Reflektierte Jugend

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Adalbert Wagner © Andreas Pessenlehner

Seit 1992 können junge Österreicher ihren Zivildienst auch als Gedenkdiener im Ausland leisten. Entsprechende Stellen werden zum Beispiel von den Vereinen „Gedenkdienst“ und „Österreichischer Auslandsdienst“ vermittelt. Inzwischen sind auch Frauen an den verschiedenen Gedenkstätten willkommen. Wenn diese jungen Menschen zurückkommen, sind sie nicht nur an persönlichen Erfahrungen reicher. Sie werden auch zu Multiplikatoren –  für einen anderen Umgang mit der (NS-)Vergangenheit. Von Alexia Weiss; Fotos: Andreas P​essenlehne​r

[box_dark]Adalbert Wagner studiert Geschichte und Biologie auf Lehramt, ist Obmann des Vereins Gedenkdienst, führt durch die KZ-Gedenkstätte Mauthausen und das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes und arbeitet an der neuen Dauerausstellung des Jüdischen Museums Wien mit.[/box_dark]

Über die Zeit in Vilnius …

Ich habe dort im Holocaust Department gearbeitet, Besucher betreut, Führungen durch das Museum, die Stadt und durch die ehemalige Massenerschießungsstätte Ponary gemacht. Mit einer Kollegin habe ich außerdem das Projekt Holocaust Atlas von Litauen gestartet. In Litauen sind 1941, noch bevor es die großen Konzentrationslager gab, über 200.000 Juden ermordet worden. In der litauischen Gesellschaft ist das bis heute relativ wenig verankert und bewusst.

Über seine Motivation …

Ich bin am Land aufgewachsen, im Waldviertel, und war dort mit großen Lücken in der Geschichte konfrontiert, als ich begonnen habe, mich für Geschichte zu interessieren. Ich habe gesehen, wie stark Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft verankert sind und dass viele Leute wenig darüber wissen, auch ich. Ich habe zu lesen begonnen, auch viel zur Lokalgeschichte, und bin so auf Litauen gestoßen. In der dortigen Gesellschaft gibt es noch relativ wenig Bewusstsein. Ich hatte das Gefühl, dass hier die Asche der Geschichte noch recht heiß ist, dass es noch viel zum Nachholen gibt, noch viel Arbeitskraft benötigt wird.

[box_dark]Isabella Riedl ist Geschäftsführerin des Vereins Gedenkdienst und studiert Geschichte und Latein auf Lehramt.[/box_dark]

Über ihren Gedenkdienst … 
Isabella Riedl © Andreas PessenlehnerIch war an der internationalen Jugendbegegungsstätte von Oswiecim und habe dort vor allem pädagogisch gearbeitet. Ich habe deutsch- und englischsprachige Gruppen geführt und Programme organisiert. Die meisten Gruppen kamen aus Deutschland. Der Unterschied zwischen deutschen und österreichischen Jugendlichen? Deutsche Jugendliche haben viel stärker das Denken über Schuld verinnerlicht, sie empfinden es als viel schwieriger, an diesen Ort zu kommen, als es österreichische Jugendliche tun.

Über das Danach …

Ich bin mit einer irrsinnigen Motivation zurückgekommen, das, was ich in dem Jahr gelernt habe, dieses Wissen, in die österreichische Gesellschaft zu tragen. Das ist nicht leicht, weil viele Österreicher nicht hören wollen, was man da ein Jahr gemacht hat, und auch nicht verstehen wollen, warum sich junge Österreicher mit dem Thema beschäftigen. Was ich auch gelernt habe: Wenn Jugendliche nach Auschwitz fahren, kann man nicht erwarten, dass sofort überzeugte Antifaschisten aus ihnen werden. Aber es beginnt ein Denkprozess.

[box_dark]Lukas Schaup studiert Französisch und Geografie auf Lehramt und überlegt, in Geografie auch einen Bachelor, dann Master, schließlich Doktor zu machen.[/box_dark]

Über seinen Auslandsdienst …

Ich war zehneinhalb Monate in Paris an der Fondation pour la Mémoire de la Déportation, einem Trägerverein für andere Vereine, die etwas mit Gedenken zu tun haben. Ich habe sehr viele Übersetzungen gemacht, mich um den Internetauftritt gekümmert, Bibliotheks- und Archivarbeit gemacht – es waren viele Bücherspenden in die Bibliothek zu integrieren. Ich habe auch an einem Seminar mitgearbeitet, das in der Nähe von Natzweiler-Struthof abgehalten wurde, dem einzigen KZ auf französischem Boden. In Casablanca habe ich am Jüdischen Museum vor allem Inventurarbeiten gemacht, geholfen, Dokumente und Objekte digital zu erfassen.

Über seine Erfahrungen …

Was den Einsatz am Jüdischen Museum in Casablanca anbelangt, habe ich gesehen, dass man, wenn man motiviert ist und Zeit hat, mit eigentlich wenigen Mitteln schnell etwas Tolles realisieren kann. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Auslandsdienst habe ich das Museum beim Innenministerium als neue Gedenkdienst-Einsatzstelle beantragt. Nun können alle Vereine, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, mit dem Musée du Judaisme Marocain zusammenarbeiten. Ich möchte hier beispielsweise noch dazu beitragen, dass das Museum mit der Association of European Jewish Museums zusammenarbeitet. Es ist übrigens das einzige jüdische Museum im arabischen Raum.

[box_dark]Hannes Berger studiert heute Politikwissenschaften und möchte künftig in der Außenpolitik, Diplomatie oder Friedensforschung tätig sein.[/box_dark]

Über seine Auslandserfahrung …
Hannes Berger© Andreas PessenlehnerIch war zuerst zwei Monate in Auschwitz, im Jüdischen Zentrum in der Stadt. Ich habe durch das Museum geführt und durch die Synagoge und Übersetzungen gemacht, ansonsten geholfen, den jüdischen Friedhof zu reinigen, und ich habe in der Bibliothek bei der Katalogisierung mitgearbeitet. In Brasilien war ich an der Casa Stefan Zweig. Ich habe da vor allem in Rio im Nationalarchiv und in der Nationalbibliothek nach Dokumenten zu Exilanten geforscht. Die Casa Stefan Zweig ist ein Museum für den Schriftsteller in seinem ehemaligen Haus in Petropolis, eine Autostunde von Rio entfernt, und eine Gedenkstätte des Exils.

Über seine Beweggründe …

Das Interesse an dem Thema ist schon in der Schule geweckt worden. Ich habe in Bregenz ein Gymnasium besucht. Es war der Besuch in Mauthausen, aber auch Gespräche mit meinem Großvater, die mich schon sehr früh sehr nachdenklich gestimmt haben. Aber nein, eine Nazi-Geschichte gibt es in meiner Familie nicht. Mein Großvater war Frontsoldat, es ging um den Krieg. Vor allem aber habe ich mich für Stefan Zweig interessiert, diesen großen österreichischen Schriftsteller.

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