders deutsche, bauen in Ungarn vor allem Autos, und diese werden nach Deutschland geliefert – oder über Deutschland auf die Weltmärkte. Das können Audis aus Győr sein oder Mercedes-Limousinen aus Kecskemét, Opel-Motoren und Getriebe aus Szentgotthárd oder Bosch-Komponenten aus Miskolc. „Es handelt sich natürlich hier um keine einfachen Produkte“, erklärt die Wirtschaftsdelegierte Teoman-Brenner, „aber nach wie vor spielen die günstigen ungarischen Lohnkosten eine große Rolle. Es ist immer noch eine verlängerte Werkbank.“

Hier brummt das Geschäft, es wird weiter investiert, vor allem von deutschen Zulieferern oder auch bereits selektiv von Unternehmen aus anderen Weltgegenden, etwa Chinesen oder Koreanern. „Gemeinsam ist ihnen, dass sie an diesen transeuropäischen Wertschöpfungsketten teilhaben wollen“, weiß der Wirtschaftswissenschaftler Szanyi. „Sie liefern entweder an die internationalen Fabriken in Ungarn zu, oder sie exportieren gleich nach Deutschland und Frankreich.“ Mit der lokalen ungarischen Wirtschaft gebe es vergleichsweise recht wenig Berührungspunkte.

„Nach wie vor spielen die günstigen ungarischen Lohnkosten eine große Rolle. Es ist immer noch eine verlängerte Werkbank.“ - Erika Teoman-Brenner

Was sich bisher in Ungarn kaum entwickelt hat, ist jene Dichte von technikorientierten Mittelbetrieben, wie sie die erfolgreiche österreichische, Schweizer oder süddeutsche Wirtschaft ausmacht. Szanyi: „Die ungarischen Unternehmer setzen eher auf Rente als auf Innovation und Investition. Man versucht, mit persönlichen Verbindungen und politischen Netzwerken seine Profite zu machen.“ Das betreffe die Regierungsnähe und Parteinähe rund um Fidesz, aber es unterscheide sich nicht grundsätzlich von früheren Perioden, als die Sozialisten an der Macht gewesen waren.

Dabei gebe es Maßnahmen der Regierung, die durchaus sinnvoll seien, so der Ökonom. Man versuche etwa, mit einem breiten Kreditangebot von Seiten der Nationalbank via Kommerzbanken, kleinere und mittlere Unternehmen zum Wachstum zu motivieren. Das Problem sei deren Schwäche, was Innovation und Technik betrifft. Andere wirtschaftspolitische Maßnahmen waren oft direkt gegen ausländische Investoren gerichtet, mit dem Ziel, die ungarische Wahlklientel zu bevorzugen: etwa besondere Steuern auf große Handelsfirmen, die de facto Enteignung von Entsorgungsbetrieben oder die Sonntagssperre für Supermärkte, nicht aber für Kleinbetriebe. Als Antwort darauf überlegt übrigens angeblich Spar inzwischen eine Art Franchise-Modell, um mit eigenen kleinen Geschäften auf dem Land diese einseitigen Steuern zu unterlaufen.

Schwenk Richtung Osten

Die ungarische Regierung – von Brüssel wiederholt bei allzu forschen Aktionen gegen internationale Firmen in die Schranken gewiesen – hat in den letzten Jahren immer wieder einen zumindest rhetorischen Schwenk weg von Europa in Richtung Osten gezeigt. Das einzige Kernkraftwerk des Landes in Paks wird von Russland erneuert und ausgebaut – ohne Ausschreibung und mit Hilfe von Moskauer Krediten. Ähnliches gilt für eine schnelle Bahnverbindung nach Süden, von Budapest nach Belgrad. Hier sollen chinesische Firmen bauen. „Über beide Projekte weiß man nichts Genaues“, kritisiert der Ökonom Szanyi, „weder wie die Verträge aussehen, noch wann sie verwirklicht werden sollen“.

„Das war kurz- fristig sicher eine populäre Maßnahme.“ - Miklós Szanyi

Miklós Szanyi, ungarische Akademie der Wissenschaften
Miklós Szanyi, ungarische Akademie der Wissenschaften

Was die ungarische Regierung inzwischen begonnen hat umzusetzen, ist eine Reihe von internationalen Handelsstützpunkten, nicht nur in Ländern wie China, Russland oder Kasachstan, sondern auch in den USA oder in Mexiko. „Das kann sinnvoll sein“, kommentiert die österreichische Wirtschaftsdelegierte Teoman-Brenner. „Die Ungarn haben durchaus eigene Schwerpunkte. Das betrifft nicht nur Lebensmittel, sondern etwa auch Firmen im Bereich der Wasseraufbereitung, mit denen sie auf internationale Märkte gehen.“

Zum Brummen der Wirtschaft im Land tragen freilich noch andere, ebenfalls internationale Faktoren bei. Der Tourismus läuft gut, schon in der Vorsaison berichten die Hotels über zufriedenstellende Buchungslagen. Zahlreiche zahlende ausländische Studenten helfen bei der Finanzierung der knappen Kassen der Unis und beleben sowohl den Wohnungsmarkt als auch das Nightlife der Hauptstadt. Und auch die Gelder, die Ungarn alljährlich von ihren Jobs im Ausland nach Hause bringen oder schicken, sind nicht unbeträchtlich, etwa drei Prozent des Bruttonationalprodukts. Das kommt aber vorrangig von jenen, die als Tages- oder Wochenpendler in Österreich oder Deutschland arbeiten, geschätzte 100.000. Noch mehr – etwa zwei- bis dreimal so viele – haben ihrer Heimat langfristig den Rücken gekehrt. Und unter ihnen sind vor allem gut ausgebildete junge Menschen, die für eine nachhaltige Modernisierung der ungarischen Wirtschaft eigentlich dringend notwendig wären. ◗

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