Sie haben sich gerächt

Die Familie von Rose Holm wurde 1941 vor ihren Augen von den Nazis ermordert, auch die Familie ihres späteren Ehemannes Joe. Sie haben beide Rache geschworen und kämpften bis Kriegsende in den Wäldern Ostpolens als Partisanen gegen die Deutschen.

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Die ehemalige Partisanin Rose Holm mit dem Bild ihres verstorbenen Mannes in New York. © JTA, Josefin Dolsten

Sie kamen am Nachmittag, um sie zu holen. Am Abend danach lag die damals 16-jährige Rose Duman zwischen den Leichen im unterirdischen Bunker, in dem sie und ihre Familie sich versteckt hatten. „Ich lag dort und wusste nicht, ob ich noch lebendig bin oder bereits tot“, erinnert sich die heute 92-Jährige, die nach dem Krieg ihren Jugendfreund Joe Holm geheiratet hat.
Unter jenen, die an diesem Nachmittag im Versteck erschossen wurden, waren ihre Eltern, ihr Bruder, eine ihrer Schwestern und weitere 85 Juden, die sich in jenem Bunker außerhalb der Stadt Parczew in Ostpolen versteckt hatten. Ihre zweite Schwester konnte nur überleben, weil sie sich mit ihrem Mann und der kleinen Tochter aus dem Versteck entfernt hatten, kurz bevor die Mörder kamen.
Danach hatte Joe Holm nur eines im Sinn: Rache. Einige Monate später traf sie einen Freund aus der Kindheit, der aus dem Nachbardorf stammte und dessen Familie ebenfalls ermordet worden war. Er war damals bereits Mitglied einer Gruppe jüdischer Partisanen, die unter der Führung von Chiel Grynszpan in den Wäldern um Parczew kämpften.
„Ich dachte, egal was kommt, ich muss mich an den Mördern meiner Familie rächen. Nie glaubte ich, dass ich aus diesem Kampf je lebendig herauskomme. Vielleicht blieb ich deshalb am Leben“, erzählt Rose, die sich der Partisanengruppe anschloss. Beim Interview mit JTA in ihrem Apartment in New York ist sie elegant gekleidet, trägt Perlenkette, spricht leise und ist eine wunderbare Gastgeberin, die ihre Besucher mit selbstgebackenen Keksen empfängt.
Doch das Leben in den Wäldern war ganz anders: „Ich war eine Wilde, wusste nicht, was ich tue, ich folgte den Befehlen.“
Heute ist sie eine der wenigen PartisanInnen, die noch Zeugnis ablegen können von Kampf, Wut, Entbehrungen und Schmerz jener, die sich nicht ihrem Schicksal ergeben, sondern sich gewehrt haben. Jedes Jahr werden es weniger, meint Sher Pearl Rosenblum von der Jewish Partisan Educational Foundation. Die JPEF recherchiert und vermittelt die Geschichte jener 20.000 bis 30.000 Juden, die als Untergrundkämpfer aktiv gegen die nationalsozialistische Vernichtung gekämpft haben. Auf ihrer Website sind 51 Biografien von PartisanInnen zugänglich, darunter die von Rose und ihrem späteren Ehemann Joe, der 2009 verstarb. Heute leben nur noch 16 von ihnen.

„War eine Wilde, wusste nicht, was ich tue,
folgte nur den Befehlen.“

Rose Holm

Rose war eine von insgesamt fünf Frauen in ihrer Einheit, deren Hauptaufgabe die Zerstörung von Brücken und Straßen war, um das Fortkommen der Deutschen zu verhindern. Die wenigen Frauen trugen Vorräte und waren auch für die Entsicherung der Handgranaten zuständig. „Wenn ein Zug sich näherte, warfen wir die Granate. Es war beängstigend, denn sie hätten uns jederzeit selbst töten können.“
Sie wohnten in den Wäldern, völlig ungeschützt vom Wetter: „Der erste Winter war schlimm. Wir haben uns mit Schnee zugedeckt.“ Ernährt haben sie sich meist von dem, was sie von der Zivilbevölkerung bekamen oder abpressen konnten. „Du tust alles, um zu überleben, und handelst nicht mehr wie ein menschliches Wesen.“ Manchmal gab es auch Schwein zum Essen, erzählt Rose, die aus einer traditionellen Familie mit koscherem Haushalt stammte. „Das erste Mal war es schwer, aber wenn du Hunger hast, isst du einfach.“
Sie schaute dem Tod nicht nur einmal in die Augen. Als sie zum Beispiel in ein Haus kam, um Verpflegung zu holen, wurde sie von einem deutschen Soldaten entdeckt. Sie rannte los, während sie noch den Pullover festhielt, die sie vom Bauern bekommen hatte. Später, als sie in Sicherheit war, merkte sie die Einschüsse im Pullover – sie wurde knapp vom Soldaten verfehlt.
Während des Krieges dachte sie nie an ein Leben danach, denn sie glaubte nicht an ein Danach. Doch sie kam in dieser Zeit Joe immer näher, und die beiden heirateten gleich nach Kriegsende im Kreise ihrer Kameraden. 1945 kamen sie in ein DP-Lager in Deutschland und verließen 1949 Europa Richtung New York, wo sie beide bald Arbeit in verschiedenen Fabriken fanden.
1959, zehn Jahre nach ihrer Ankunft in der neuen Welt, keine zwanzig Jahre nach ihrem Partisanenleben im Zweiten Weltkrieg, eröffneten sie gemeinsam eine Fabrik für Damenoberbekleidung und hatten eine Familie gegründet.
Heute lebt Rose in Upper Eastside, New York, umgeben von unzähligen Familienfotos. So sind ihr verstorbener Mann, ihre beiden Kinder, die vier Enkel und drei Urenkel stets um sie herum.
Rose hat lange Zeit nicht über ihre Erfahrungen gesprochen, zu sehr schmerzten die Erinnerungen. Doch dann erzählte sie 2013 in einem Video für JPEF die Geschichte. Und seither paart sich ein weiteres Gefühl zu ihrer Wut und Trauer: Ungläubigkeit. Sie kann oft nicht glauben, was sie er- und überlebt hat. „Mein ganzes Leben lang dachte ich mir: Kann das denn wahr sein? Die Erinnerungen fühlten sich an, als würde ich ein Buch lesen, das nicht von meinem Leben handelt.“
 JTA, Josefin Dolsten
jewishpartisans.org

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