Sänger mit Sensibilität

Der vielseitige Bariton Adrian Eröd im WINA-Gespräch über seine ungarisch-jüdischen Wurzeln, das Debüt am Theater an der Wien und Richard Wagner.

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Adrian Eröd. Der 1970 in Wien geborene Bariton ist seit vielen Jahren auch international der Liebling des Opernpublikums. © Reinhard Engel

Wina: In der Rolle des „Lehrers“ in der Gottfried-von-Einem-Oper Der Besuch der Alten Dame feierten Sie jüngst Ihr erfolgreiches Debüt am Theater an der Wien. Das Libretto der Oper basiert auf Friedrich Dürrenmatts packender, zeitloser Tragikomödie um urmenschliche Eigenschaften der Habgier oder des Verrats. Ihre Interpretation erfreut nicht nur durch den großartigen Gesang, sondern auch durch Ihre hinreißende darstellerische Leistung. Besitzt diese Figur heute noch Gültigkeit?

Adrian Eröd: Diese Figur, so wie auch alle anderen in dem Stück, hat leider noch sehr viel Gültigkeit, weil es sich hier um Gier handelt. Es geht um diesen Grenzgang zwischen der Entscheidung, moralisch zu handeln oder Dinge zu akzeptieren, die doch nicht moralisch sind. Und das tun wir alle, egal ob es um billiges Fleisch geht oder Kleider vom Diskonter, die unter grauslichen Umständen in Bangladesch hergestellt werden. Die meisten von uns nehmen das doch in Kauf und sagen: „Ja schon, aber …“ Gerade jetzt werden diese Grenzen des „das geht aber nicht“ immer weiter aufgeweicht.

Sie meinen, die moralische Latte wird gesenkt?
Ja sicher. In den letzten zehn Jahren ist auch weltweit der Konsens darüber verschwunden, was geht und was nicht mehr geht. Was vor zwanzig Jahren als undenkbar gegolten hat, ist jetzt schon die Norm. Auch der europäische Nachkriegskonsens ist jetzt in Schwebe, darum geht es auch in diesem Stück.

Ihr Vater, Iván Eröd, ist ein bekannter Komponist, Pianist und Lehrer, der nach dem Scheitern des Ungarn-Aufstandes 1956 nach Österreich floh. Würden Sie sagen, dass Ihre Musikalität und der Humor etwas mit Ihrer ungarisch-jüdischen Familien-Konstellation zu tun haben?
Sie haben natürlich auch mit meiner Familie zu tun, meinem Vater als Komponisten. Aber auch in den Generationen davor gab es berühmte Sänger an der Budapester Oper: Zwischen 1870 und 1920 waren es zwei bekannte Bässe, nämlich der Bruder und Neffe meiner Großmutter väterlicherseits. Ich könnte jetzt nicht sagen, ob das mit der jüdischen Familie zusammenhängt, vielleicht wäre es auch in einer christlichen Familie so gewesen. Aber der Einfluss ist sicher stark genug da.

Zum persönlichen Schicksal Ihres Vater gehört die Tragik der Schoah. Sein älterer Bruder Endre und seine Großeltern wurden in Buchenwald und Auschwitz ermordet. Wie sehr hat dieses schwere Erbe sein und Ihr Leben beeinflusst?
Mein Vater war sehr stark geprägt davon, denn er war sieben Jahre alt, als sie ins Budapester Ghetto verbracht wurden. Er hat mit seinen Eltern überlebt, aber sein zwölf Jahre älterer Bruder und die Großeltern wurden in der Folge ermordet. Nach dem Krieg erlebten sie dann den Terror von der anderen Seite, der war vielleicht nicht lebensbedrohend, hat aber das Dasein auch nicht leicht gemacht. Was mein Vater auf uns Kinder übertragen hat, das ist dieses „wachsam Sein“, nicht achtlos mit der Vergangenheit umgehen, weder mit der eigenen noch jener der anderen. Er hat dies nicht mit dem Zeigefinger gemacht, ich habe ihn nie jammern oder schimpfen gehört. Aber er war sich bewusst, dass sich gewisse Sachen nicht wiederholen dürfen. Vielleicht haben wir dieses Bewusstsein und diese Sensibilität mitbekommen.

„Was mein Vater auf uns Kinder übertragen hat, das ist dieses ‚wachsam Sein‘, nicht achtlos mit der Vergangenheit umgehen, weder mit der eigenen noch jener der anderen.“

Sie haben vier jüngere Geschwister, von denen zwei eine musikalische Laufbahn eingeschlagen haben. Wann war es für Sie klar, dass Sie Sänger werden wollen?
Ich habe schon als Kind immer gesungen, auch im Chor der Grazer Oper. Als ich dann fünfzehn war, wollte ich unbedingt auf die Bühne: Die Aufnahmeprüfung für Schauspiel habe ich in Graz nicht geschafft, völlig zurecht, ich war schlecht vorbereitet. In Wien habe ich es dann nach der Matura mit Gesang versucht, und es hat geklappt. Darüber bin ich im Nachhinein sehr glücklich.

Sie sind der erklärte Liebling des Wiener Opernpublikums, was bei einem Bariton schon überraschend ist; meist stehen die Tenöre an erster Stelle. Auch die härtesten Musikkritiker im In- und Ausland loben Sie in höchsten Tönen. Sowohl in der Partie des „Figaro“ in Rossinis Barbier von Sevilla oder als „Valentin“ in Gounods Faust. Aber auch als „Billy Budd“ in Benjamin Brittens gleichnamiger Oper und als „Shylock“ in André Tchaikowskys Merchant of Venice. Sie singen die Partie des „Don Giovanni“ (Mozart) und jene des „Dr. Falke“ aus der Fledermaus (Strauss). Wie schaffen Sie diese Vielseitigkeit Ihres Repertoires?
Das ist ja das Schöne: Mir würde etwas abgehen, wenn ich nur sechs oder sieben Partien oder nur deutsches Repertoire singen würde. Wenn ich nur einen Komponisten wählen dürfte, wäre das sicher Mozart, damit könnte ich leben. Das Großartige ist ja, auch an der Wiener Staatsoper, dass ich die Möglichkeit habe, so ein großes Repertoire auszuschöpfen, sowohl deutsche, französische, zeitgenössische Kompositionen zu singen.

Seit Dezember 2001 haben Sie an der Wiener Staatsoper insgesamt über 40 Partien in 384 Vorstellungen gesungen. Im Mai 2017 wurden Sie zum Kammersänger ernannt. Von 2003 bis 2010 waren Sie Ensemblemitglied. Warum haben Sie „diese Familie“, wie Sie sie selbst nennen, verlassen?
Das war eine rein künstlerische Entscheidung: Ich war genau 40, als mein Vertrag ausgelaufen ist, und das war der richtige Zeitpunkt, um sich für eine internationale Karriere zu entscheiden: frei zu sein für die vielen Angebote, die ich damals aus dem Ausland hatte. Aber ich habe die Staatsoper nicht verlassen, da singe ich immer noch die meisten Rollen, jetzt wieder in Capriccio, Freischütz und Lohengrin.

Unter Christian Thielemann haben Sie den „Sixtus Beckmesser“ in Wagners Meistersinger von Nürnberg mit so durchschlagendem Erfolg gesungen, dass Sie 2009 von den Bayreuther Festspielen eingeladen wurden, diese Partie auch dort zu verkörpern. Inzwischen gastierten Sie in dieser Rolle auch in Zürich, Köln, Leipzig, Tokio und Amsterdam. Ganz aktuell wurde bekannt: Sie singen den „Beckmesser“ unter Thielemann bei den Salzburger Festspielen 2019. Sie sagten einmal in Bezug auf Richard Wagner, man müsse „das Werk vom Menschen trennen“ können. Ist das wirklich so einfach und überhaupt möglich?
Ja, es muss sein. Das sieht man inzwischen auch bei der #MeToo-Debatte, die im Grunde ganz wichtig ist, dass die Diskussion über das Ziel hinausschießt: weil der Druck entsteht, ein Bild aus dem 19. Jahrhundert abzuhängen, da die Darstellung der Frau nicht zeitgemäß ist. Das ist ja klar, aber die „Zigeunerlieder“ von Johannes Brahms werden immer so heißen, auch wenn die Bezeichnung nicht mehr verwendet wird. Es ist ganz wichtig, dass diese Sachen alle passieren, nur man sollte nicht alles in Bausch und Bogen verdammen: Es gibt genügend andere Gestalten, die ekelhaft waren und trotzdem großartige Kunst geschaffen haben.

Neben der Wiener Staatsoper sangen Sie u. a. an der Semper­oper Dresden, der Scala di Milano, der Hamburgischen Staatsoper sowie an der Tokyo National Opera, der Opéra de Paris, der Staatsoper Budapest und in den USA in Houston und Chicago. Welche Pläne, welche Traumpartien gibt es für die Zukunft?
Ich habe eigentlich alle Traumpartien gesungen, die erreichbar sind – vor allem jene, die für meine Stimme geeignet sind. Aber vielleicht kommt noch eine Traumpartie überraschend, an die ich gar nicht gedacht habe. Ich bin neugierig und freue mich auf alles, was kommt: jetzt im Sommer zum Beispiel auf ein Festival in Spanien, bei dem ich den „Papageno“ in der Zauberflöte singe, oder auf die schönen Konzerte im Herbst, darunter eines in Wien mit Ricardo Muti.

 

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