Reden statt schimpfen

Vor 15 Jahren wurde die Initiative Safer Internet von der EU-Kommission gegründet – heute gibt es die Plattform bereits in 30 Ländern. Ziel war, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren des Internets zu schützen. „Dass wir die Kinder schützen, funktioniert aber so in der Regel nicht“, sagte die pädagogische Leiterin von Safer Internet Österreich, Barbara Buchegger, im Gespräch mit WINA. „Wir können Kinder nur stärken und Bewusstseinsbildung machen, damit sie sich im Endeffekt selbst schützen.“

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Kindern bei der sicheren Nutzung des Internets zu unterstützen und ihr Bewusstsein zu stärken, gehört zu den Hauptaufgaben der Initiative Safer Internet Österreich unter der pädagogischen Leitung von Barbara Buchegger.

Die Kinder von Anfang an im Umgang mit Smartphone, Tablet und Computer begleiten und stets im Gespräch bleiben: Wenn Eltern dies tun, sind die schwierigsten Klippen schon umschifft. Ja, es gibt Fallen im Umgang mit der virtuellen Welt, und immer wieder tun sich neue auf. Wer darauf vorbereitet ist, wird allerdings weniger oft hineintappen oder kleine Krisen besser bewältigen – weil er oder sie sich reflektierter im Internet bewegt.
Das erste eigene Smartphone bekommen Kinder heute meist im Lauf der Volksschule – manche etwas früher, manche etwas später. Der Zeitpunkt sollte sich danach richten, ob das Kind alleine unterwegs ist beziehungsweise wie viele andere Mädchen und Buben in der Klasse bereits ein Handy haben, rät Buchegger. WhatsApp ist bei den Kindern von heute ein wichtiger Kommunikationskanal, auf dem sich meist die Klasse in einer eigenen Klassengruppe austauscht. Hat ein Kind noch kein eigenes Gerät, sollte ihm über das Handy eines Elternteils die Möglichkeit gegeben werden, mit seinen Freunden zu chatten.
Wenn dann allerdings der erste Handykauf ansteht, reicht es nicht, der Tochter oder dem Sohn das Gerät einfach in die Hand zu drücken. Vieles ist dann gemeinsam zu überlegen und zu machen: „Apps entscheiden – was darf installiert werden, was nicht. Nicknames gemeinsam einrichten. Überlegen, in welche sozialen Netzwerke das Kind einsteigt. Festlegen, was das Kind von sich preisgeben, was es ins Internet schreiben darf, ohne dass es vorher die Eltern fragen muss. Besprechen, was bei Fotos, etwa auf Instagram, okay ist und was nicht.“
Kinder und Jugendliche von heute nutzen das Netz nicht nur als Konsumenten von Information oder unterhaltenden Inhalten. Sie sind vor allem in sozialen Netzwerken aktiv. Bei den jüngeren Mädchen ist die Nummer eins aktuell musical.ly. „Das ist umgekehrtes Karaoke. Die Kinder machen lip sync und studieren eine Choreografie ein. Das wird aufgenommen, und je nachdem, wie viele Personen das liken und nachahmen, desto berühmter wirst du. Die berühmtesten sind im Moment Lisa und Lena, zwei Mädchen aus dem Raum Stuttgart.“ Andere wichtige social networks sind WhatsApp, Snapchat, Instagram sowie Youtube.
Fotos oder Videoaufnahmen sind auf diesen Kanälen wichtige Elemente. Da Kinder von heute gewohnt sind, von klein auf in allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen fotografiert zu werden, ist hier Sensibilisierung besonders nötig – nicht nur für die angehenden

„Ich würde Kindern nicht ausreden, die israelische Flagge zu posten, denn sie sollen ja stolz auf ihre Identität sein können. Aber man muss ihnen erklären, was passieren kann.“
Barbara Buchegger

Smartphonebenutzer, sondern auch auf Seite der Eltern, gibt Buchegger zu bedenken. Sie ortet gerade in der jüdischen Community einen übermäßigen Drang, alles zu dokumentieren. „Ich habe ein bisschen das Gefühl, es hat damit zu tun, dass wir es mit vielen Familien zu tun haben, die von ihren Vorfahren keine Bilder haben. Da hat ein Foto so viel mehr Bedeutung als in Familien, in denen das nicht der Fall ist, in denen es auch Fotos früherer Generationen gibt.“
Will man seinem Kind im Teenageralter Leid ersparen, postet man bereits, wenn es noch klein ist, keine Fotos, für die es später verunglimpft werden könnte. Buchegger gibt ein paar Beispiele: „Irgendwelche lustigen schokoverschmierten Münder, die situationsbedingt sehr nett und herzig sind: nicht. Das erste Gehen, bei dem die Kinder so einen breiten Gang haben, als hätten sie sich angemacht: Das sieht sehr nett aus, aber solche Fotos nicht. In einer Windel und sonst nackt: Das hat nichts auf Facebook und Co verloren.“ Andere Motive gilt es zu vermeiden, um nicht das eigene Kind eines Tages als Werbemotiv auf einer Kinderpornoplattform wiederzufinden. „Nackte Kinder bitte gar nicht fotografieren. Auch Badeanzugfotos eher vermeiden. Wenn schon Strandfotos, dann nur das Gesicht aufnehmen.“
Buchegger appelliert zudem an Eltern, ein Nein des Kindes zu akzeptieren, wenn dieses nicht fotografiert werden will. Dabei stärkt man auch das Gefühl der Tochter oder des Sohnes, ein Recht am eigenen Bild zu haben. Das wirkt sich dann auch auf den späteren Umgang mit Fotos im Netz aus.
Jüngere Buben sind vor allem von Spielen fasziniert (zum Beispiel Grand Theft Auto, obwohl eigentlich erst ab einem Alter von 18 Jahren zugelassen, oder Clash of Clans) – aber auch Mädchen haben hier ihre Spielwiesen (etwa Movie Star Planet). Die Themen hier: einerseits Identitätsdiebstahl, vor allem aber der Umgang mit Fremden im Netz. Gespielt wird heute im Verbund, nicht immer ist klar, ist die Person, die mit dem spielenden Kind in Kontakt tritt, wirklich ein anderes Kind oder ein Erwachsener, der keine guten Absichten hat. Pädophile nutzen solche Spiele für ihre Zwecke aus.
Hier muss vorher genau besprochen werden, was das Mädchen, der Bub gegenüber Fremden preisgeben oder eben nicht preisgeben darf. Und die Kinder müssen über die Möglichkeit, dass sie hier von Erwachsenen mit schlechten Absichten angechattet werden könnten, informiert und sensibilisiert werden. Nur dann wenden sie sich an die Eltern, wenn ihnen hier etwas komisch vorkommt. Und nur so kann das Kind vor Schlimmerem verschont und Pädophilen eher das Handwerk gelegt werden.

Sensibilisierung für Gefahren. Sensibilisieren sollten gerade jüdische Eltern ihre Kinder auch, was passieren kann, wenn man jüdische Symbole oder die Israel-Flagge in Spielen oder sozialen Netzen postet. „Ich bin da sehr ambivalent. Ich komme aus einer Generation, in der wir von den Eltern angehalten wurden, nicht nach außen zu tragen, dass wir jüdisch sind. Sie sagten dann: Du weißt nicht, was passiert. Heute haben wir jüdische Kinder, die vielfach in eine jüdische Schule gehen, mit einer starken Identität. Sie sind stolz, dass sie Hebräisch können, sie haben einen Bezug zu Israel, und das ist eigentlich super. Aber in der Onlinewelt begeben sie sich immer wieder in problematische Situationen. Ich würde Kindern nicht ausreden, die israelische Flagge zu posten, denn sie sollen ja stolz auf ihre Identität sein können. Aber man muss ihnen erklären, was passieren kann.“
Mit antisemitischen Attacken seien besonders gute Gamer konfrontiert, warnt Buchegger. Sie würden massiv attackiert und würden „antisemitisches Flaming jeder Art erleben“. „Sie müssen sich also vorher überlegen, ob sie ihre jüdische Identität so klar deklarieren, vor allem dann, wenn sie gute Spieler sind. Gibt es Angriffe, sofort mit den Eltern reden, schauen, ob das Leute sind, die man persönlich kennt – da muss man dann natürlich nochmals anders reagieren.“
Ein Thema, das bei jüdischen und nicht-jüdischen Kindern gleichermaßen immer wieder zu Ängsten und Sorgen führt, sind Kettenbriefe. Was in den 1970er- oder 1980er-Jahren noch per Brief in den Postkasten flatterte und später per Mail verbreitet wurde, wird heute vor allem via WhatsApp weitergereicht. Nicht jeder Kettenbrief ist problematisch, manchmal sind es nette Texte, Bilder, Memes. Jene aber, die Angst machen, sind vor allem für kleinere Kinder oft ein großes Problem. „Da steht dann zum Beispiel: Ich bin ein Monster und wohne unter deinem Bett und komme heute um 23.59 Uhr. Wenn das Kind das um 22 Uhr bekommt und alleine in seinem Zimmer ist, kriegt es Angst, auch wenn es noch so gescheit ist. Es wird sich denken: Ich weiß genau, das ist eine Lüge und stimmt nicht, aber ich werde es weiterleiten, sicherheitshalber.“
Wichtig ist hier, dass das Kind weiß, dass es mit solchen Kettenbriefen immer zu den Eltern kommen kann – und diese nicht schimpfen, sondern das freundlich und konstruktiv besprechen. Ähnliches gilt für Nachrichten folgenden Stils: „Du bist meine allerbeste Freundin, ich hab dich sooo lieb, und wenn du mich auch so lieb hast, dann schickst du das an mich und so und so viele andere. Und wenn du weniger als drei Herzerln zurückbekommst, dann bist du nicht beliebt.“ Hier werde etwas als Messstab für soziale Akzeptanz gesehen, was es aber nicht sei. Wie viele Herzerln man geschickt bekomme, hänge nur davon ab, wie dumm die anderen seien.
WhatsApp ist auch der Kanal, über den am meisten Mobbing transportiert wird. Aus der Praxis weiß Buchegger, dass Kinder, je älter sie werden, desto später damit zu den Eltern gehen. „Da ist dann meist schon viel passiert.“ Ihr Tipp Nummer eins: Den Sohn, die Tochter hier schon zuvor sensibilisieren, dass es zu Mobbing, entweder gegen sie selbst oder gegen andere, kommen kann. Ihr Tipp Nummer zwei: Ist es einmal passiert, niemals schimpfen, sondern dem Kind konstruktiver Partner sein. „Wenn Kinder sich nicht an Eltern wenden, wenn sie gemobbt werden, haben sie irgendwie das Gefühl, sie sind schuld daran. Sie haben etwas falsch gemacht, sie werden Schimpfer bekommen. Leider passiert das auch oft, ist aber nicht sinnvoll. Die Opfer sind nie daran schuld. Es sind immer die Täter.“
Eines macht Buchegger klar: Gänzlich schützen vor den Gefahren des Netzes kann man die Kinder eben nie, auch nicht, wenn man Filtersoftware auf dem Smartphone, Tablet oder Laptop installiert. Werbeeinschaltungen bei Apps oder Youtube halten sich nämlich nicht an diese Filter. Andererseits können Kinder und Jugendliche auch auf anderen Geräten – etwa von Freunden oder Schulkollegen – auf Inhalte stoßen, die sie schockieren und ängstigen, wie Pornoszenen oder Gewaltvideos. Im Gespräch bleiben ist daher die oberste Devise, damit das Kind weiß, wenn es etwas Verstörendes gesehen hat, gibt es immer eine erste Anlaufstelle: die Eltern.

© Daniel Shaked


Nützliche Infos:
Tipps in Textform für Eltern, Jugendliche, Lehrende, aber auch Senioren:

saferinternet.at

Video-Elternratgeber von Barbara Buchegger:

fragbarbara.at

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