Politisches Tagebuch

Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, führt seit einigen Monaten „Mein türkisblaues Tagebuch“. Jeder Eintrag seziert darin das Agieren der amtierenden ÖVP-FPÖ-Regierung. Loewy hängt sich in seinen Blogbeiträgen weniger an aktuellen Sagern auf, sondern sieht sich die Struktur des Agierens, die Systematik dahinter an.

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Keiner weiß, wohin die Reise geht. Aber ich mag hinterher nicht sagen, ich hab nix gemerkt“, betont Loewy auf die WINA-Frage, was er mit diesem Tagebuch erreichen möchte. „Und ich will nicht nur Dampf ablassen. Ich will besser verstehen, warum diese Politik so ‚erfolgreich‘ ist. Und ich will auch verstehen, was das mit uns macht.“
Wer ist „uns“? Auf welcher Seite Loewy steht, ist rasch klar, wenn man seine Tagebucheinträge liest. Die der Regierungsparteien ist es definitiv nicht. Wichtig ist Loewy zu sagen, dass es sich beim dem Blog nicht um ein Projekt des Jüdischen Museums Hohenems handelt. „Mein eigenes politisches Engagement ist meine ganz persönliche Angelegenheit.“ Bei diesem spiele wiederum seine Familiengeschichte mit hinein. „Meine Eltern waren Flüchtlinge, das wird meine Familie ebenso wenig vergessen wie der Chef des größten Hohenemser Unternehmers, dessen Vorfahren als italienische ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘ vor 120 Jahren hierher kamen, das vergessen hat.“ Dieser stehe dafür ein und sehe sich auch in einer gesellschaftlichen Verantwortung.

»Ob in Österreich oder in Ungarn, in England oder in den USA – die Demokratie wird ausgehöhlt.«
Hanno Loewy

Insgesamt kommen aus Vorarlberg andere Töne, wenn es um das Thema Flüchtlinge geht. Loewy hat dafür eine nachvollziehbare Erklärung: „Als 2015 die Flüchtlinge ins Land kamen, ist es gelungen, sie tatsächlich in allen 96 Gemeinden im Land aufzunehmen. Es sind Beziehungen entstanden. Und es haben sich auch viele Unternehmer engagiert und Lehrstellen angeboten.“ Als eine perfekt integrierte armenische Familie abgeschoben werden sollte, die seit fünf Jahren im Land lebte, im Kirchenchor sang, mit einem dreijährigen Buben, der Vorarlbergerisch rede, und einem zweiten Kind unterwegs, sei in Hohenems nicht nur ÖVP-Vertretern der Kragen geplatzt, sondern auch einer FPÖ-Stadtvertreterin. „Diese Stimmung ist noch genauso da.“
In Vorarlberg wird nicht wie in Wien und anderen Städten donnerstags gegen die Politik der amtierenden Regierung protestiert, sondern sonntags. Und diese Kundgebungen würde von Woche zu Woche größer, erzählt Loewy. Demonstriert würde da auch bei strömendem Regen. „Und es treten dort eben nicht nur ‚die üblichen Verdächtigen‘ auf, sondern Menschen aus der Wirtschaftskammer, Chefs großer Unternehmen, der Präsident der Ärztekammer, aber natürlich auch Flüchtlinge selbst und Ehrenamtliche, die sich für eine bessere Aufnahme der Flüchtlinge hier engagieren. Diese Vielfalt ist schon sehr beeindruckend.“

Rückfall in Gewaltverhältnisse. Loewys Befund zur aktuellen Situation in Österreich, Europa und international: „Wir erleben überall das Gleiche. Ob in Österreich oder in Ungarn, in England oder in den USA – die Demokratie wird ausgehöhlt.“ Wenn Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, zu einer Religion, zu einer Herkunftsgemeinschaft entscheiden solle, ob man in einer Gesellschaft dazu gehöre und welche Partei einen authentisch vertrete – die FPÖ spreche dann von „Heimatpartei“ – dann sei die Demokratie gefährdet, denn Demokratie beruhe darauf, dass Menschen ihre Meinung ändern könnten, „dass sie sich entlang politischer Argumente organisieren und nicht auf Grund ihrer Geburt“. „Dann brauchen wir nämlich keine Wahlen mehr, dann reicht die Volkszählung.“ Und wenn die Zivilgesellschaft nicht dagegen aufstehe, dann drohe der Rückfall in die Gewaltverhältnisse des Nationalismus. Nordirland könnte zum Fanal dafür werden, so der Befund Loewys. Vor einigen Wochen sei in Londonderry eine Autobombe hochgegangen. Diese könnte den nächsten Bürgerkrieg ankündigen, „wenn alle so weitermachen“.
„Das alles kann einen eigentlich nur depressiv machen“, stellt Loewy fest. Vielleicht liege aber auch darin der Erfolg der ÖVP-FPÖ-Regierung in Österreich. „Auf alle realen Probleme dieser Welt antworten sie mit einem zynischen Grinsen der Überlegenheit.“
Der Blick auf die jüdischen Gemeinden zeige dabei eine tragische Entwicklung, meint Loewy. „Durch sie geht ein tiefer Riss. Viele Juden lassen sich auf zynische Weise gegen Flüchtlinge ausspielen.“ Das sei in den USA ebenso so wie in Europa und auch in Österreich. „Da wird der ‚importierte Antisemitismus‘ der Flüchtlinge zum angeblichen Hauptproblem aufgeblasen. Und dahinter kann sich der alltägliche Rassismus, auch der grassierende Antisemitismus der Rechten in Europa ganz prima verstecken.“
hannoloewy.home.blog

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