Den Staat Israel aufbauen

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Aus Anlass des 100-jährigen Bestehens der Jugendbewegung Haschomer Hatzair sprach wina mit Arie Talmi und Omer Hakim über das Damals und Heute. Von Iris Lanchiano

Ein kleines Zimmer in der Seitenstettengasse, ein schmaler Tisch mit zwei Bänken und eine Liste der jüdischen Kinder, die den Holocaust überlebt haben. So begann die Wiedergeburt des Haschomer Hatzair nach dem Krieg. Arie Talmi kehrte 1949 nach Wien zurück und machte es sich zur Aufgabe, überlebende Kinder zu finden, um sie wieder in Kontakt mit der jüdischen Gemeinde zu bringen. „Wir sind mit einer Liste von Tür zu Tür gegangen, um nach Kindern zu suchen.Wenn wir sie beim ersten Mal nicht angetroffen haben, sind wir ein zweites und drittes Mal gekommen. Bis wir sie gefunden haben.“ Arie Talmi war einer der ersten Gruppenleiter des Haschomer Hatzair nach dem Zweiten Weltkrieg.

„Wir sind gegen all jene, die Israel das Recht auf Existenz absprechen, und wir unterstützen die Zwei-Staatenlösung. Wir engagieren uns für Frieden und sind der israelischen Regierung gegenüber kritisch.“
Omer Hakim
Wir gaben ihnen wieder ihre Kindheit zurück

Das Ken, die Räumlichkeiten der Organisation, waren stets ein Zufluchtsort. Hier wurde gespielt, gelacht, getanzt. „Niemand wurde verhätschelt, denn wir waren alle in der selben Situation. Wir haben viele Freunde und Familie verloren.“ Neben seinem Engagement im Haschomer Hatzair arbeitete Arie Talmi zusätzlich als Nachtwächter, um Geld zu verdienen und den Kindern etwas zu essen zu kaufen. „Ich habe ihnen Palatschinken gemacht.“ Auf einer alten Schreibmaschine tippte Arie Talmi für sie Liedertexte. „Die Kinder haben nichts zum Anziehen gehabt. Wir bekamen eine Kleiderspende aus Amerika und wir legten die Kleidungsstücke auf den Boden. Ich wollte sie nicht austeilen, denn jeder sollte sich das nehmen, was er braucht.“

Den Staat Israel aufbauen

Auf den Sommer- und Winterlagern setzte man sich intensiv mit den Themen Zionismus und Alija, der Auswanderung nach Israel, auseinander. „Unser Ziel war klar. Alija nach Israel, im Kibbuz leben und den Staat aufbauen.“ Es wurden handwerkliche Berufe erlernt wie Tischler, Elektriker, Installateur und Mechaniker, um den Staat nützlich zu sein. „Uns war klar, dass viele Eltern nicht wollen würden, dass ihre Kinder nach Israel fahren. Aber sie haben es trotzdem gemacht. Wir im Haschomer Hatzair waren Idealisten.“ Die Eltern wurden im Glauben gelassen, dass man auf einen Ausflug fährt, und hinterlassen wurde ein Brief: „Ich fahre nach Israel.“

Das Leben im Kibbuz
Heinrich Ehlers,  Talma Segal,  Arie Talmi (Hg.): Haschomer Hazair. Ein Nest verwundeter Kinderseelen. Mandelbaum Verlag,  240 S.,  17,80
Heinrich Ehlers,
Talma Segal,
Arie Talmi (Hg.):
Haschomer Hazair. Ein Nest verwundeter Kinderseelen.
Mandelbaum Verlag,
240 S., 17,80

Im Dezember 1952 ist Arie Talmi in den Kibbuz gegangen. Bis heute lebt er im Kibbuz Dan. Durch die Privatisierung vieler Kibbuzim hat sich auch das Leben dort verändert. „Früher haben alle das Gleiche verdient. Aber ein Traktorfahrer ist halt kein Manager. Heute kann ich jedes Jahr ins Ausland fahren, wenn ich will, früher wurde dazu eine Besprechung einberufen. Das Leben im Kibbuz hat sich sehr verbessert. Heute gibt es nur mehr wenige, die in den Kibbuz kommen, um den Staat aufzubauen; sie genießen das, was der Staat ihnen schon bietet.

Die Bewegung heute

Die Zahlen zeigen, dass 99 % nach ihrer Zeit im Haschomer Hatzair nicht mehr in den Kibbuz gehen. Was also ist das Ziel heute? Heute ist die Bewegung in 91 Ländern und mit 62 Standorten in Israel vertreten. Die drei Säulen des Haschomer Hatzair sind: Judentum, Zionismus und Sozialismus.

„Der Haschomer Hatzair ist eine sekuläre Bewegung. Wir akzeptieren z. B. die halachischen Regeln des Judentums nicht. Wir glauben daran, dass es eine persönliche Entscheidung ist. Somit haben auch Kinder aus gemischten Ehen bei uns einen Platz. Wir sind gegen all jene, die Israel das Recht auf Existenz absprechen, und wir unterstützen die Zwei-Staaten-Lösung. Wir engagieren uns für Frieden und sind der israelischen Regierung gegenüber kritisch. Die Erziehung zu besseren Menschen und zu einem kritischen Denken gegenüber der Gesellschaft ist uns wichtig. Links, liberal und sozial. Das sind unsere Ziele“, sagt Omer Hakim.

Omar Hakim ist zuständig für Europa und Australien und betreut die dortigen Gesandten der Haschomer-Hatzair-Weltbewegung. Hakim war selbst als Gesandter in Wien und kennt die Wiener Gemeinde und Geschichte gut.

3 KOMMENTARE

  1. Das war unsere Jugendzeit, als wir noch keine Computer hatten und unsere Freizeit miteinander verbrachten. Da ich persöhnlich einige Bilder habe, versetze ich mich gern
    in diese Zeit zurrück. Und es sind noch Freunde hier. Theo

  2. Arie lernte ich über die Haschomer in den späten 40er Jahren kennen. Habe ihn hernach Jahrzehnte lang aus den Augen verloren, vor gut 15 Jahren über einen Freund seine Adresse in Israel erhalten. Seither mailen und skypten wir fast zu oft miteinander. Er war jedenfalls ein herzensguter Mensch.

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