Pessach und die Zahlen

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Ein Gespräch mit Janki Grünberger, stellvertretender Vorsitzender der Misrachi Wien, über Zahlen, Fragen und Bösewichte. Von Giora Zurel

wina: In der Pessach-Haggada kommen eine Reihe von Zahlen vor, so öfters die Vier oder die Zehn. Warum eigentlich?

Janki Grünberger
: Zahlen spielen im Judentum eine wichtige Rolle. Zahlen haben verschiedene Aspekte, offensichtliche und auch verborgene wie sie in der Kabbala vorkommen. Ein Beispiel: Zehn steht für das göttliche Wirken und für die göttliche Heiligkeit auf Erden. So musste etwa Abraham zehn Prüfungen durchlaufen, um seinen G-ttesglauben zu stärken. Aber auch für ein Minjan (für ein gemeinsames Gebet) braucht es zehn Männer.

wina: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den zehn Plagen und den zehn Geboten?

JG: Die zehn Plagen waren nicht so sehr eine Bestrafung der Ägypter als eine Lehre für das jüdische Volk und alle Völker. Sie sollten zeigen, dass G-tt die Natur beherrscht. Damit ist der Zusammenhang mit der Heiligkeit gegeben. Die zehn Gebote sind das Fundament für die Lehre G-ttes auf Erden.

wina: Neben der Zahl Zehn kommt die Zahl Vier öfters vor …

JG: Grund für die vier Gläser Wein, die wir am Sederabend trinken, sind die vier Ausdrücke der Erlösung, die im Zusammenhang mit dem Auszug aus Ägypten genannt werden: Hinausführen aus Ägypten, Retten, Erlösen, zum Volk G-ttes werden.

wina: Und was bedeuten die vier Söhne?

JG: Die vier Söhne finden sich schon in der Tora, wenn auch nicht namentlich genannt. Es kommen vier Dialoge zwischen Eltern und Kindern vor. Auf diesen vier Stellen in der Tora basieren die vier Söhne in der Haggada. Es soll gezeigt werden, dass in der Tora für jeden der vier Söhne die richtige Sprache gefunden wird.

wina: Wieso ist der „Bösewicht“ eigentlich ein Bösewicht? Ist er nicht eher ein Assimilant, ein Abtrünniger?

JG: Ja, das stimmt. Es geht hier nicht um einen schlechten Menschen, sondern um einen Ungläubigen, der keine Antworten sucht.

wina: War die Assimilation damals, als die Haggada geschrieben wurde, also vor mehr als 1.500 Jahren, auch schon ein „Problem“? 

„Bereits in der Tora wird die Gefahr der Abtrünnigkeit angesprochen.“

JG: Die Frage, die der „Bösewicht“ stellt, findet sich bereits in der Tora (Exodus, Kap. 12, Satz 26). Es heißt, nachdem das Volk Israel ins Land Israel kommen wird, „werden eure Kinder fragen, was soll euch dieser Kult?“ Das heißt, bereits in der Tora wird die Gefahr der Abtrünnigkeit angesprochen.

wina: Der merkwürdigste Sohn ist wohl der vierte, „der nicht zu fragen weiß“. Ist er noch dümmer als der „Einfältige“?

JG: Der eine Aspekt ist, er sei noch einfältiger als der Einfältige“. Der zweite sieht hier vollkommene Ignoranz bzw. Desinteresse. Er ist also noch radikaler als der „Bösewicht“. Wichtig ist, dass uns in beiden Fällen die Haggada lehrt, das Gespräch zu suchen und den Dialog zu eröffnen.

wina: Kann man in den vier Söhnen nicht auch Personifikationen von abstrakten Überlegungen sehen? Da steht der „Gescheite“ für die komplexen Zusammenhänge, der „Böse“ für die Gefahr der Assimilation, der „Einfältige“ für einfache Antworten für einfache Leute und der, der nicht zu fragen weiß, für Probleme, die bisher nicht angesprochen wurden. Manche Reformgemeinden nehmen das mit den neuen Problemen sehr ernst und sprechen Ökologie, Menschenrechte und Tierschutz an. Wie denkst du darüber?

JG: Menschenrechte, Ökologie und Tierschutz werden in der Tora angesprochen und im Talmud ausführlich diskutiert. Das ist ein eigenes, sehr umfangreiches Thema. Heben wir uns das besser für den nächsten Pessach auf.

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